Kapitel 8

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„Kann man es schon sehen?“, fragte das Faunusmädchen mit wedelndem Hundeschwanz, während es aus dem Wagen schaute. Die zerzausten Haare fielen ihr bis auf die Schulter und peitschten im Wind ihr selbst ins Gesicht. Die Frau neben Ghost lachte. „Bald, mein Schatz, bald“, meinte sie und wandte sich wieder Ghost zu.
Dieser schaute immer noch dem Mädchen zu, wie es seine Nase in den Wind streckte. „Woran denkst du genau?“, fragte ihn die Frau. Ghost zögerte kurz, sah ihr aber dann in ihre grünen Augen. Auch bei ihr schwangen die braunen Haare leicht im Takt des Schaukelns des Karrens mit. Ihr Gefieder an den Armen hatte sich zurückgelegt in vollkommener Ruhe.
„Ich dachte nur gerade dran, wie sie uns empfangen werden. Wir haben uns schon eine Zeit lange nicht mehr gesehen. Außerdem war unsere letzte Abreise eher abrupt.“
„So war auch unsere Jetzige“, entgegnete die Frau, „Wir ändern uns nie. „Du“ änderst dich nie. Aber das will ich auch gar nicht. Bleib einfach du selbst.“
Ghost grinste verlegen. „Danke, Livia.“ Er drückte ihre Hand und gab ihr einen Kuss auf die Lippen. Livia selber schien zufrieden zu sein, fragte aber dennoch: „War das etwa schon Alles?“ Sie lächelte ihn herausfordernd an. Ghost grinste noch breiter und beugte sich noch einmal vor.
„Bwähh!“, ertönte es auf der anderen Seite des Wagens. Sie drehten sich beide zum Mädchen um, das die Nase rümpfte bei ihrem Anblick und begannen zu Lachen.
„Komm her, Casey“, forderte Livia das Mädchen auf. Dies ließ sie sich nicht zweimal sagen und hüpfte auf den Schoss ihrer Mutter. Erwartungsvoll blickte sie ihre Eltern an, bevor sie selbst auch einen Kuss auf die Stirn aufgedrückt bekam. Ihre Wangen röteten sich. Sie schien es zwar zu genießen, wollte dies aber nicht zugeben. Ghost beobachtete sie kurz, wie sie ihren inneren Kampf bestritt. Doch dann starrte er selbst zum Horizont.
Die Pferde hatten sie schon weit gebracht und der Kutscher war wohl auch mittlerweile müde. Dennoch, ihr Ziel war fast erreicht. Er freute sich zwar, doch war er auch ein wenig beunruhigt. Die Gründe, die ihn dazu gedrängt hatten abzureisen, würden ihn für immer verfolgen. Er hoffte allerdings nur, dass das nur in seinen Träumen so war. Er konnte Livia und Casey nichts davon erzählen, noch nicht. Nicht, wenn sie so glücklich zu sein schienen.
Doch konnte er es nicht für immer verheimlichen. Livia wusste, dass es Etwas gab, das er ihr nicht erzählte. Er sah es ihr an, nicht nur an ihrem Gefieder, dass sich angespannt ein wenig anhob, sobald sie das Thema ansprach, sondern auch an ihrem besorgten Ausdruck. Sie konnte es immer prima abtun, als wäre nichts, doch beschäftigte es sie. Das wusste er.
Sie fragte nicht nach. Sie tat das nie, sobald sie annahm, dass es um seine Arbeit geht. Und dabei hatte sie dieses Mal vollkommen recht.
„Papa!“, schrie ihm Casey ins Ohr und sprang auf ihn drauf, „Mama hört nicht auf mich abzuknutschen. Tu was!“ Ghost erschrak zuerst und musste dann erneut lachen. Casey kletterte auf ihm umher, einfach nur, um von ihrer Mutter wegzukommen, bis Ghost sie packte und auf seinen Schoss setzte. Dort blieb sie dann ruhig und lehnte sich zurück. „Ich habe schon ein riesiges Glück, euch zu haben“, dachte er sich.
„Wir sind da!“, rief der Kutscher zu ihnen nach hinten. Casey war auf einmal wieder auf den Füssen und schielte über den Wagenrand. Ghost folgte ebenfalls ihrem Blick und sah endlich das Ziel seiner Reise.
Livia sah kurz auf das Dorf, dann wieder zu ihrem Mann. „Was wirst du tun, wenn wir wieder in Pestileia sind? Hilfst du uns beim Einräumen?“
Ghost erwiderte ohne den Blick abzuwenden: „Ja, aber zuerst werde ich mit Labartu sprechen müssen.“

Sein Kopf schmerzte. Wie auf Schleifpapier glitt sein Kopf auf dem Boden entlang. Seine Gliedmaßen schienen immer noch taub. Er versuchte den Kopf zu heben, doch war die Anstrengung noch zu groß. Die Umgebung war in Dunkel getaucht. Seine Wahrnehmung ließ ihn nur die Zusammensetzung des Bodens erahnen, was ihn eigentlich gar nicht interessierte. Er öffnete den Mund und wollte „Hallo?“, sagen, bekam aber nur ein „Hahu…“, hervor. Die Person, die ihn schleifte, schreckte auf und ließ ihn fallen, was seiner Hüfte und seinen Beinen auch Schmerzen hervorrief.
Er versuchte sich ein wenig zu drehen, um einen Blick auf die Person zu erhaschen. „Still jetzt“, flüsterte eine ihm vertraute, weibliche Stimme zu, „Das ist deine einzige Chance.“ Der Doktor umfasste mit ihrem Schwanz erneut Ghosts Bein und schleifte ihn weiter hinein in die Dunkelheit. Dies hielt nur für kurze Zeit an, bis sein Bein, nun sanfter, auf den Boden abgelegt wurde.
„Bleib kurz hier. Ich komme wieder. Du hast doch gesagt, dass du mir vertraust, oder?“, fragte sie ihn erneut.
Diese Frage war allerdings überflüssig, da Ghost sowieso nicht vernünftig antworten konnte. Nach einem kurzen Moment der Stille, hauchte Sullivan ihm zu: „Bis gleich. Es tut mir leid. Ich dachte, wir hätten mehr Zeit.“ Daraufhin hörte er nur noch Schritte, die sich von ihm entfernten.
Die Zeit verstrich, in der er wartete und wartete. Langsam kamen seine Gefühle in seinem Körper zurück, zusammen mit seiner Kontrolle darüber. Der Boden war kalt und kühlte seinen Körper mit. Es wurde langsam unangenehm einfach rumzuliegen und dann noch in einer eher ungemütlichen Position. Als er sich stark genug fühlte, setzte er sich auf und ertastete eine Wand, an der er sich anlehnen konnte.
Dennoch blieb es eine Weile still. Seine Gedanken bündelten sich und konzentrierten sich auf seinen Arm. Er sah zu seinem Stumpf hinunter, obwohl er ihn nicht sehen konnte. Mit seiner anderen Hand begann er seine Verletzungen zu ertasten. Der Schmerz war weg, auch auf Berührung merkte er nichts. Wahrscheinlich war er lokal immer noch betäubt. Darum schien erneut ein sauberer Verband gewickelt worden zu sein.
Etwas hatte sich bei seiner Verletzung also sicher getan. Die Frage war nur was. Und was war bei dem Doktor passiert, dass sie ihn in einem dunklen, kalten Raum verstecken musste?
Naja, ihm blieb nichts Anderes übrig, als auf die Antworten auf diese Frage zu warten. So lehnte er sich zurück, bis er wieder Schritte hörte, die sich ihm näherten.

A Faunus TaleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt