Kapitel 21

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Obwohl sich die Schlange rein logisch verkleinern sollte, schien diese Reihe aus Faunus immer mehr zuzunehmen. Die Proteste waren nach Trivias Rede hochgekocht. Das Rathaus konnte dies irgendwann nicht mehr ignorieren und hatten deshalb die arme Sekretärin nach draußen geschickt, um alle Anliegen einzeln aufzunehmen. Dabei standen ihr nicht weniger als vier atlesian Knights zur Seite, damit kein Chaos ausbrach.
Seit einer Stunde stand Remus bereits in der Schlange. Nachdem er sich von Livia verabschiedet hatte, die nachhause geeilt war, um auf Casey aufzupassen, war Remus schnurstracks zurück zum Marktplatz gelaufen. Er hatte bereits versucht durch den Nebeneingang in das Gebäude hineinzukommen, war aber durch die Wachen aus Atlas daran gehindert worden. Somit hatte er keine andere Wahl gehabt, als sich bei den anderen Faunus einzureihen und geduldig auf seine Chance zu warten, mit Jemandem sprechen zu können.
Aus der Entfernung entdeckte er die arme Sekretärin mit Katzenohren, die verzweifelt versuchte, der Sache Herr zu werden. Kellys Gesichtsausdruck war zu einem gezwungenen Lächeln verzerrt und ihr Blick huschte immer wieder zu den Wachen an ihren Seiten. Der Schweiß tropfte von ihrer Stirn. So wie es den Anschein hatte, waren die Wachen nicht nur wegen den Bittstellern anwesend.
Es verging noch eine Weile, bis Remus endlich vor Kelly stand. Ihr Blick hellte sich sofort auf, doch versuchte sie es so gut es ging zu verbergen. Ihre Augen huschten wieder zu den Wachen hin.
„Hallo, Remus. Was kann ich für dich tun?“, fragte sie ihn mit demselben schmerzverzerrten Grinsen, wie er es schon vorher beobachtet hatte.
„Hallo, Kelly. Ich wollte kurz nachfragen, ob du Labartu informieren könntest, dass ich gerne mit ihr sprechen möchte.“
Sie wischte sich den Schweiß aus der Stirn. Einen Augenblick sah sie Remus in die Augen und blickte ein letztes Mal zu den Wachen. Dann antwortete sie in einem bestimmenden Ton, der gar nicht zu ihr passte: „Ich werde schauen, was ich tun kann. Leider sind die Dorfältesten sehr beschäftigt, weshalb es ein wenig länger dauern könnte. Du kennst den Raum noch, in dem wir uns zum ersten Mal begegnet sind? Labartu hat diesen Raum genau für solche Gelegenheiten vorbereitet. Ich werde ebenfalls dort sein, da sie jede Person benötigt, die ihr helfen kann.“
Remus verstand. „Und wann wüsstest du, ob sie für mich einen Termin frei hat?“
Kelly zögerte kurz und riss sich zusammen. „Du hast die Richtlinien gelesen. Du wirst beim Seiteneingang um dieselbe Zeit wie immer informiert. Wie es der Brauch ist, wird dein Termin dort am schwarzen Brett bekannt gegeben.“
„Natürlich. Meine ganze Familie wird anwesend sein. Ich danke dir vielmals für deine Mühen Kelly und es tut mir ehrlich leid für die Umstände.“ Kelly lächelte ihn erneut an. Ihre Grimasse hatte einen traurigen Schleier über sich, was Remus beinahe das Herz zerriss.
Remus machte einen kleinen Knicks vor ihr und scherte aus der Reihe aus. Er hatte alle Informationen erhalten, die er brauchte. Er dankte Kelly noch einmal in Gedanken. Sie war ein Risiko eingegangen, um Remus diese Nachricht zu übermitteln, konnte es aber schlau genug verpacken, um diese dämlichen Roboter zu überlisten.
Auf schnellstem Weg huschte Remus durch die Gassen. Dabei wich er geschickt mehreren Wachen aus, die nach Ärger Ausschau hielten.
Vor seiner Haustür angekommen klopfte er dreimal und trat ein. Livia saß auf dem Sessel im Wohnzimmer mit Casey auf den Schoss. Sie las ihr gerade ein Buch vor, als Remus die Tür öffnete. Beide sahen zu ihm herüber. „Papi“, rief Casey, sprang herunter und rannte auf Remus zu, der die Arme öffnete. Sie umarmten sich. Livia erhob sich ebenfalls und trat zu ihrem Mann.
„Hast du etwas herausgefunden?“, fragte sie ihn ohne Umschweife.
Remus wuschelte die Haare seines Kindes durch, ehe er aufstand.
„Wir packen unsere Sachen. Wir werden heute Abend noch abreisen. Kelly wird uns eine Flucht ermöglichen. Sie wird uns heute Abend um elf Uhr beim Seiteneingang des Ratshauses hineinlassen. Dort können wir durch den Tunnel im Keller verschwinden.“
Livia keuchte. Casey sah verwundert ihre Eltern an. „Ziehen wir schon wieder um?“ Beide schauten auf ihr Kind. Livia fasste sich als Erste wieder. „Casey, Schatz. Geh bitte hoch in dein Zimmer spielen. Ich komme gleich hoch und erzähl dir Alles. Ok?“
„Ich will es aber jetzt wissen. Schließlich bin ich schon fast erwachsen!“
„Casey, nicht jetzt!“, sagte Remus mit bestimmtem Ton, „Hör auf deine Mutter.“
Mit Schmollmund polterte sie die Treppen hoch und gab jedem Schritt eine starke Betonung.
Beide Eltern sahen still zu Boden, bis sie Caseys Tür zufallen hörten.
Livia ergriff sofort das Wort. „Bist du sicher? Ist es denn nötig, dass wir von hier verschwinden? Du hast doch gesagt, dass wir hier sicher sind.“
Remus sah schuldig und geknickt zu seinen Füssen.
„Ich weiß, was ich gesagt habe. Und das meinte ich auch ehrlich. Doch so, wie sich die Leute verhalten haben und so, wie Kelly gesprochen hat, wird es hier kein gutes Ende nehmen. Sie würde kaum versuchen uns in Sicherheit zu bringen, wenn es nichts Ernstes wäre.“
Livia ließ nicht locker: „Und was ist mit den anderen Bewohnern? Überlassen wir sie einfach ihrem Schicksal?“
Ein weiterer Schlag auf Remus‘ Gewissen. „Ich weiß, dass es nicht die sauberste Art ist, aber wir können nicht alle retten. Ich möchte wenigstens die Menschen retten, die ich kann und die mir so verdammt viel bedeuten. Ich bin auch nur ein Faunus und kann nicht gleich die gesamte Welt ändern.“
Livia verstummte. Sie unterdrückte eine Träne und hielt ihre Hand an den Mund. Dann presste sie leise hervor: „Bist du dir sicher, dass wir ihr vertrauen können?“
Stille kehrte ein.
„Haben wir eine andere Wahl?“

A Faunus TaleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt