Kapitel 3

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"So, wie nennt man dich denn dieses Mal, Puppy?"
Nach der Begrüßung am Tresen, hatten sich die beiden in dem Büro dahinter niedergelassen. Die Buchhandlung war nun geschlossen, damit sie ihre Ruhe hatten. Nun saß Ghost auf einem Stuhl, während Tukson sich gegen den Türbogen lehnte. Beide hatten eine Tasse Kaffee in der Hand und genossen ihr warmes Getränk. Erst nach einem kurzen Moment hatte Tukson das Wort ergriffen.
Der Angesprochene blickte zum Ladeninhaber auf. "Keine Ahnung. Man hat mir den Namen Ghost erst gerade gegeben." Tukson verschluckte sich und musste Husten. Als er sich schließlich erholt hatte, sah er wieder zu seinem Gast hinüber: "Ernsthaft? Was hast du ihnen denn wieder für Geschichten erzählt? Naja, auch egal. Find ich zwar ein wenig übertrieben, aber es passt dennoch irgendwie." Ghost ließ den Kommentar über sich ergehen ohne das Thema anzusprechen.
"Also. Warum bist du hier?", fragte Tukson ihn endlich.
Ghost starrte tief in seine Tasse hinein, ein weiteres Mal über die vergangenen Ereignisse am Nachdenken. Er ließ die Tasse ein wenig kreisen, damit auch das Getränk begann Bahnen innerhalb seines Gefäßes zu Fließen. Nach einem Moment hakte Tukson nach: "Was ist los? Ich kenn dich gut genug, um zu wissen, wenn etwas passiert ist. Also, raus mit der Sprache."
Die Worte trafen auf taube Ohren. Ghost starrte nun hinein, in einen schwarzen Strudel, der die Mitte seiner Tasse einnahm. Immer tiefer hinein in das Elend der Erinnerungen und zu dem Leid, dass er nicht loswerden wird. Er wollte endlich die starke Persönlichkeit haben, die er immer zu zeigen versuchte, die er bei seinen Aufträgen immer unter Beweis gestellt hatte.
Nun wurde auch Tukson still. Seine nächste Frage stellte er ganz ruhig, beinahe fürsorglich und abtastend: "Geht es Livia und Casey gut?"

"Sie sind fort!"
Diese Frage hatte den Bann, in dem Ghost gefangen war endlich gebrochen. Sein Kopf schnellte bei der Antwort hoch und seine Augen fixierten mit einem schmerzverzehrten Ausdruck seinen alten Freund. Die Tränen, um die er die ganze Zeit kämpfte, kullerten seine Wangen hinunter. Tukson war so überrascht von der Reaktion seines Kollegen, dass er nur sprachlos dastand. Nach ein paar Sekunden fügte der Befragte noch hinzu: "Sie sind fort und werden nie zurückkommen. Meine Familie ist weg!" Seine Stimme stieg immer mehr an Volumen an, weshalb der Ladeninhaber rasch sein Getränk auf dem Tisch abstellte und mit den Händen Zeichen gab, dass er sich beruhigen solle. Er kniete zu ihm nieder. "Was ist passiert... Bitte..."
Komplett desillusioniert blickte Ghost ins Leere, nun komplett gebrochen. "Sie wurden getötet. Sie wurden alle getötet. Auch ich sollte sterben. Sie sind Alle fort. Einfach Alle. Und wer noch lebt, wird bald sterben."
Es schmerzt... Es schmerzt so sehr... Doch es ist ein süßer Schmerz. Ein Schmerz, den ich aushalte, bei dem es mir besser geht. Ich kann kaum noch Atmen, die Luft wird knapp, ich sehe nichts mehr, die Dunkelheit hat mich wieder in seinen Klauen, es ist kalt, kalt von Kopf bis Fuß und ich kann nicht mehr ich will nicht mehr ich halte es nicht aus ich bin alleine ich bin verloren es schmerzt es schmerzt...
Und doch ist es ein süßer Schmerz. Die warmen Arme, die sich um ihn schlangen, die ihn aus der Kälte hervorholten. Die Emotionen, die er endlich rauslassen konnte, machten nun Platz für Neues. Die Erschöpfung ergriff ihn und er konnte endlich rasten. Ein wenig schlafen, nicht um sich von seinen Wunden zu erholen, aber von seinem Geist.

"Ghost! Find ich zwar ein wenig übertrieben, aber es passt dennoch irgendwie."

Die Schatten hatten sich schon gebildet durch das Licht, das durch das Fenster in den Raum leuchtete, als Ghost endlich wieder aufwachte. Das fremde Bett und das ihm fremde Zimmer verwirrten ihn zunächst, ließen ihn aber gleich wieder daran erinnern, dass er gestern bei Tukson war und das hier wahrscheinlich sein Zimmer sein musste.
Die Güte seines Freundes war wirklich unübertroffen. Er musste grinsen bei dem Gedanken, merkte dabei aber, dass es ziemlich streng war, diese einzelne Bewegung zu vollführen. Er strich sich mit der Hand über das Gesicht und über die nun von Tränen zugetrockneten Stellen. Auf einmal war es ihm peinlich, was er gestern Abend alles gemacht hatte. Ghost fühlte sich, als hätte er die Hilfsbereitschaft seines Freundes ein wenig ausgenutzt und beschloss, ihm nun wirklich Alles zu erzählen und ihm für seine Hilfe zu entlohnen.
Ghost stand auf, schaute sich kurz in seinem Schlafplatz um und wollte erst einmal eine warme Dusche nehmen. So konnte er nicht draußen rumlaufen. Vorsichtig darauf bedacht, dass der Verband nicht nass wird, umwickelte er ihn mit einem Plastiksack, bevor er sich wusch.
Als er fertig war und aus dem Waschraum austrat, sah er, dass sein Freund ihm frische Kleider zum Anziehen vorbereitet hatte. Ein paar schlichte Kleider, jedoch von guter Qualität. Dieser Anblick schickte ein erneutes Lächeln über seine Lippen. Es waren Tuksons Lieblingskleidungsstücke. Jedes Mal, wenn sie was zusammen unternommen hatte, hatte er sicher diese Kleider mitgenommen. Sie hatten ihn durch vieles durch begleitet. Somit war es eine umso größere Geste von ihm, dass er sie Ghost anbot.
Nachdem er sich endlich komplett vorbereitet hatte, trank er noch einen Schluck aus dem Wasserhahn und trat schließlich hinaus. Einen Gang entlang und die Treppe hinunter befand sich das Büro, indem sie am Abend zuvor noch ein Tässchen getrunken hatten. Und durch die nächste Tür am Ende des Raumes war schlussendlich der eigentliche Laden.
Er trat ein und blickte sich um. Mit Erstaunen stellte er fest, dass die Lichter aus waren und die Fenster abgedunkelt. Ein wenig verwirrt, nahm er noch ein bis zwei Schritte in den Raum hinein.
Da lag Tukson, ausgebreitet auf dem Boden. Seine Augen starrten direkt zu Ghost hinüber. Kein Blinzeln. Kein Zucken. Kein Atmen.
Stille bedeckte den Raum. Genau die Stille, vor der Ghost immer Angst hatte. Stille und Dunkelheit.
Niemand war mehr da.
Ghost wusste nicht, was er tun sollte, was er tun konnte. Nur diese eine Erkenntnis traf ihn.
Eine Minute verging, bis er zusammensackte, mit dem Rücken an die Wand und dort sitzen blieb.

Eine Stunde später öffnete sich die Hintertür zu Tuksons Buchhandlung. Ghost hatte sich in Ruhe noch von seinem alten Freund verabschiedet, ein wenig Proviant eingepackt und die Kleidung gewechselt. Die Kleidung, die er von Tukson bekommen hatte, wollte er bei ihm lassen.
Nun in einem Aufzug gekleidet, die seine Identität verstecken sollte, schlich er durch Nebengassen und abgelegen Orte. Seine Kapuze raubte ihm zwar manchmal den Blick und das Halstuch vor der Nase erschwerte das Atmen, doch gewöhnte er sich schnell daran.
Sein Ziel war klar. Rausfinden, was für ein Spiel hier gespielt wird. Angefangen bei seinem letzten Wohnort: Pestileia. Wer war der Gott dieses Schachbretts und missbrauchte ihn und seine Freunde als einfache Bauernopfer. Das musste ein Ende haben.
Er hatte nichts mehr zu verlieren. Er war ganz alleine. Nein, nicht einmal er selber schien noch am Leben zu sein. Er war nur noch ein Schatten seiner Selbst. Ein Geist.

"Find ich zwar ein wenig übertrieben, aber es passt dennoch irgendwie."

"Ghost"

A Faunus TaleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt