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Die Unterlippe des Joshua im Spiegel zittert und ich beiße schmerzhaft darauf. Ich kneife meine Augen zusammen und versuche, ruhig zu atmen. Was hatte ich erwartet? Dass er für immer allein bleibt? Ich bin so ein Dummkopf.
„Joshua?" höre ich plötzlich seine Stimme hinter mir und alles in mir zerbricht. Ausgerechnet jetzt. Einatmen. Ausatmen. Lächeln, hallo sagen, gehen. Okay, das schaffe ich. Einatmen. Ausatmen.

Ich richte mich langsam auf und drehe mich um. Matthew sieht atemberaubend aus. Er trägt ein graues Hemd und eine schwarze Hose und ich versuche krampfhaft, mein Pokerface zu bewahren.
„Matthew," sage ich höflich.
Er macht einen Schritt auf mich zu und ich zucke zusammen. Bitte komm nicht näher, bettele ich innerlich. Bitte, ich kann es nicht ertragen.
„Joshua, wie.. wie geht es dir?" fragt er verlegen.
Ich setze mein unechtes Lächeln auf, das ich in den letzten Wochen perfektionieren konnte, und sage freundlich: „Gut, sehr gut. Und dir?"

Er sieht irgendwie enttäuscht aus und sieht mich prüfend an. „Geht so," murmelt er. „Joshua, hör zu-"
„Ich muss dann auch wieder," falle ich ihm ins Wort und trockne mir eilig die Hände ab. „War schön, dich zu sehen. Viel Spaß noch mit deinem Freund." Ich stürme durch die Tür zurück in den stickigen Club und renne genau in dem Moment in diesen blonden Typen rein, der eben noch an Matthews Ohr geknabbert hat. Er hält mich überrascht an den Armen fest und lacht: „Hey, nicht so stürmisch, Hübscher."
Ich starre ihn nur entsetzt an und erblicke hinter ihm Gabriel, der seine Hand hält.
„Joshua," sagt Gabriel überrascht und Blondie sieht mich genauer an.
„Oh, du bist Joshua?" fragt er interessiert und ich habe das Gefühl, gleich kotzen zu müssen.

Haben sie mich durch diesen Malibu Ken ersetzt? Und ihm von mir erzählt? Macht es vermutlich einfacher, wenn man gleich schon mal sagt, wie Joshua sich bei der Dreiersache so angestellt hat. Mein Pokerface bröckelt und ich will nur hier weg.
„Nein," sage ich zu Ken. „Ich war Joshua."
Blondie schaut verwirrt und in dem Moment kommt Matthew aus der Toilette gestürmt. Fuck. Es ist eindeutig zu voll hier. Ich reiße mich von Ken los und dränge mich an Gabriel vorbei.
„Joshua, warte!" höre ich hinter mir und ich kann nicht unterscheiden, wer von beiden es ruft. Es ist mir auch egal, denn ich werde garantiert nicht hier bleiben.

Ich dränge mich zum Ausgang und taumele kurz, weil mich die kühle Luft so plötzlich umfängt. Scheiße, Chelsea, denke ich. Aber ich kann nicht zurück.
„Joshua, bitte," höre ich ihn hinter mir und es ist zu viel für mich. Ich atme tief durch, doch meine Lippe zittert nun wie verrückt und die erste Träne rollt über meine Wange. Schnell wische ich sie weg und schüttele meinen Kopf.
„Bitte geh einfach, Matthew," sage ich leise und höre, wie meine Stimme dabei bricht. Verzweifelt versuche ich, den Schluchzer in meiner Kehle zurückzuhalten und bete für ein Taxi, das nicht kommt.

„Können wir reden?" fragt er leise. Ich wirbele herum und funkele ihn durch meine Tränen an.
„Worüber willst du reden, Matthew? Du kennst meine Antworten doch ohnehin schon."
Er sieht mich traurig an und senkt seinen Blick. Und da mir eh alles egal ist, kann ich ihm auch gleich alles sagen. Vielleicht geht er dann endlich.
„Du hast doch schon alles entschieden. Ich hatte doch nie eine Wahl, oder? Hat denn euer blonder Freund eine Wahl? Oder hast du das auch schon beschlossen? Ich hoffe für ihn, dass er nicht so dumm ist wie ich und sich auch in dich verliebt."

Ich drehe mich um und winke verzweifelt nach einem Taxi. Kann nicht wenigstens das mal wie im Film funktionieren?
„Ich dachte, du willst Gabriel," keucht er entsetzt.
„Nein," fauche ich. „Du wolltest, dass ich Gabriel will. Dabei wollte ich die ganze Zeit nur dich. Von Anfang an. Und ich habe mich nur darauf eingelassen, weil ich von Anfang an in dich verliebt war und ich dachte, wenn du nur mit ihm gemeinsam mit mir zusammen sein willst, muss mir das eben reichen."

Ich schluchze und schnappe nach Luft, während meine Hände versuchen, die Tränen von meinem
Gesicht zu wischen. Matthew macht einen Schritt auf mich zu und ich weiche zurück.
„Bitte nicht," wimmere ich und hebe abwehrend meine Hand. Doch er ignoriert sie und zieht mich an sich. Seine Daumen wischen über meine feuchten Wangen und meine Hände umklammern seine Handgelenke.
„Ich war so dumm," flüstert er. „Oh Gott, Joshua. Ich war so dumm."
Und dann sind seine weichen Lippen auf meinen. Ganz sanft küsst er meinen Mund, immer und immer wieder und ich atme noch immer stockend.

„W-was ist mit Malibu Ken?" stottere ich schluchzend. Seine blauen Augen blicken mich liebevoll an.
„Das ist Victor, er ist Gabriels Freund. Sie haben sich beim Baseball kennengelernt," erklärt Matthew.
„Und ihr teilt nicht?"
Er schüttelt den Kopf und lächelt schief. „Das stand nie zur Diskussion."
„Und woher kennt er meinen Namen?"
„Gabriel hat ihm alles erzählt, vor allem wohl deshalb, weil er Victor gegenüber meine schlechte Laune erklären musste."
„Du hattest schlechte Laune?"
„Joshua, ich war am Ende. Du hattest gesagt, du willst gehen und ich konnte dich nicht aufhalten. Ich habe so oft überlegt, an deiner Tür zu klopfen, aber ich dachte die ganze Zeit, dass du Gabriel willst," gibt er zu.
Ich lächele seit Wochen zum ersten Mal wieder ein richtiges Lächeln, auch wenn ich noch Tränen auf meinen Wangen habe. „Du bist manchmal echt ganz schön dumm."

Die Tür des Clubs öffnet sich und Gabriel kommt mit Malibu Ken im Schlepptau heraus. Als er uns sieht, atmet er erleichtert auf. „Oh Gott sei Dank!" ruft er laut und auch Victor neben ihm grinst uns breit an.
„Habt ihr das jetzt endlich geklärt, ihr beiden Idioten?"
Matthew lacht und sieht mich liebevoll an.
„Ich denke schon," erkläre ich und lehne meinen Kopf an Matthews Schulter.
Er legt seinen Arm liebevoll um mich und küsst meine Stirn. „Soll ich dich nach Hause bringen?" fragt er leise.
Ich zucke mit den Schultern und sehe, wie Gabriel grinst.

„Was ist?" fragt Matthew ihn genervt.
„Frag ihn doch lieber, ob er mit zu uns kommen will, Matt," grinst Gabriel und legt seinen Arm um Victors Taille.
Matthew sieht mich fragend an und ich zucke lächelnd noch einmal mit den Schultern.
„Möchtest du?" fragt er hoffnungsvoll.
„Wenn du ein T-Shirt für mich hast?"
Er lacht leise. „Ich hab sogar eine Zahnbürste für dich."

Zu viert spazieren wir zur Wohnung der Zwillinge. Während Gabriel und Victor im Bad sind, sitzen Matthew und ich eng umschlungen auf dem Sofa. Immer wieder küsst er mich zärtlich und ich streichele über sein Gesicht.
„Ihr könnt," ruft Gabriel auf einmal und kichert. „Und seid nachher nicht so laut."
Matthew schaut entsetzt über die Sofalehne und wirft ein Kissen nach seinem Bruder. Dieser verschwindet laut lachend mit Victor in seinem Zimmer und knallt die Tür zu.
Matthew schaut mir liebevoll in die Augen und flüstert: „Ich denke, wir sind ganz leise."

Dreisamkeit | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt