Kapitel 4

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Scorpius wusste nicht genau, was er erwartet hatte, aber bis jetzt wurde einfach alles übertroffen. Würde Albus fragen, wie seine Mutter war, würde er behaupten, dass sie einfach ein großartiger Mensch sei und wohl die coolste Mutter die es gab. Er hatte noch nichts gefragt über die Vergangenheit, aber dafür hatte sie ihn ausgefragt. Schien an allem interessiert zu sein, was er tat, was er war und was ihn ausmachte. Und Scorpius hatte bereits Gemeinsamkeiten entdeckt. Sie interessierte sich für Literatur, so wie er. Wenn sie lachte hatte sie Grübchen. Grübchen, die er von ihr geerbt hatte. Sie liebte das herzhafte Frühstück, so wie er und sie trank gerne Kakao und naschte unheimlich gerne. Sie hatte eine gigantische Auswahl an Süßigkeiten in ihrer Wohnung bunkern.

Am ersten Morgen, den richtigen ersten Tag mit seiner Mutter, war sie mit ihm in einem Kaffee gewesen und Scorpius glaubte noch nie so gute Törtchen gehabt zu haben. Seine Mutter konnte kochen, unglaublich gut kochen. Sicher in Manor gab es ausgezeichnetes Essen, was erwartete man von Elfen auch anderes. Aber er hatte noch nie mit seiner Großmutter oder seinem Vater gekocht. Mit seiner Mutter machte er das jeden Abend. Wobei es immer mehr dabei endete, dass er ihr zusah. Er sah ihr generell gerne zu. Prägte sich Handbewegungen von ihr ein. Ihre Mimik, wenn sie sprach, lachte oder etwas ernster wurde. Er zog alles auf wie ein verdammter Schwamm, als würde er Angst haben, dass alles nie wieder sehen zu können. Und diese Angst hatte er ständig. Er hatte das Gefühl, nur begrenzte Zeit mit ihr zu haben.

Neben dem Punkt, der ihm am wichtigsten war, nämlich seine Mutter kennenzulernen, zeigte sie ihm die Stadt. Magische und Nichtmagische Plätze und wenn Scorpius etwas gelernt hatte, dann das diese Stadt niemals schlief. Es herrschte immer ein Treiben in der Stadt, egal ob er mitten in der Nacht aufwachte oder früh morgens aufstand. Sie schien zu pulsieren und in manchen Teilen der Stadt, war es Scorpius einfach zu hektisch. Aber damit konnte er leben, solange er seine Mutter hatte. Astoria hatte sich so gut wie möglich freigenommen. Termine verschoben oder abgesagt. Nun, fast alle.

Den Termin heute konnte sie nicht absagen. Sie musste die Übergabe mit den Männern regeln, die ein altes Fabrikgebäude umgebaut hatten in moderne Lofts und das nach ihren Plänen. Wie cool war das denn überhaupt? Seine Mutter entwarf Häuser, Wohnungen und andere Dinge. Sie war eine Architektin. Er kannte keine magischen Architekten, zumindest wurde ihm noch nie jemanden mit diesem Beruf vorgestellt und seine Mutter arbeitete in einer Firma wo gut ein Dutzend Hexen und Zauberer dort arbeiteten. Das gleiche wie sie machten. Und sie machte ihre Arbeit gut.

Das Loft, das er gerade ansah, während seine Mutter mit dem Bauleiter sprach, war unbeschreiblich schön. Große Fenster waren in das alte Gemäuer eingelassen worden. Ein dunkler Holzboden verlegt worden. Doch am beeindruckendste, war der eingelassene Wintergarten von oben. Man gelangte durch die moderne Holz- und Eisentreppe einerseits in die oberen Räume und anderseits in eine Art Wintergarten, der wiederum aufs Dach und dort auf die Dachterrasse führte. Das Coole an der ganzen Sache war, dass es aussah, als hätte man einen Glaswürfel in den Raum integriert. Einen Glaswürfel, der wenn er erst einmal Pflanzen und andere Gartenmöbel beherbergte einfach sich harmonisch in das Gesamtbild einpasste. Er grinste und sah wieder nach draußen. Es war überwältigend schön. Jeder der hier wohnte, würde sich wohlfühlen, da war er sich sicher.

„Na?", fragte ihre vertraut gewordene Stimme und sie kam auf ihn zu. „Alles in Ordnung?"
Er nickte.
„Klar doch. Mach dir keinen Gedanken. Bist du fertig?"
Sie lächelte.
„Ja. Endlich." Sie sah auf ihre Armbanduhr. Sie wirkte immer so chic gekleidet. Sie würde gut zu seinem Vater passen in seinen teuren maßgeschneiderten Anzügen. Sie trug ihre Haare heute zu einem hohen Pferdeschwanz. „Zeit Mittag zu essen.", verkündete sie und sah ihn wieder an. „Hast du auf etwas bestimmtes Lust?"
Er zuckte mit den Schultern. Sie hatte ihm praktisch schon so viele gute Läden und Stationen zum Essen gezeigt, dass er gar nicht wusste, was er wählen sollte.

Das Lokal, zu dem sie gingen, war offenbar nicht weit weg. Sie gingen zu Fuß. Generell wurde hier selten Appariert. Zu viele Muggel, die sie sehen könnten.
„Ist es schwer?", fragte er und hielt mit ihr Schritt.
„Was schwer?", fragte sie und runzelte dabei die Stirn.
„Dein Beruf."
Er hatte heute sogar in ihrem Büro gesehen, dass sie einige Auszeichnungen ergattert hatte.
„Nun, man muss wohl einen Blick für Ästhetik haben und etwas Kreativität mitnehmen.", erklärte sie. „Schwerer ist es wohl alles magisch zu sichern. Kompatibel zu machen. Gerade hier in New York, wo Haus an Haus steht. So viele Menschen aufeinander leben. Sicher, es gibt Zauber, die die Gebäude für Muggel unscheinbar aussehen lassen. Aber du kannst nicht jedes Haus marode oder ganz verschwinden lassen."
Nun es würde vermutlich ein seltsames Bild abgeben.

„Zum Beispiel in dem Haus wo wir waren. Es sieht für alle gleich aus von außen. Der Clou liegt darin, dass die Fenster und die Dachterrasse mit einem Täuschungszauber belegt sind. Nehmen wir an, du lässt gerade ein Buch durch den Raum schweben und der Nachbar in der gegenüberliegenden Wohnung sieht in dein Wohnzimmer, dann sieht er das nicht."
„Verstehe. Man muss es also so schützen, dass das Geheimhaltungsabkommen nicht verletzt wird."
Sie nickte zustimmend.
„So ist es und du musst es natürlich schützend für Magie bauen. Die Zauber dürfen auch nicht nachlassen nach ein paar Jahren. Es ist alles eine Frage der Planung und der richtigen Zaubersprüche."
„Hört sich verdammt kompliziert an."
Sie lachte und legte ihm einen Arm um.
„So kompliziert ist es gar nicht."

Sie betraten zwei Straßen weiter ein Lokal namens Auszeit. Es wirkte eher gemütlich mit den breiten Sitzmöglichkeiten und Stühlen die entweder in dunkelrotes oder braunes Leder gehüllt waren. Sie bekamen einen Platz Recht weit hinten und als Scorpius sich nicht entscheiden konnte, was er essen sollte, bestellte er das gleiche wie seine Mutter. Steak mit Gemüse.
„Mum.", fing er an, als der Kellner weg war, nachdem er ihre Getränke gebracht hatte und sie sah ihn an. Sie wirkte so verdammt jung. Er wusste, dass die Eltern seiner Freunde nicht gerade älter waren, was damit zu tun hatte, dass es offenbar nach der Besiegung des Dunklen Lord, alle übertrieben hatten mit dem Heiraten und schnell Kinder kriegen. „Wolltest du schon immer Architektin werden?"

„Ähm..." Sie schien darüber nachzudenken. „Ich war schon immer sehr kreativ.", erklärte sie. „Ich habe gerne gezeichnet und gemalt. Eigentlich habe ich mit den Gedanken gespielt Zauberstabmacherin zu werden. Ollivander hätte damals jemanden gesucht. Also nicht sein Sohn, denn du vermutlich kennst, sondern noch beim alten Ollivander." Der kurz nach dem Krieg gestorben war, ja das wusste er. „Und es hat mich fasziniert. Vermutlich mehr die Möglichkeit die Stäbe zu designen."
„Was hat sich daran geändert? Wolltest du plötzlich nicht mehr das machen?"
Sie schien rot zu werden und senkte plötzlich den Blick.
„Das ist ... alles schon lange her und ... einfach ein wenig kompliziert."

Sein Herz schlug dumpf. War es das? Konnte es sein, dass es zusammenhing mit dem, was er eigentlich wissen wollte? Warum sie gegangen war? Ihn verlassen hatte? Er zögerte und entschied sich dann für eine andere Frage.
„Wie haben Dad und du euch kennengelernt?"
Sie blickte ihn wieder an.
„Was hat dein Vater dir den erzählt?"
Er schüttelte den Kopf.
„Nichts." Er lächelte schwach. „Niemand hat mir etwas erzählt."
Deshalb interessierte es ihn ja so. Wieso waren seine Eltern nicht zusammen wie die andern Eltern seiner Freunde? Warum war er nicht mit seinem Vater und ihr aufgewachsen?

„Nun.", fing sie an und atmete tief ein und aus. „Dein Vater und ich haben uns schon lange vor unserer Schulzeit gekannt. Aber damals hatten wir weniger Kontakt miteinander. Man kannte sich. Meine Schwester, deine Tante, ging mit ihm sogar in eine Klasse." Er nickte stumm. Das wusste er. „Als dein Vater damals das siebte Jahr wiederholen musste, also nach dem Krieg, kam ich in den sechsten Jahrgang und ... nun ja, plötzlich hatten wir mehr Kontakt." Er legte den Kopf schief, als sie ihr Glas umfasste. Mit ihren Fingern den Rand nach fuhr. „Weißt du, unsere Häuser waren damals sehr unterbesetzt. Wegen dem Krieg. Wir haben Zeit miteinander verbracht. Zusammen gelernt, gesprochen uns zugehört und irgendwie ... kam dann alles zusammen."

Und wieso waren sie dann nicht mehr zusammen? Nicht verheiratet wie die anderen Eltern?
„Hat er dich nicht geliebt?", wollte Scorpius wissen.
Diese Unsicherheit, die Angst, dass sein Vater seine Mutter nur ausgenutzt hatte, lag schwer auf seiner Brust. Sie lächelte traurig.
„Doch ich denke schon, Scorp. Wir haben sehr viel füreinander empfunden." Sie atmete schwer aus. „Aber manchmal reicht das eben nicht aus. Verstehst du?"
Nein, tat er nicht. Oder zumindest wollte er das nicht. Hatten sie nicht einmal genug füreinander empfunden, damit sie in England blieb? Genug für ihn empfunden? Er wollte das Fragen, glaubte aber mit Sicherheit, dass es nicht der richtige Zeitpunkt war.

„Er ist nicht verheiratet. Weißt du?" Sie wirkte irritiert und Scorp merkte, wie er rot wurde. „Also ... ich meine ... , dass solltest du wissen." Sie sah ihn immer noch verunsichert an. „Obwohl Großvater ihn seit Jahren damit nervt."
Ein ständiges Streitthema im Hause Malfoy.
„Verstehe.", meinte sie knapp.
Wirklich?
„Bist du... ich meine, hast du einen Freund oder so?"
Sie war sicher nicht verheiratet, sonst hätte er den neuen Mann in ihrem Leben schon kennengelernt. Sie trug keinen Ring, also ging er davon aus, dass sie auch nicht verlobt war. Aber einen Freund konnte er nicht ausschließen. Sie wurde rot.
„Ich... habe mich vor kurzen mit einem guten Freund getroffen. Aber nein, ich bin momentan in keiner Beziehung."

James würde jetzt vermutlich auf die verrückte Idee kommen, Scorps Eltern wieder miteinander zu verkuppeln und für einen Augenblick hegte sogar Scorp diesen Gedanken. Was, wenn beide immer noch füreinander fühlten? Gäbe es dann nicht irgendeine Chance für die Beiden?
„Scorp.", sprach sie sanft und griff nach seiner Hand. Drückte sie. Und er sah sie an. „Ich weiß, dass du viele Fragen darüber hast und ich will dir so viele beantworten wie möglich." Er nickte zustimmend. Ja, er hatte Fragen. Viel zu viele. „Vielleicht sollten wir uns dafür mehr Zeit nehmen. Am Wochenende könnten wir raus aus der Stadt fahren."
Nun ob raus aus der Stadt oder hier, war ihm eigentlich egal.

„Und du kannst mich alles Fragen, wirklich alles.", versicherte sie ihm. „Es kann sein, dass ich... manche Fragen nicht gleich beantworten kann." Er zog eine Braue nach oben und sie senkte den Blick. „Und es wird sicher auch Fragen geben, die ich besser nicht alleine beantworten sollte, sondern mit deinem Vater.", fuhr sie fort.
„Zum Beispiel warum du England verlassen hast."
Ihre Hand schien kurz zu zitternd.
„Was hat dein..."
„Dad hat mir gar nichts erzählt. Keiner tut das. Es ist so, als wäre das alles ein furchtbares Geheimnis.", unterbrach er sie und sie blickten sich wieder an.
„Scorp ich..."
Ihre Stimme brach. Er drückte ihre Hand.
„Du musst es mir nicht jetzt erzählen." Sie nickte stumm. „Aber irgendwann muss ich die Wahrheit erfahren."
Auch, wenn er sich davor fürchtete.

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