Kapitel 16

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Mit einer Feuerwaffe in der Einen, mit Ghost’s beilbestpickten Stab in der anderen Hand, schlich Harry durch die Tunnel vor. Bei jeder Ecke hielt er zuerst inne, um nachzusehen, ob die Luft rein war.
Mit einem Wink bedeutete er Ghost, der noch immer in Gestalt eines aufrechtstehenden Wolfes, dem ein Arm fehlte, umherlief, dass es sicher war.
Gemeinsam liefen sie durch den unterirdischen Irrgarten auf dem Weg nach draußen.
Ghost wurde seine Gestalt unangenehm und der Schmerz an seinem Stumpf setzte wieder ein. Es war das erste Mal, dass er mit nur einer Hand in diese Gestalt gewechselt war. Dementsprechend war es auch sehr ungewohnt und bizarr. Bald würde sein Aussehen sich aber wieder regenerieren.
Der Lärm von vorhin war verstummt. Im ganzen Bereich schienen sich keinerlei Wachen mehr umherzutreiben. Die Gänge waren wie leergefegt und auch im Hauptraum fehlte der Zug. Ghost war sich nicht einmal sicher gewesen, ob sich dieses Gefährt noch bewegen konnte. Es war ihm mehr wie ein fester Standpunkt vorgekommen. Außerdem sollten die Schienen zu Sackgassen führen.
Sie schlichen weiter. Harry führte sie auf direktem Weg zum Ausgang. Nur einmal hatten sie Feindkontakt, doch verzogen die sich von allein und würdigten die Entkommenen keines Blickes.
Als Harry das Tor öffnete, das den Untergrund von der frischen Luft der Außenwelt trennte, blendete sie beide das Licht der aufgehenden Sonne.
Wie hatte Ghost diesen Anblick vermisst.
Sie schlüpften hinaus, liefen noch ein paar Schritte weiter, bis sie sich sicher waren, dass sie niemand mehr entdecken konnte. Beide setzten sich auf den Boden und atmeten tief durch. Ghost war wieder komplett zu seiner alten Gestalt transformiert.
Harry blickte gehässig zu ihm hinüber. „Ich dachte du hättest das unter Kontrolle? Du warst es doch, der gesagt hat, er würde diese Form nie wieder benutzen.“
Ghost keuchte ehe er antwortete: „Wie immer lebst du hinterm Mond. Deine Informationen sind veraltet. Und pass bloß auf, dass du diese Form nicht zu spüren bekommst.“
Harry öffnete seinen Mund, entschied sich dann aber dagegen und schloss ihn wieder. Sie saßen noch eine Weile da.
„Danke fürs Rausholen“, sagte Ghost.
Harry drehte sich verwundert zu ihm. Einen Augenblick später wurde sein Gesichtsausdruck wieder so hart wie eh und je. „Lass mich das nicht bereuen. Du siehst übel aus. Hier!“ Harry warf seinem Bruder einen metallenen Gegenstand zu. Ghost fing es auf und hielt es gegen das Licht. „Das ist ein Abzeichen. So gibst du dich als mein Freund zu erkennen. Geh zum nächsten Gasthaus und zeig es ihnen. Sie werden dich aufpäppeln und versorgen. Außerdem glaube ich, dass das auch dir gehört.“
Ghost betrachtete das Abzeichen noch eine Weile, ehe er seine Waffe von Harry entgegennahm. Ghost bedankte sich knapp bei ihm. Dieser schüttelte jedoch gleich den Kopf. „Ich tu das nicht für dich.“
Schweigen.
Harry war, wie immer, sehr zurückhaltend und abweisend. Dennoch hatte er ihn, seinen Bruder, gerettet, obwohl sie einen schlechten Kontakt hatten. Das Band zwischen Brüdern konnte wohl doch nicht so einfach gebrochen werden.
Harry regte sich, kratzte sich am Rücken und stand schlussendlich auf. „Dann trennen sich unsere Wege wieder. Ich wünsch dir eine gute Reise“, meinte dieser und drehte sich um.
Ghost drehte sich sofort nach ihm um und rief ihm nach: „Warte. Wo willst du denn hin?“
Harry blieb stehen und schnaubte. „Nicht, dass es dich zu interessieren hätte, aber ich gehe zurück zu Adam, Bericht erstatten.“
„Warum willst du nach all dem zurück zur White Fang?“, fragte Ghost ihn ungläubig.
„Ich habe gesagt, ich gehe zu Adam, nicht zur White Fang! Ihn wird interessieren, was hier vorgefallen ist und Maßnahmen werden getroffen werden müssen. Für dich wäre es am besten, wenn du mir nie mehr in die Quere kommst. Das würde dein Ende bedeuten.“
Ghost schluckte. „Das kann doch nicht dein Ernst sein! Du gehst zu deinen Peinigern zurück? Du lässt dich wieder zu einem Schoßhund degradieren? Was glaubst du, würde Zena darüber denken?“
„Sei still!“, fauchte Harry ihm dazwischen. „Erwähne ihren Namen noch einmal und es wird das Letzte gewesen sein, das du gesagt hast. Glaubst du, ich vermisse unsere Schwester nicht auch? Im Gegensatz zu dir, tue ich etwas gegen die Ungerechtigkeit, die unsere Familie heimsucht. Im Gegensatz zu dir, lass ich Taten folgen. Ich habe viel mehr für die Sicherheit der Faunus und damit auch zur Sicherheit von Zena und dir beigetragen, als du es jemals wirst!“
Ghost lehnte sich zurück und antwortete ganz ruhig: „Du meinst genau so sicher wie unsere Eltern?“
Harry war die Wut regelrecht anzusehen. Sein Kopf wurde komplett rot und er versuchte auszusprechen, was ihm in den Sinn kam, doch hielt er sich krampfhaft davon ab.
Schlussendlich meinte er: „Du hast echt keine Ahnung, was in dieser Welt alles abgeht.  Du warst immer nur am Reisen und den Gutmenschen am Spielen.“
„Was weißt du schon über mich?“, fragte Ghost ihn provokativ.
„Was weißt du denn schon über dich? Warum wanderst du blind umher auf der Suche nach Antworten? Weißt du denn endlich, was es mit deinem Gestaltwechsel auf sich hat?“
Ghost hielt kurz den Atem an. Er haderte kurz mit Worten. Schließlich ignorierte Ghost diese Gedanken und antwortete ihm: „Wenigstens weiß ich, wo ich hingehöre. Ich kann wenigsten behaupten, dass ich für meine Schwester und für fast meine ganze Familie immer da war. Kannst du dasselbe von dir sagen?“
Harry verstummte. Er wandte sich ab von Ghost. „Wage es nie wieder dich blicken zu lassen. Andernfalls kann ich für nichts mehr garantieren.“
Ohne ein weiteres Wort verschwand Harry in der Ferne.
Ghost war leicht wütend über die Anmaßungen seines Bruders und versuchte sie zu verarbeiten. Er blieb noch eine Weile dort am Wegesrand liegen, ehe er sich noch einmal das Abzeichen ansah, sich zusammenriss und aufstand.

A Faunus TaleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt