Kapitel 25

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Der Keller war dunkel und muffig. Der Gestank von Moder, Exkrementen und Krankheit lag in der Luft. Als Kelly die Tür geöffnet hatte, stob der abgestandene Geruch in Remus Gesicht. Mit einer Handbewegung zeigte Kelly den Wachen an, dass sie die Gefangenen hineingeleiten sollten.
Die Wachen folgten dem Befehl. Remus‘ Beine wurden über die Stufen nach unten geschleift.
Als er bemerkt hatte, wohin die Reise ging, hatte Remus die leichte Hoffnung gehegt, dass Kelly sie direkt zum Geheimgang führen würde, doch war er auch in dieser Annahme enttäuscht worden. Die Wachen hatten sie in einen Vorratsraum im Keller geschleppt, in jenen Raum, von dem auch der betäubende Gestank ausging.
Kelly trottete hinter den Gefangenen her. Sie entzündete eine Laterne, um für Licht zu Sorgen und zeigte somit auch den Ursprung des abnormen Geruchs. Achtlos, wie Vieh waren an der Wand vier Faunusleichen auf einen Haufen gestapelt worden. Remus glaubte zwei oder drei von ihnen zu kennen, doch tat dies nichts mehr zur Sache.
So ein Spiel war das also…
Die Wachen warfen Remus auf den Fußboden. Mit langsamen Bewegungen drehte sich Remus auf den Rücken und versuchte sich aufzusetzen. Dabei achtete er peinlichst genau darauf, seine linke Hand zu schonen, als würde er ansonsten heftige Schmerzen erleiden. In dieser Schonhaltung blickte er vorwurfsvoll zu Kelly auf.
Livia und Casey wurden neben ihm auf den Boden geworfen. Casey schluchzte. Mit seiner rechten Hand tätschelte Remus ihren Rücken, um sie zu beruhigen. Livia drückte sich näher an ihren Mann heran.
Die Wachen erhoben die Waffen.
„Das war es jetzt also, Kelly?“
Kellys Blick wurde aus ihrer Konzentration gerissen. Sie sah Remus irritiert an.
Remus wurde wütend. „Du hast uns wie Schweine zum Schlachten hierherbestellt? Wofür war dann die Spritze? Reine Machtdemonstration?“
Kelly haderte und sagte etwas, was Remus von ihr nie erwartet hätte: „Bist du komplett bescheuert?!“
Remus zögerte. Dann wurde die Luft von Schüssen verbrannt und die Atlesian Knights, der Stolz von Atlas, kippten vornüber. Remus war schockiert. Sein Körper war der festen Überzeugung gewesen, dass diese Schüsse ihm und seiner Familie das Leben ausbrennen sollten. Er blickte zu Kelly auf, die ihre Waffe sogleich wieder an ihrem Gürtel befestigte.
„Wir haben nicht viel Zeit!“
Sie setzte sich neben Remus hin. Die Gefangenen machten alle einen Satz rückwärts. Kelly ließ sich dadurch aber nicht beirren. „Zeig mir deine Hand. Schnell.“
Remus zögerte. Konnte er ihr noch vertrauen, nach all dem, was geschehen war? Andererseits, was hatte er für eine Wahl? Widerwillig streckte Remus Kelly seine Hand entgegen. Ein schwarzer Fleck hatte sich unter der Haut gebildet, der sich bereits bis zum Handgelenk hin ausgebreitet hatte.
„Das ist gar nicht gut“, meinte Kelly. Sie stand auf und lief zu den Leichen. Von diesen riss sie einen Streifen Stoff ihrer Kleidung ab und kehrte zu Remus zurück.
Mit viel Sarkasmus antwortete Remus: „Dass das nicht gut ist erkenne ich selbst. Was wird das hier? Und diesmal rückst du mit allem raus. Es gibt keine Wachen mehr, die dich davon abhalten.“
Kelly band Remus‘ Hand ab und nahm seine Waffe, die eine der Wachen bei sich getragen hatte, zur Hand. Sie reagierte nicht auf Remus‘ Frage.
„Jetzt ganz stillhalten. Das wird weh tun.“ Sie hob das Beil an, doch Remus fuhr ihr dazwischen. Er erhob die Hand, um ihr zu signalisieren, dass sie innehalten sollte.
Kelly redete sofort auf ihn ein: „Bitte, Remus. Ich weiß, es ist schwer, aber das ist die einzige Möglichkeit.“
„Ich weiß!“ Remus atmete tief durch. „Ich werde es tun.“
Nicht nur Kelly, auch Livia und Casey, die noch immer geknebelt waren, sahen ihn erschrocken an. Remus nahm noch einen Atemzug. „Bitte…“
Kelly nickte und übergab ihm seine Waffe. Remus ergriff sie mit seiner Rechten und hob sie an.
Kurz bevor er zuschlug, wurde ihm auf brutale Weise bewusst, auf was er hier einschlagen wird. Er zögerte. Der schwarze Fleck hatte sich schon ein gutes Stück weiter vorgearbeitet. Mit Schrecken dachte er daran, was passieren würde, wenn die Infektion ihn voll und ganz unter Kontrolle haben würde. Was würde dann aus ihm werden? Was würde aus Casey und Livia werden?
Remus schloss die Augen. Beim nächsten Mal, als er seine Lider wieder öffnete, schwang er das Beil nach unten.

Kelly führte sie durch die Kellergänge. Sie hatte Remus einen Provisorischen Laken um das Handgelenk gewickelt, der die Blutung ein wenig in den Griff bringen sollte. Remus versuchte auch mithilfe seiner Aura die Blutung abzuschwächen.
Als sie in den nächsten Raum traten, war ihre Rettung bereits in Sicht. Die Bodenluke, die sie nach draußen bringen würde, befand sich direkt zu ihren Füssen.
Rasch lief Kelly auf die Öffnung zu und sperrte sie weit auf. Sie wies zuerst Livia und dann Casey an durch die Luke zu klettern. Livia gab Remus noch einen letzten schmerzverzerrten Blick, ehe sie durch das Loch im Boden verschwand.
„So, nun bist nur noch du übrig“, meinte Kelly und hielt ihm die Luke auf.
Als Remus seinen ersten Fuß auf die Leiter setzen wollte, hielt ihn Kelly zurück. Er sah in ihre Augen und bemerkte die ersten Tränen, die sich an ihren Lidern bildeten.
„Es tut mir leid, Remus… Das musst du mir glauben… Ich habe nur die Befehle von Labartu befolgt. Ich hatte wirklich geglaubt, dass sie euch in Sicherheit bringen würde. Ich hatte nichts damit zu tun. Es tut mir leid…“ Kelly schluchzte.
Remus nahm seinen Fuß wieder von der Leiter und nahm sie in die Arme. „Das weiß ich doch. Du brauchst dich für nichts zu entschuldigen. Bitte…“
Kelly nickte, den Kopf in Remus‘ Brust vergraben. Dann trat sie einen Schritt zurück und wischte sich das Gesicht mit dem Handrücken ab. „Beeil dich. Deine Frau wartet.“
„Was ist mit dir?“, fragte Remus.
„Ich werde hierbleiben“, meinte sie und zeigte erneut ihr gequältes Lächeln.
„Kelly… das ist Selbstmord!“, bekräftigte Remus.
Doch Kelly schüttelte den Kopf. „Nicht für mich. Sie vertrauen mir. Außerdem kann ich hier mein Bestes für die Bewohner geben. Vielleicht schaffe ich es, noch ein paar andere Faunus zu retten.“
Remus schluckte. „Kelly, bitte überleg es dir nochmals.“
„Das habe ich bereits getan.“ Sie lächelte ihn an. „Keine Sorge, ich kann auf mich aufpassen. Außerdem habe ich noch das hier. Es wird mich beschützen.“ Kelly rollte ihre Ärmel hoch und zeigte ein metallisches, schön verziertes Armband. Remus erkannte es. Es war ein Geschenk von ihm an sie gewesen. Damit hatte er ihr Mut gemacht, nachdem Menschen in ihr Dorf gekommen waren und die Faunus misshandelt hatten. Er hatte es ihr als einen Glücksbringer vorgestellt.
Sie schien es seitdem nicht mehr ausgezogen zu haben.
Remus schenkte ihr ein Lächeln. Er drückte sie ein letztes Mal und flüsterte ihr ins Ohr: „Vielen Dank für Alles. Pass auf dich auf.“
„Ihr auch auf euch.“
Daraufhin betrat Remus die Lucke. Mit einem letzten Blick nach Oben, sah er, wie die Bodenklappe geschlossen wurde und die Dunkelheit einsetzte.

Ghost blickte auf den Haufen verbrannter Leichen vor ihm, der nun Tage später den Markplatz pflasterte. In der Mitte der Aufstellung hatte er einen Pfahl entdeckte. Ghosts Fingernägel bohrten sich in sein Fleisch. Die verbrannte Faunus, die daran gekettet war, war bis zur Unkenntlichkeit verrußt. Das Einzige, was dieser anonyme Fleischklumpen noch an sein früheres Leben, sein früheres „Ich“ erinnerte, war das schönverzierte, metallische Armband, das sich mit ihrem Arm verschmolzen hatte.
Ghost wurde wütend.

A Faunus TaleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt