Kapitel 23 - Diebischer Affe

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Cassandra musste kurze Zeit später feststellen, das ihr dieses - irgendwo in Peru - nicht wirklich gefiel. Hier herrschte eine tropische Hitze, die sie kaum ertragen konnte und ihr das Atmen schwer machte. Anfangs versuchte sie sogar, sich so wenig wie möglich zu bewegen, was jedoch keinen Sinn ergab, da ihr der Schweiß dennoch aus allen Poren rann. Während sie tapfer versuchte die Schwüle zu ertragen und jegliche Gedanken an Morgana zu verdrängen, sehnte sie sich schon bald zurück nach Grönland oder gar auf die kleine Insel mit dem hübschen Haus. Wie sich herausstellte, schienen die dämonischen Sieben keine Probleme mit dem Klima zu haben und daher ertappte sich Cassandra bei der stummen Frage, wie die Welt der Sieben wohl war. Gab es dort, genau wie hier, ein wechselndes Klima und verschiedene Jahreszeiten? Konnte ein Mensch in der dort herrschenden Luft überhaupt Leben? Würde sie diese Welt jemals mit eigenen Augen sehen können und wollte sie das Überhaupt? Über die Antwort war sie sich nicht so sicher, ihre Neugier war zwar groß aber noch gewaltiger war die Furcht vor den Wesen, die dort lebten. Seufzend riss sie sich von diesem Gedanken los und blickte zu den Sieben, die mit ihr an einem reich gedeckten Tisch saßen und sie schweigend musterten. Sie alle hatten beschlossen die Sache mit Morgana nicht weiter in Worte zu fassen und den Vorfall zu verdrängen, doch die Sorge war den Sieben noch immer anzusehen. Das Cassandra beinahe gestorben wäre lastete besonders auf Daeon schwer, doch er hatte seine Wut auf die Hexe mit Erfolg gezügelt. Sie selbst kam ziemlich gut mit dem Vorfall klar, der erlebte Schmerz war längst vergangen, das einzige, was ihr noch schwer auf den Magen schlug, waren die trügerischen Abbilder ihrer Freunde, die so grausam ihr Leben verloren hatten. Daher wollte sie das Essen lieber nicht anrühren, doch mit jeder Minute in der sie die Speisen verweigerte, wurden die Gesichtszüge der Sieben besorgter und so gab sie sich einen Ruck und zwang sich die Leckereien hinunter. Deutlich konnte sie hören, wie die Sieben erleichtert aufatmeten.
"Der Dschungel da draußen ist ziemlich gefährlich, das Baumhaus in luftiger Höhe habe ich daher mit Absicht gewählt. Hier läufst du keine Gefahr den Raubtieren zu begegnen aber hüte dich dennoch vor den Affen, die sind ziemlich Garstig", sagte Daeon und brach damit das Schweigen, das seit einigen Minuten zwischen ihnen herrschte. Cassandra nickte ihm mit vollem Mund zu und lauschte dem Geschrei der Affen, das, wenn sie ehrlich war, ihr gehörig auf den Keks ging.
"Solange einer von uns bei dir ist, kannst du natürlich dennoch einen Spaziergang machen, wenn du willst. Du musst uns nur rufen und wir bringen dich hinunter zum Boden", meinte Jeremy und bei diesen Worten hielt Cassandra inne und starrte die Sieben mit großen Augen an.
"Soll das etwa heißen, das ich ohne euch nicht nach unten kommen kann?", fragte sie und als sie von allen ein Nicken zur Antwort bekam, erhob sie sich sogleich und eilte aus dem Haus um sich selbst ein Bild von ihrer Lage machen zu können. Am Rand der Plattform blieb sie stehen und schaute hinab in die Tiefe. Der Boden war weiter entfernt als sie bisher vermutet hatte. Sollte sie stürzen, würde sie dies gewiss nicht Überleben. Erschaudernd sah sie sich um, fand aber keinerlei Hilfsmittel, die ihr einen sicheren Abstieg ermöglichen konnten. Zunächst gefiel ihr das Wissen nicht, ohne die Hilfe der Sieben hier oben gefangen zu sein. Doch dann entdeckte sie einen Tiger, der auf der Suche nach Beute durch den Dschungel schlich und sie war doch ganz froh, nicht dort unten zu sein. Alleine würde sie niemals einen Fuß auf diesen gefährlichen Boden wagen und so gab sie sich mit ihrer Situation zufrieden. Nachdem der Tiger im dichten Grün verschwunden war, hob sie ihren Blick und spähte in die Ferne, wo sie zu ihrer Verwunderung einige Rauchschwaden entdeckte. Sie spürte, wie jemand neben sie trat und ohne ihn anzusehen, wusste sie, das es Daeon war und machte ihn sogleich auf die Rauchschwaden aufmerksam.
"Dort befindet sich ein Menschenlager", erklärte er ihr und sie spürte, wie sich ihr Puls beschleunigte. Wie lange war es wohl schon her das sie einem anderen Menschen begegnet war? Es kam ihr vor wie eine halbe Ewigkeit. Früher hatte sie es oft gehasst durch die vollen Straßen zu laufen, da es ihr manchmal zu laut und viel zu hektisch gewesen war. Doch nun würde sie alles dafür geben, um wieder andere Menschen um sich zu haben. Daher warf sie Daeon einen Blick zu, der ihre stumme Bitte nicht verbarg. Doch sogleich schüttelte er ablehnend seinen Kopf.
"Verstehe mich nicht falsch, aber das Lager gehört Wilderern. Sie schießen auf alles was sich in diesem Dschungel bewegt. Das ist kein Ort, wo ich dich haben möchte", erklärte er ihr und sie schnappte erschrocken nach Luft.
"Wilderer? Oh, ich hasse solche Menschen", entfuhr es ihr erbost.
"Ach wirklich, soll ich sie alle töten?", fragte er und klang dabei so ernst, dass sie sich sicher war, er würde es wirklich tun, sobald sie bejahte. Rasch schüttelte sie daher heftig verneinend ihren Kopf. Sie mochte Wilderer zwar nicht aber den Tod wünschte sie ihnen auch nicht.
"Friedlich hier zu sitzen, ist besser als wenn du Leben beendest", sagte sie, setzte sich am Rand der Plattform nieder und ließ ihre Beine in der Luft baumeln. Daeon tat es ihr nach und zu ihrer Überraschung hatte er plötzlich in jeder Hand, eine Waffel mit leckeren Erdbeereis. Zögernd nahm sie eine davon an sich.
"Ich hoffe, du hast es keinem kleinen Kind geklaut", meinte sie und beobachtete wie sich Daeon über diese Worte leicht genierte.
"Nein, ich habe es von einem Pärchen. Die waren mit anderen Dingen beschäftigt und das Eis drohte zu Schmelzen", erklärte er und leckte genüsslich an seinem Eis.
"Ach wirklich, was hat das Pärchen denn gemacht?", wollte sie wissen und erstarrte als sich Daeon sogleich zu ihr beugte und sich seine Lippen auf die ihren legten. Sein Kuss war himmlisch und schmeckte nach leckeren Erdbeereis. Sie konnte gar nicht genug davon bekommen aber leider löste er sich wieder von ihr.
"Genau das haben sie gemacht", sagte er und zwinkerte ihr zu. Errötend wollte sie von ihrem Eis schlecken, stellte aber fest, dass es sich nicht mehr in ihren Händen befand. Sie war so überrascht von dem Kuss gewesen, dass ihr das Eis aus den Händen gefallen war und nun irgendwo außerhalb ihrer Sichtweite lag. Daeon beschwor ihr sogleich ein neues Eis herbei.
"Und woher hast du das nun?", fragte sie und nahm es an sich. Daeon schwieg und so zuckte sie nur mit ihren Schultern und blickte, ihr Eis schleckend, in die Ferne. Der Himmel begann sich in sanften Rottönen zu verfärben, was bezeugte, das der Abend nicht mehr fern war. Es war ein schöner und malerischer Anblick und mit einem Mal fand sie dieses - irgendwo in Peru - doch irgendwie schön.
"Halt still, mache keine schnellen Bewegungen", flüsterte Daeon ihr nach einiger Zeit zu und verwundert sah sie zu ihm, doch er drehte ihr Gesicht sanft in die andere Richtung, wo sie einen großen Affen erblickte, der nun links von ihr saß. Vor lauter Schreck stockte ihr der Atem. Noch nie zuvor war sie einem wilden Tier so nahe gewesen. Sie wusste nicht genau was für eine Affenart dies war, doch das Tier wirkte aus der Nähe ziemlich groß und bedrohlich.
"Ich glaube, er hat es auf deine Waffel abgesehen", flüsterte Daeon ihr zu und der Affe bewies, das er mit seiner Vermutung recht hatte, denn er schnellte nach vorne, entriss Cassandra ihre Eiswaffel und sprang dann kreischend mit seiner Beute in den nächsten Baum davon.
"Bin ich gerade wirklich, von einem Affen bestohlen worden?", fragte Cassandra verblüfft und beobachtete, wie andere Affen nun den Dieb durch die Bäume jagten, da sie ebenfalls etwas von der Waffel wollten.
"Soll ich den Dieb bestrafen und ihm ein paar Knochen brechen?", fragte Daeon und lachte als er den entsetzten Blick von Cassandra sah.
"Nein, um Gottes willen, nein", rief sie.
"Schon gut, war nur ein Scherz, der Dieb ist schon genug gestraft", meinte er und obwohl sie die Affen nun nicht mehr sahen, hörte man deren Streit noch deutlich in der Ferne, das Gekreische war wirklich nicht zu überhören.
"Vergessen wir diese Affen, wie wäre es mit einem Kinobesuch?", fragte Daeon und Cassandra drehte ihren Kopf so schwungvoll zu ihm herum, das ihr Haar durch sein Gesicht streifte, was er mit einem Lächeln zur Kenntnis nahm.
"Hast du mir gerade allen ernstes einen Kinobesuch vorgeschlagen?", fragte sie und konnte kaum Glauben, seine Worte eben wirklich gehört zu haben.
"Ich sah das leuchten in deinen Augen als du erfuhrst, das es Menschen in der Nähe gibt. Ein Besuch bei den Wilderern muss ich dir verwehren, aber ich denke, ein Besuch im Kino sollte möglich sein", sagte er und ihre Freude kannte keine Grenzen.
"Geht das wirklich? Wäre es nicht zu gefährlich?".
"Natürlich, ich kann doch nicht zulassen, dass sich meine Süße langweilt. Sich in der Öffentlichkeit zu zeigen, macht es Balthasar leichter dich zu finden, doch solange du versprichst mir zu gehorchen und nicht aus meiner Reichweite zu verschwinden, bin ich bereit für dich dieses Risiko einzugehen", meinte Daeon.
"Ich mache alles, was du sagst und willst, wenn ich wenigstens ein klein wenig Zivilisation und Menschen um mich herum haben kann", sagte sie erfreut.
"Wirklich alles?", fragte er und als sie nickte, zauberte sich ein schelmisches Grinsen auf seine Lippen. Oje, sie ahnte, dass er an etwas Unanständiges dachte. Ein Schaudern fuhr durch ihren Körper als er sich zu ihr beugte und seine Lippen hauchzart ihr Ohr streiften.
"Das werde ich mir merken und für einen Moment aufheben, wo du bereit für mich bist", flüsterte er mir rauer Stimme und beobachtete vergnügt, wie sie von Kopf bis Fuß errötete. Seine Worte brachten ihr Herz wild zum Rasen.
"Ich muss gestehen, ich mag es dich Verlegen zu sehen. Früher war es schwerer, dich in Verlegenheit zu bringen", sagte er und etwas in ihr verkrampfte sich bei diesen Worten. Erstmals kam ihr nun der Gedanke, das sie nicht die Cassandra war, die er insgeheim wollte. Die Frau, in die er sich verliebt hatte, war vor langer Zeit gestorben und sie wollte er doch nur, weil sie deren Aussehen hatte. Oder etwa nicht? War die Seele die gleiche geblieben? Waren sie und die frühere Cassandra im Grunde nicht völlig verschiedene Personen? War die Liebe von Daeon zu ihr überhaupt echt? Glaubte er nur, sie zu lieben, weil er so verzweifelt war und sie wie seine wahre Liebe aussah? Rasch verwarf sie diesen Gedanken, da es ihr furchtbare Angst machte sich näher mit diesem Thema zu befassen. Sie wollte solche Zweifel nicht zulassen.
"Jeremy hat mir erzählt, das ich früher ein Summoner war", sagte sie.
"Die stärkste von allen", meinte Daeon voller Stolz.
"Ist es okay für dich, das ich nun nicht mehr stark bin?", fragte sie.
"Ich bin stark genug für uns beide", war seine Antwort.
"Jeremy sagte auch, das ich dich früher mit Leichtigkeit besiegt habe", meinte sie und erkannte belustigt, dass sich seine Wangen vor Scham röteten. Offenbar war ihm diese Erinnerung etwas peinlich.
"Du hast ihn nicht nur besiegt, sondern ihn auch den Staub vor deinen Füßen fressen lassen", rief Belial und erschrocken sahen sie und Daeon zum Haus, wo die sechs größten Idioten auf diesem Planeten, an einem offenen Fenster standen. Vermutlich hatten sie die beiden beobachtet. Belial machte Anstalten, weiter ins Detail gehen zu wollen, doch da vollführte Daeon knurrend einen Handwink und die Fensterläden schlugen wie aus Geisterhand wuchtig zu. Das laute Stöhnen der Sechs auf der anderen Seite bezeugte, das sie sich die Nasen eingehauen hatten.
"Ruhe dich noch etwas aus, in einer Stunde gehen wir", meinte Daeon und verschwand dann mit glühenden Wangen im nichts.

Die Braut des Schattens (1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt