Mein Kopf hämmert schmerzhaft und ich stöhne auf. Oh Gott, das muss der schlimmste Abend meines Lebens gewesen sein. Ich reibe mir mit den Händen über mein Gesicht und öffne langsam meine Augen.
Wo bin ich? Ich liege offenbar auf einem ausziehbaren Sofa in einem schlicht möblierten Zimmer. An den Wänden sind verschiedene Fotografien, überwiegend schwarz-weiß, meist von Landschaften oder Tieren.Einige allerdings zeigen auch einen Mann, von dem ich dachte, ich würde ihn nie wieder sehen. Meist ist er bei irgendwelchen sportlichen Aktivitäten abgelichtet. Basketball, Baseball, Snowboarding.
Auf einem der Bilder ist er zweimal zu sehen und ich setze mich erschrocken auf. Zweimal. Auf einem Bild. Eine blaue Skibrille und eine rote. Der linke Matthew lacht herzhaft, der andere schaut etwas beschämt.Es gibt ihn zweimal. Gerade, als die Erkenntnis richtig einsickert, öffnet sich die Tür des Zimmers und Matthew kommt herein. Oder eben Nicht-Matthew. Fuck. Fuck. Fuck!
Entsetzt starre ich ihn an und er starrt zurück.
„Du bist wach," stellt er fest und kommt langsam näher. Er stellt ein kleines Tablett vor mir ab, setzt sich auf die Bettkante und reicht mir ein Glas Orangensaft.
„Aspirin?" fragt er und reicht mir ebenfalls zwei weiße Tabletten.Ich nicke und nehme ihm die Pillen dankbar ab. Schnell spüle ich sie mit dem kühlen Saft herunter und starre ihn wieder an.
„Du hast mir einen ganz schönen Schreck eingejagt," sagt Matthew-vielleicht-auch-nicht-Matthew und ich muss mir ein hysterisches Lachen verkneifen.
Ich habe ihm einen Schreck eingejagt? Ich glaube, der Schreck für mich war etwas größer, denn ich befürchte, dass ich mich unbewusst in zwei Männer gleichzeitig verliebt habe und keine Ahnung habe, wer wer ist.„W-Wer bist du?" stammele ich. Nervös fährt er sich durch die Haare und seufzt.
„Matthew, ich bin Matthew," erklärt er. „Es tut mir so leid, dass ich den Abend nicht bleiben konnte. Gabriel rief an, er hatte sich ausgesperrt und ich musste ihm helfen. Und am nächsten Tag bin ich nach Mailand zur Studienfahrt geflogen. Ich bin gestern Mittag erst gelandet und hatte keine Nummer von dir, darum war ich gestern Nachmittag im Wohnheim, aber du warst nicht da."Ich glaube, ich muss mich gleich übergeben. Oder wieder ohnmächtig werden. Oder beides.
Er war bei mir. Und ich war nicht da. Weil ich es gerade mit ihm im Treppenhaus der Bibliothek tat. Nein, nicht mit ihm. Mit seinem Bruder. Der aussieht wie er. Und mich nicht kannte, aber sich von mir buchstäblich anspringen ließ.Entsetzt lasse ich mich zurück auf's Bett fallen. „Nein," stottere ich. „Ich war nicht da."
„Und dann bin ich abends ins ‚Spartakus' in der Hoffnung, dich dort wieder zu sehen. Joshua, du gingst mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich weiß, das klingt schnell und vielleicht zu kitschig, aber ich wollte dich unbedingt Gabriel vorstellen. Er ist mein-"„Zwillingsbruder," vervollständige ich seinen Satz. „Das stimmt."
„Warum hast du mir das nicht erzählt?" frage ich verzweifelt.
Verwirrt sieht er mich an. „Naja, ich weiß ja auch nicht, wieviele Geschwister oder Haustiere du hast."
„Aber," seufze ich. „Ihr gleicht euch wie ein Ei dem anderen."
Er lacht leise. Ich liebe das Geräusch. „Das stimmt. Wobei, ich habe diesen einen Leberfleck hinter dem
Ohr-"Die Tür öffnet sich erneut und ich habe das Gefühl, ein Déjà-vu zu haben. Wieder kommt mein Traummann herein, dieses Mal steht allerdings Kaffee auf seinem Tablett.
„Oh," sagt er überrascht. „Hast du schon Kaffee?"
Ich starre zwischen beiden hin und her und Matthew schüttelt den Kopf. „Nein, nur Orangensaft."
„Magst du Kaffee?" fragt mich Nicht-Matthew.
Ich nicke und er lächelt erleichtert. „Zum Glück. Eine andere Antwort hätte ich nicht ertragen können."Ohne zu fragen lässt er sich auf die andere Bettkante plumpsen und kleckert dabei etwas Kaffee auf die Bettdecke. „Oops," kichert er und leckt die Tropfen von der Tasse ab, bevor er sie mir reicht. Matthew und ich beobachten ihn ausgiebig. Ich verblüfft und interessiert, Matthew mit einem Augenrollen.
„Das ist Gabriel, mein Zwillingsbruder. Offenbar kennt ihr euch schon," sagt Matthew seufzend, während ich die Tasse von Gabriel entgegennehme.Gabriel lächelt mich an und sagt: „Irgendwie haben wir ganz vergessen, uns in der Bibliothek vorzustellen."
Vor Schreck verschlucke ich mich an meinem Kaffee und das warme Getränk läuft an meinem Kinn herab, als ich huste.
Beide Brüder beugen sich gleichzeitig nach vorn und wollen mir die Flüssigkeit mit ihren langen Fingern aus dem Gesicht wischen und ich zucke zurück.„Ich.. ich muss weg.." stammele ich und krabbele mitten zwischen ihnen hindurch aus dem Bett. Ich sehe an mir herab und stelle fest, dass ich nur meine Boxershorts trage. Wer von ihnen hat mich ausgezogen? Eigentlich ist es auch egal, denn sie haben beide schon alles von mir gesehen. Oh Gott. Ich schlage mir die Hände vor mein Gesicht und nuschele beschämt: „Wo sind meine Sachen?"
Beide stehen hektisch auf und beginnen, aufgeregt hin und her zu laufen.
„Wo hast du seine Sachen hingelegt?"
„Du hast ihn doch ausgezogen."
„Und dir die Sachen gegeben."
„Aber ich musste den Eimer holen."
Eimer? Oh fuck, habe ich etwa gekotzt? Bis eben dachte ich noch, ich könnte nicht mehr an Würde verlieren, aber doch. Es geht.Mir wird das gerade alles zu viel und ich presse meine Hände vor meine Augen.
„Ich hab sie!" ruft die schöne Stimme von draußen. „Sie sind im Bad."
„Möchtest du vielleicht duschen, Joshua?" werde ich gefragt und jemand berührt mich an der Schulter. Ich schrecke zurück und schüttele meinen Kopf.
„N-Nein, ich muss gehen," stammele ich und gehe aus dem Zimmer.
Matthew - oder Gabriel, ich kann sie nicht auseinander halten - kommt mir entgegen und zeigt auf eine Tür. „Dort ist das Badezimmer. Du kannst auch gern duschen, ich hole dir ein frisches Ha-"„Nein!" fahre ich dazwischen und er sieht verletzt aus. Fuck! Ich eile ins Badezimmer und schließe die Tür hinter mir ab. Dann rutsche ich langsam auf dem Boden nach unten und versuche, nicht auszuflippen. Ich habe keine Ahnung, wie lange ich so dort sitze, aber irgendwann nehme ich meine Sachen, die auf einem Hocker liegen und ziehe mich langsam an. Ich benutze die Toilette, wasche meine Hände und vermeide es, in den Spiegel zu sehen. Ich fühle mich so schon schlecht genug, die Schmach, die mir aus dem Spiegel entgegensehen würde, erspare ich mir lieber.
Nun stehe ich vor der verschlossenen Tür und bete still vor mich hin: Bitte lass sie nicht da sein, bitte lass sie nicht da sein.
Ich bin nicht gut im Beten oder einfach zu naiv, als dass das, was ich mir wünsche, passieren würde. Auf jeden Fall blicke ich in zwei vollkommen identische, wunderschöne Gesichter, als ich leise die Badezimmertür öffne.„Wolltest du dich rausschleichen?" fragt mich der eine Zwilling.
„Sieht ganz so aus," antwortet ihm der andere.
„Können wir reden, Joshua?" fragt Nummer Eins.
„Er will gehen, jetzt lass ihn doch," antwortet Nummer Zwei.
Gott, vielleicht sollte ich sie Tweedledee und Tweedledum nennen. Nur sind sie beide um einiges hübscher.
„Willst du wirklich gehen, Joshua?" fragt Nummer Eins nun wieder und sieht mich flehend an.
„Hör auf, du bedrängst ihn, Matt," sagt Nummer Zwei.Nummer Zwei ist Gabriel. Alles klar. Als würde mir diese Erkenntnis jetzt noch was bringen, denn ich gehe jetzt. Ich muss hier raus.
„Es.. Es tut mir leid," flüstere ich, sehe verlegen auf den Boden und ziehe die Wohnungstür hinter mir zu.
Als ich langsam die Treppenstufen hinuntergehe, höre ich noch ein gedämpftes „Scheiße!", bevor mir das erste Schluchzen entgleitet.
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Dreisamkeit | ✓
Novela JuvenilJoshua Keane studiert Musikwissenschaft und ist mit seinem Studentenleben mehr als zufrieden. Eines Abends begegnet er dem Mann seiner Träume und hofft, ihn bald darauf wieder zu sehen. Doch kann es sein, dass er doppelt sieht? ------------ ❝ Und a...