Kapitel 12

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Der Stumpf schmerzte und hatte angefangen zu jucken. Ghost‘ ständiges Kratzen verschlimmerte dieses Gefühl nur noch mehr. Er hatte das Zeitgefühl zur Gänze verloren. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, die er in dieser dunklen Höhle schuftete. Zu Beginn war es ihm noch sehr gut ergangen. Er hatte mehrfach mit dem Gedanken gespielt, bei der erst besten Gelegenheit die Flucht zu ergreifen. Sein Verstand hatte ihn aber vor diesem Selbstmordversuch bewahrt. Zuerst musste er Lernen.
Die Arbeit war sehr erschöpfend und das Essen war kein bisschen nahrhaft, was stark an ihm zehrte. Seine Hauptaufgabe war es irgendwelche Kisten von A nach B zu lagern, so wie auch eine kleine Kluft in eine Wand zu hauen. Wofür diese Arbeiten gut waren, hatte man ihm nicht erzählt. Jeder Einzelne der White Fang passte peinlich genau darauf auf, dass ihnen kein Wort herausrutschte.
Allerdings, nur weil sie ihn als Gefangenen behandelten und ihm so wenige Informationen wie möglich zukommen lassen wollten, bedeutete dass nicht, dass Ghost diese Zeit ungenutzt ließ.
Durch die Botengänge und das Herumtragen von Material hatte er die perfekte Gelegenheit seine Umgebung genau zu untersuchen und nach Schwachstellen zu forschen. Er beobachtete die Räumlichkeiten, sowie auch die Faunus, die sich hier aufhielten und stellte sich im Kopf eine Karte zusammen. Zusätzlich merkte er sich, wo die Wachen standen und durch welche Gänge sie patrouillierten, denn davon gab es viele.
In diesem unterirdischen Labyrinth gab es eine große Hauptkammer, 4 bis 5 Nebenkammern und dutzende in sich verschlungene Gänge. Neben einem Schlaf-, und einem Essraum, waren 1-2 Kammern für die Anführer reserviert, wobei der letzte Raum ein kleines Lager bildete. Die Hauptkammer war der Ort, an dem die meisten Arbeiten erledigt wurden. Der Raum war riesig und war in allen Ecken mit Kisten zugepflastert, mit denen sich Ghost auch noch herumzuschlagen hatte.
Das Auffälligste aber in dieser Kammer, war der lange Güterzug, der sich auf Schienen befand und in einen Tunnel hineinführte. In einem der Wagons war eine kleine Zelle für Ghost eingerichtet worden. Diese bestand lediglich aus einer harten Matratze.
Ghost hasste es jedes Mal in dieses Zimmer zurückkehren zu müssen. Mit ein bisschen Glück würde das aber nicht mehr all zu oft sein.

Ghost ging es immer schlechter. Als die White Fang ihn am nächsten Morgen weckten, hatte Ghost kaum die Kraft aufzustehen. Er zuckte jedes Mal vor Schmerz zusammen, sobald er seinen linken Arm bewegte. Die beiden Faunus, die sich um ihn herum geschart hatten, blickten sich verwundert an. „Du sollst aufstehen!“, fauchte ihn ein Nagerfaunus an und tippte ihm grob mit dem Schuh gegen die Schulter.
Der Gefangene machte noch immer keine Anstalten sich zu erheben. Der Nager flüsterte seinem Kollegen etwas ins Ohr, welcher zu nicken begann, sich umdrehte und fortlief.
Nun war Ghost allein mit dem Nagerfaunus in dem Container. Seine Wache kniete sich zu ihm hinunter und kam dabei mit seinen beiden langen Schneidezähnen sehr nah an sein Ohr heran. „Nur weil du der Bruder unseres Kommandanten bist, heißt das noch lange nicht, dass du von uns mit Samthandschuhen angefasst wirst. Momentan haben wir noch den Befehl dich zu schonen. Genieße diese Zeit, solange du noch kannst, denn glaub mir, es werden bald andere Saiten aufgezogen.“ Daraufhin lachte das White-Fang-Mitglied.
Ghost gab keine Reaktion von sich. Er hatte sein Gesicht immer noch verzerrt.
Seine Wache war ein wenig genervt über die fehlende Reaktion, stand wieder auf und verpasste Ghost einen Tritt in den Rücken, wobei dieser laut aufschrie.
„Was soll dieses Theater?! Gabriel, geh weg von ihm, sofort!“
Der Nager hielt inne und drehte sich zu dem Neuankömmling um. Ein männlicher Faunus in einer White-Fang-Uniform betrat den Wagon und stieß den Nager weg von Ghost. Seine Luchsohren waren in voller Alarmbereitschaft.
Gabriel wich an die Wand zurück. „Was soll denn schon groß sein, Doc? Der Typ hat es nicht anders verdient.“
„Das mag sein“, entgegnete der Luchsfaunus, „aber falls es dir noch nicht aufgefallen ist, darf ICH all diese Wunden wieder flicken, die DU anrichtest! Glaub mir, ich habe besseres zu tun als gefangene Würmer zu inspizieren.“ Gabriel nickte kurz mit dem Kopf und lehnte sich anschließend an die Wand.
Der Doktor wandte sich nun Ghost zu und entfernte den Verband am Arm. „Was hat er?“ Gabriel antwortete ihm mit gelangweilter Stimme: „Keine Ahnung. Scheint als hätte er Schmerzen an seinem abgetrennten Arm. Mein Problem ist, dass er nicht aufstehen will.“
Der Luchs schüttelte den Kopf. „Das könnte momentan deine kleinste Sorge sein. Hol mir bitte meine Werkzeugtasche.“
Gabriel stutzte. „Wieso denn das?“
Der Doktor wurde langsam ungeduldig. „Wenn ich dir einen Befehl erteile, dann hast du den zu befolgen! Ohne Widerworte!“
Einen kurzen Moment herrschte Stille, ehe Gabriel sich von der Wand löste und widerwillig und fluchend auf den Weg machte. Der Doktor begutachtete in dieser Zeit den Stumpf genauer, wobei er ihn von allen Seiten betrachtete und beim Drehen des Arms Ghost immer aufstöhnte. „Ach sei still!“, wurde er dabei angefaucht.
Schließlich ließ der Luchs den Stumpf fallen und sprach zu Ghost über seinen Schmerzensschrei hinweg: „Du kostet uns mehr, als du einbringst. Deine Arbeit war beschissen. Ich verstehe echt nicht, wieso wir dich überhaupt wieder aufpäppeln sollen.“
Er nahm eine kleine Spritze aus seinem Koffer, den er selbst mitgenommen hatte. „Wenigstens hast du unsere Vorräte an Schmerzmittel wieder aufgestockt. Das wäre sonst echt knapp geworden. Jetzt halte einfach still!“ Der Doktor nahm den abgetrennten Arm wieder in seine Hand und legte die Nadel an. „Ich hoffe, das wird weh tun“, meinte er.
Im nächsten Augenblick sah der Luchs verwundert in Ghost‘ Augen. Darin war etwas Erschreckendes zu sehen, etwas Unheimliches. Komplett irritiert schaute er von seiner leeren Hand, die gerade noch eine Spritze in der Hand hatte, zu der gesunden Hand seines Patienten, die etwas in seinen eigenen Hals gesteckt hatte. Der Luchs sackte in sich zusammen, strauchelte kurz und versuchte sich irgendwo festzuhalten, bevor er auf dem Boden auftraf und liegen blieb.
Ghost setzte sich auf. Mit seiner gesunden Hand zog er die Tasche des Arztes zu sich und durchstöberte sie nach weiteren Spritzen. Eine setzte er an seinem Stumpf an und vollführte die Handlung, die der Luchs kurz zuvor noch vollbringen wollte. Der Schmerz, den er sowieso schon hatte, übertünchte den Schmerz beim Eintritt der Nadel. Nachdem Ghost sich die nötige Dosis verabreicht hatte, packte er noch ein paar mehr Spritzen als Vorsichtsmaßnahme und einen frischen Verband ein, bevor er den Container verließ.

A Faunus TaleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt