Kapitel 1

17 0 0
                                    

Die Flammenzungen wurden immer kleiner. Das spärliche Licht ging langsam zurück. Brody legte hastig ein paar neue Scheite rein, um das Feuer noch am Leben zu behalten.
Der Faunus verspeiste währenddessen den Fisch, den er von dem alten Mann bekommen hatte. Auch wenn das Essen nicht mehr ganz frisch und es nicht wirklich sein Leibgericht war, war es besser als nichts. Außerdem wusste er nicht, wie lange er ohnmächtig gewesen war. Diese Zeitspanne, in der nur die Dunkelheit vorgeherrscht hatte, war für ihn eine Wissenslücke, die wieder aufgefüllt werden musste.
Sie hatten, seit Brody ihn nach seinem Namen gefragt hatte, kaum geredet. Doch es war unumgänglich, dass es irgendwann wieder zu einem Gespräch kommen würde. Die Stille schien sie beinahe schon zu erdrücken.
Dasselbe schien auch der Mensch zu denken. Er räusperte sich: "So Wie soll ich dich denn nun nennen? Etwa Ghost?"
Der Faunus zuckte mit den Schultern: "Tu, was du nicht lassen kannst."
Ein wenig mürrisch drehte sich Brody wieder zum Feuer. "Weißt du, Reden macht das Leben hier unten wirklich erträglicher. Willst du nicht erzählen, wer du bist, wo du herkommst, was passiert ist?"
Ghost ignorierte ihn. Er schien sich komplett auf seine Nahrung zu konzentrieren, auch wenn sie ihm sichtlich nicht schmeckte. Der Alte seufzte einmal und ließ es dann bleiben. Der Faunus aber dachte fieberhaft nach. Irgendwo musste es unter den Vorkommnissen einen Hinweis darauf geben, was wirklich passiert war. Auch wenn jeder Gedanke ihn schaudern ließ, zwang er sich weiter zu grübeln. Irgendwo... Irgendwo musste es doch Etwas geben
Nach ein paar Minuten gab er auf. Sein Essen hatte er kaum genießen können, doch war es nun fast schon vollständig verspeist. Ghost spielte kurz mit einem Gedanken und öffnete endlich seinen Mund: "Wo bin ich hier?"
Brody sah sich überrascht um. Er hätte nicht mehr erwartetet, dass der Fremde überhaupt noch was von sich geben würde. Er drehte sich mit seiner ganzen Haltung zu dem Faunus um und meinte: "Aha, jetzt will er also doch reden? Na schön. Aber dann machen wir Antwort gegen Antwort. Das ist meine Bedingung."
Ghost knirschte mit den Zähnen. Er wägte es kurz ab und kam zu einem Entschluss. Eine Frage würde reichen, dann war er den alten Greis endlich los. "Na gut! Schieß los!"
Brody schien nun selbst über seine erste Frage nachzudenken. Doch schlussendlich entschied er sich für eine ganz spezifische: "Woher kommst du?"
Der Faunus musste sich zusammenreißen um nicht gleich loslachen zu müssen. Was wollte er mit dieser Information nur erreichen. "Ich komme ursprünglich aus einer Siedlung in Atlas. Vor Kurzem sind wir aber nach Pestileia gezogen, am Rande von Vale." Der Fragende runzelte die Stirn und dachte über Etwas nach. Ghost sagte ihm: "Nicht ganz das, was du hören wolltest, oder? Gut. Ich bin dran. Wo bin ich hier?"
Brody überlegte noch kurz weiter und antwortete ihm schlussendlich: "Ja, ich habe keine Ahnung, wo dein Wohnort sein soll. Aber nun zu deiner Frage: Wir sind in einem abgeschiedenen Untergrundsystem, dass direkt an der Kanalisation angrenzt. Du befindest dich also grade unterhalb von Vale."
Unterhalb von Vale? Das waren gute Informationen. Damit konnte er was anfangen. Hilfe war also nicht weit entfernt. Er konnte sich nachher auf machen an die Oberfläche und ein paar seiner Kontakte suchen. Vielleicht konnten die ihm ja weiterhelfen.
Das Räuspern des alten Mannes brachte Ghost wieder in das Hier und Jetzt zurück. "Gut. Dann werd ich dir meine Nächste Frage ganz direkt stellen! Was ist passiert?" Sein Ton war ruhig, kein bisschen aufdringlich und trotzdem durchstach sie die Luft wie ein Rapier. Der Faunus war kurz irritiert, merkte aber, dass es für ihn Zeit war, seinen eigenen Weg zu gehen und stand auf. Er hatte, was er wissen wollte. Alles Andere wäre Zeitverschwendung.
"Wo gehst du hin?", fragte der Mann ihn. Ghost grinste und sagte: "Das waren zwar zwei Fragen, aber gut. Ich habe mein Ziel erreicht. Ich brauche keine weiteren Antworten."
Brody realisierte, was gerade geschah. Rasch nahm er sich zusammen und fragte ihn: "Nein. Antworte mir! Woher kommt diese Verletzung an deinem linken Arm? Ich habe ihn gesäubert, behandelt und verbunden. Ich habe mir die Schnitte ganz genau angesehen und kann auch die Richtungen, aus der die Hiebe des Beils gekommen sind, erkennen. Also: was ist passiert?"
Der Faunus zeigte kein Interesse, bekam aber langsam ein ungutes Gefühl. Der Mann wusste nicht viel, aber er hatte genug Grips, um Alles herauszufinden. Er packte den Mantel, der neben ihm auf dem Boden lag und wollte seinen Rucksack und seine Waffen in der Ecke aufheben, als der Mann ihm mit lauter Stimme entgegenrief: "Warum zur Hölle hast du dir deine eigene Hand abgeschlagen!?!"
Die Frage hallte in den Hallen und Gängen wider. Die Laute wurden immer leiser, doch waren sie immer noch so klar zu verstehen, als wenn der Mann sie erneut gesagt hätte. Die gesamte Stadt Vale musste doch von so einer schrecklichen Frage aufgewacht sein.
Ghost sah seinen Stumpf an und blickte dann auf den Stock in seiner Rechten, die auf beiden Seiten in beilartigen Klingen endete. Das Bild der Tat wurde ihm erneut ins Gedächtnis gerufen. Doch dieses Mal schien ihm das Gefühl des Schmerzes erspart zu bleiben. Er schloss seine imaginäre linke Hand zu einer Faust und wollte ihm was entgegenbrüllen, als er unterbrochen wurde.
"Wer schreit denn so am Spieß, als bettle er geradezu darum gefunden zu werden?" Als Ghost sich umdrehen wollte, fühlte er sogleich ein Metallenes Ende in seinem Nacken. "Das würde ich lassen, wenn ich du wäre!", meinte die fremde Stimme. Als sie das nächste Mal sprach, schien sie genau neben seinem Ohr zu verweilen: "Wenn du eine falsche Bewegung machst, schieß ich dir die Rübe weg! Also, lass uns gesittet umgehen." Der Gestank von Zwiebeln stieg dem Faunus in die Nase und er spürte, wie der Körper des Angreifers näher zu ihm hinrückte, um ihn unter Kontrolle zu haben.
Auf einmal erklang Brodys Stimme, zitternd, aber immer noch gefasst: "Hör auf den Mann. Er macht keine Witze! Das hier Unten ist sein Revier."
Der Angreifer begann zu lachen: "Ein Mann mit Verstand. Das ist doch auch mal was Neues. Hör auf seinen Rat, missratenes Scheusal, oder es war das Letzte, was du getan hast. Und jetzt lass deine Waffe fallen!"
Missratenes Scheusal?
"Ich hab keine Zeit für sowas", entgegnete Ghost. Er schlug dem Angreifer mit dem Schwanz die Handfeuerwaffe aus der Hand, drehte sich um und führte einen einzigen Hieb mit seiner Doppelklinge aus. Im Gesicht des Mannes war immer noch die Überraschung zu sehen, als er zu Boden sank, sich an den Hals griff und mitansehen musste, wie er langsam verblutete. Sein kaputter Anzug, seine Haut und selbst seine kurzen blonden Haare, färbten sich langsam rot. Seine Pistole war neben ihm im Staub hingefallen.
Brody war erschrocken und hatte sich in die Ecke zurückgedrängt. Seine Augen waren starr auf Ghost gerichtet, voller Angst und Terror.
Der Faunus fing an zu lachen. "Menschen! So arrogant. So..." Ihm fielen keine passenden Worte ein, die seinen Gefühlen, über die Diskriminierung und den Hochmut der Menschen gegenüber den Faunus, Ausdruck verliehen hätte. Doch war für ihn nun klar, dass die Zeit zum Aufbruch gekommen war. Er drehte sich um, winkte dem alten Brody einmal zu und ging in den Gang hinaus. Hinein in die Dunkelheit.

A Faunus TaleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt