Kapitel 1

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Diese Geschichte wurde von mir auf Fanfiktion.de am 10.09.2019veröffentlicht und am 20.04.2020 beendet.




„Ich halte das immer noch für eine dumme Idee.", hörte er Rose Stimme ängstlich durch das Telefon. „Was wenn dein Vater bei uns auftaucht? Was dann?"
Er rollte mit den Augen, während er an den Hochhäusern entlang lief.
„Er wird nicht auftauchen. Ich habe ihm geschrieben, dass ich die ersten Wochen bei deiner Familie oder bei Albus sein werde. Er hat es erlaubt." Wieso geriet sie jetzt so in Panik? Sie hatten das alles durchgesprochen. „War er heute am Bahnhof?"
Rose seufzte.
„Nein, natürlich nicht."
Wieso also dieses unnötig Telefonat?
„Es hat doch alles super geklappt."
Seine verfrühte Abreise war sogar reibungslos abgelaufen. Er hatte es einfach seinem Hauslehrer erklärt und dieser hatte nicht weiter nachgefragt, sondern die Genehmigung unterschrieben.

„Hast du dich zu Recht gefunden am Flughafen? Hat alles geklappt?", fragte Rose und er rollte mit den Augen.
„Ja, alles ist gut. Wir haben doch alles durchgeplant."
„Und jetzt? Was hast du vor?"
„Ich bin auf den Weg zu meiner Mutter."
„Hast du ihre Adresse?"
Er nickte, obwohl er wusste, dass sie ihn nicht sehen konnte.
„Jep. Ich war im MACUSA und habe die Urkunde und den Antrag aus England vorgelegt und erklärt, dass ich sie suche. War alles kein Problem. Die müssen mich ja irgendwo unterbringen. Bin ja minderjährig. Die haben mir ihre Wohn- und Arbeitsdresse gegeben."
„Du hast mehr Glück, als ein verdammter Kobold, Scorp."
„Ja, ich weiß.", gluckste er und blieb vor einem Wolkenkratzer stehen, der offenbar Büroräume beinhaltete.

„Rose, ich muss jetzt Schluss machen.", fing er an, als er sah, dass er richtig war. „Halt dich einfach an den Plan und hör auf dir Sorgen zu machen. Keiner außer uns Freunden weiß Bescheid. Wenn du weiter die Klappe hältst, wird das auch so bleiben."
Rose schnaubte.
„Ich verplappere mich nicht."
„Das hoffe ich. Ich verlasse mich auf dich Rosie. Ich melde mich wieder"
Er legte auf und sah hoch zu dem Gebäude. Sein Herz schlug schnell in der Brust. Er spürte die Aufregung wieder deutlich. Bevor er England verlassen hatte, glaubte er, dass er aufgeregt war, weil er nicht wusste, ob sein Plan klappte. Doch jetzt... jetzt wurde ihm bewusst, was er im Unterbewusstsein schon längst klar gewusst hatte. Er war aufgeregt, weil er das erste Mal seiner Mutter leibhaftig gegenüberstehen würde.

So lange wartete er schon darauf. So lange hatte er sich diesen Augenblick vorgestellt. Im Kindergarten hatte er schon immer gefragt, aber weder sein Vater noch seine Großeltern hatten über sie gesprochen. Niemals. In der Grundschule hatte er dann seinen Vater so lange gelöchert, angebettelt und geweint bis er ein paar alte Bilder ausgegraben hatte. Aber darauf war seine Mutter gerade mal zwei Jahre älter, als Scorpius jetzt selbst war. Sechzehn. Sie wäre jetzt dreißig. Ob er sie überhaupt erkennen würde? Als er älter wurde, hatte er nicht lange gebraucht, um herauszufinden wer sie war. Auch, wenn jeder in seiner Familie das Thema totschwieg.

In Hogwarts hatte er noch mehr erfahren, weil sie dort aktiv gewesen war. Sehr aktiv. Zumindest bis sie von der Schule gegangen war. Jedes kleinste Detail was er rausfinden konnte, hatte er aufbewahrt wie ein Schatz. Wie seine Geburtsurkunde. Mit der Urkunde, die er vor seinem dritten Jahr genommen hatte, um bei Rose Mutter einen Antrag zu stellen, um herauszubekommen, wo seine Mutter hingezogen war und jetzt war er hier. Dazu hatte er nämlich das Recht. Das Recht seine Mutter kennenzulernen. Amerika. Hier war sie hingezogen und hier war sie immer noch, laut MACUSA. Er war hierher gegangen, zu ihrer Arbeitsstelle, weil er nicht wusste, ob sie Zuhause war. Es war mitten am Tag. Normale Menschen arbeiteten um diese Zeit. Er atmete schwer aus.

Darauf hatten sie doch das ganze dritte Schuljahr hingearbeitete. Seine Freunde und er. Scorpius Plan umzusetzen. Nach Amerika zu reisen, seine Mutter zu finden und mit ihr zu reden. Alle Fragen zu stellen, die er hatte. Sie kennenzulernen. Und der Plan war doch geglückt. Das dritte Schuljahr war rum und er war hier. Er schluckte hart. Und wenn sie ihn nicht sehen wollte? Kein Interesse an ihn hatte? Rose sagte immer, jede Mutter liebt ihre Kinder. Aber seine Mutter ... war nicht bei ihm geblieben. Hatte nie Kontakt gesucht und er wusste nicht wieso. Niemand wollte ihm das sagen. In seinem Zuhause war es ein unausgesprochenes Gesetz darüber nicht zu reden. Er atmete tief ein und aus, bevor er eintrat in die Vorhalle des Bürogebäudes. Er hatte dieses Schweigen endgültig satt.

Er ging zu dem Empfang und ein etwas beleibter Mann sah auf. Er schien Scorpius skeptisch zu mustern.
„Guten Tag, Sir.", sagte er ruhig. „Ich will..." Er räusperte sich. „Ich möchte zu Astoria Greengrass."
Der Mann zog seine buschigen Brauen nach oben.
„Junge, hier sind eine Menge Firmen vertreten. Du musst mir schon sagen, wo genau du hin willst."
Er merkte, wie er rot wurde und kramte nach dem Zettel, denn er im MACUSA bekommen hatte.
„Oh ich ..." Er las die Notiz von der Ministeriumshexe. „Ähm Walter & Partner."
Der Mann nickte.
„Verstehe. Das Architekturbüro. Ist in der siebenundvierzigsten Etage."
„Danke.", sagte Scorpius aufgeregt und ging Richtung Aufzüge.
Er stieg ein und schulterte seinen Rucksack. Er fuhr sich durch seine blonden Haare und wusste, dass sie vermutlich noch unordentlicher aussahen als zuvor. Es war ihm scheißegal. Er würde heute seine Mutter treffen. Nur das zählte.

Er kam in einem Stockwerk an, das sehr hell gehalten war und mit viel Glas dominierte. Glas und Holz. Eine junge Frau, blond, sah am Empfang auf und grüßte ihn freundlich. Nein, sie war nicht seine Mutter. Seine Mutter hatte dunkles Haar. Vielleicht gefärbt? Die Augen der Frau waren grün. Definitiv nicht seine Mutter. Seine Mutter hatte blaue Augen. Seine Augen. Das wusste er mit Sicherheit.
„Ich... ich muss zu Astoria Greengrass. Ist sie heute da?", fragte er und die Frau lächelte.
„Sie ist da. Moment, ich frage nach, ob sie Zeit hat."
Sie griff nach dem Hörer, wählte eine Nummer und meinte dann knapp am Telefon, dass jemand da sei. Keine Namen. Keine weitere Erklärung. Als sie auflegte, blickte sie Scorpius freundlich an.
„Das dritte Büro rechts. Einfach nach hinten gehen. Gerade aus."
Er bedankte sich und ging.

Er atmete stockend. Jeder Schritt kam ihm schwer vor. Sein Herz schlug hart gegen seine Brust. Er zögerte, als er das Büro erreichte. Die Tür war angelehnt. Er klopfte nicht, drückte sie zitternd auf und sah sie einen Moment einfach nur an. Sie wirkte so jung. Dreißig war wirklich kein Alter. Viele heirateten erst in dem Alter. Seine Großmutter sagte, dass nach dem Krieg damals viele es übertrieben hatten. Er konnte sich nicht vorstellen zu früh zu heiraten. Aber dreißig... dreißig war kein Alter. Und sie sah nicht aus, wie eine Mutter. Sie wirkte modern. Sie trug ihr Haar offen, es fiel ihr glatt über den Rücken, während sie erkennbar in einem Aktenschrank etwas suchte. Jeans eine ärmellose Bluse. Das war seine Mutter. Seine Mutter.

Er klopfte und die Frau wirbelte herum. Blaue Augen trafen dieselben. Seine Augen. Ihre, die sie ihm gegeben hatte. Es regte sich etwas in ihren Augen. Sein Hals fühlte sich so trocken an. Er räusperte sich.
„Ich weiß nicht ..." Wo sollte er anfangen? „Ich bin....", fing er erneut an und sie überbrückte den wenigen Abstand.
„Scorpius.", sagte sie zitternd und zog ihn im nächsten Moment an sich.
Umarmte ihn fest. Er blieb einen Augenblick stocksteif stehen, bevor er die Augen schloss. Merkte, wie er weinte. Er nahm ihre Wärme wahr. Ihren angenehmen Duft. Ihre Umarmung.
„Mama.", wisperte er leise.
Endlich.

Gestohlenes GlückWo Geschichten leben. Entdecke jetzt