| 35 | 𝐌𝐢𝐥𝐞𝐬

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Ein wenig gestresst fuhr ich die enge Landstraße entlang und war auf dem Weg zum Weingut, hinter dem die Halle lag. Jackson wollte sich mit uns treffen und obwohl ich sonst immer pünktlich war, hatte ich mir heute wohl etwas zu viel Zeit gelassen.

Aber der Letzte war ich allen Anschein nach nicht, denn hinter mir vernahm ich ein bekanntes Motorengeräusch. Ein Blick in den Rückspiegel zeigte mir, dass es Ryans grüne Kawasaki war, die sich ebenfalls die Straßen hinauf schlängelte. War ja klar, dass er mal wieder maximal auf den letzten Drücker kam, aber es war schon deprimierend zu wissen, dass man so spät kam.

Damit war das Rennen eröffnet. Wenn ich jetzt sogar nach Ryan kommen würde, hätte ich mich echt blamiert. Wir beide beschleunigten, obwohl wir fast da waren.

Allerdings wurde unser kleines Rennen unterbrochen, als ein riesiger brauner Hund vor mein Motorrad sprang! Geschockt zog ich die Kupplung und betätigte beide Bremsen, um noch rechtzeitig zum Stehen zu kommen. Das ABS ratterte und mich schleuderte es fast über den Lenker. Ryan neben mir, erging es da nicht anders. Das würde eine schöne Spur auf dem Asphalt geben.

Das blöde Vieh war so schnell weg, wie es gekommen war und gehörte wahrscheinlich einer der Gäste der Vineyards.

Noch immer sah ich geschockt auf die Straße. Nur knapp war ich einem Unfall entgangen und genau das löste bei mir einen Flashback aus. Wieder tauchten die Bilder vom Unfall vor meinem inneren Auge auf. Nur dieses Mal nicht wie ich in dem geschroteten Mercedes lag, Schmerzen hatte und meine toten Eltern sah. Sondern wie wir im Auto saßen, und uns vertraut miteinander unterhielten, bevor wir mit dem anderen Wagen kollidierten und von der Straße abkamen. Das waren die letzten Sekunden vor dem Unfall.

Ich bemerkte gar nicht, dass ich stehengeblieben war. Erst als ich Ryan von hinten sah, wie er mit Vollgas zur Halle fuhr, realisierte ich, dass ich mitten auf der Straße stand und mich krampfhaft am Lenker festhielt.

Peinlich berührt senkte ich den Kopf und atmete einmal tief durch. Vielleicht sollte ich zur Abwechslung doch mal auf meinen Onkel hören.

Noch etwa zittrig ließ ich den Motor wieder angehen, nachdem ich in den Leerlauf ging und konzentrierte mich aufs gleichmäßige Atmen. Viel langsamer und stockender als normalerweise fuhr ich los und man konnte vermutlich von weitem sehen, dass etwas mit meiner Fahrweise nicht stimmte.

Bei der Halle angekommen nahm ich meinen Helm ab und stieg so gelassen wie möglich von meiner Maschine, nachdem ich sie auf den Seitenständer gestellt hatte. Doch egal wie sehr ich mich anstrengte, ich konnte das Zittern einfach nicht verbergen.

Als ich meinen Blick hob sah ich direkt in Jacksons Augen, die mich scannten. Es war derselbe Blick mit dem Nero damals Jacks angesehen hatte, als dieser verprügelt worden war. Nur jetzt galt dieser Blick mir.

Es war ein Mix aus Besorgnis, Misstrauen und Verwirrung. Nur kein Mitleid, das war das Letzte was ich brauchte. Ich fühlte mich total unwohl unter seinem Blick und mir entging auch nicht, dass mich die anderen komisch musterten. Nur Ryan schien es nicht zu bemerken, da er sich total freute, mal nicht Letzter zu sein.

„So Leute, jetzt sind wir ja da. Also gehen wir rein?", fragte Ryan gut gelaunt. Er schien echt nichts zu bemerken und darüber war ich auch sehr froh.

Der schwarzhaarige Alpha räusperte sich. „Ähm, ja klar", sagte er und wir betraten die Halle. Ich wollte ihnen folgen, doch Jackson packte mich am Arm und sorgte dafür, dass wir ganz hinten liefen und uns die anderen nicht hörten. „Was war das gerade?", fragte er besorgt und streng zugleich. Ich blieb stehen und sah ihn nervös an.

„Das war nichts, mich hat nur dieser blöde Hund überrascht", versuchte ich ihm zu erklären.

Doch ich konnte bereits an seinem Blick erkennen, dass er mir nicht glaubte. „Verarsch mich nicht, Miles!", meinte er streng und sprach meinen Namen mit solch einer Härte aus, wie er immer Nero und Ryan zurechtwies. Diese Tonlage duldete keine Widerrede und ließ mich durch diese Autorität kurz zusammenzucken.

Also gab ich es auf und sah deprimiert zu ihm hoch. „Können wir das später in Ruhe unter vier Augen klären?", bat ich ihn also und nach kurzem Zögern nickte er dann.

„Aber dann will ich die Wahrheit hören", sagte er noch und ich folgte ihm zu den anderen. Zwar gefiel es mir nicht, dass er mich quasi zu einer Antwort zwang, aber er machte sich ja nur Sorgen und als Anführer hatte er ein Recht darauf so etwas zu wissen. Und solange es bei ihm blieb und er es nicht herum posaunte, war es für mich in Ordnung.

„Ich nehm mal an, dass der Plan erfolgreich war, weil du uns hierher bestellt hast?", fragte Matt an Jackson gewandt.

Dieser sah zu seinem Beta und beide grinsten. „Jap und wie erfolgreich er war. Bei den Lieferungen ist mehr herausgesprungen als angenommen und unsere Geldsorgen sind somit erledigt", erklärte Nero stolz und ich wurde den Verdacht nicht los, dass mit dem Weißhaarigen etwas nicht stimmte. Sein Blick sprach Bände.

„Und was jetzt?", warf ich die Frage in die Runde.

Jetzt hafteten alle Blicke an mir und Jackson stützte sich mit seinem Arm auf meiner Schulter ab. „Jetzt...", er legte eine Pause ein und griff in seine Jackentasche, „Bist du absolut ein Teil von uns und hast dir den hier...", er machte wieder eine Pause und zog einen schwarz-weißen Aufkleber hervor, „mehr als verdient", sagte er und hielt mir den Aufkleber hin.

In seinem Blick lag solch eine Wärme, dass ich mich tatsächlich wohl fühlte und seine Strenge von vorhin sofort vergas. War das Manipulation? Vielleicht. War es mir gerade egal? Vielleicht.

Mit großen Augen sah ich den Hydra Aufkleber an und nahm ihn in meine Hand. Ich drehte ihn ein paar Mal und strich sachte mit dem Daume darüber. Kaum zu glauben, wie sehr man sich über einen einfachen Aufkleber freuen konnte.

Jetzt musste mir nur noch einfallen, wie ich ihn vor Ruby und meinem Onkel verstecken konnte. Mein Motorrad wäre von nun an gekennzeichnet und somit konnte ich nicht mehr ganz so Sorgen frei durch die Straßen fahren.

„Danke", meinte ich zu Jackson und meine Augen strahlten zufrieden und stolz.

Er löste sich von mir und ging etwas weiter weg. „Nicht dafür, den hast du dir verdient. Aber jetzt, wo du zu uns gehörst, müssen wir dein Motorrad noch ein wenig verschönern. Immerhin hat nicht jeder die Ehre eine Yam zu fahren", erzählte er grinsend. „Und wir haben heute Abend ja noch etwas vor."

Verwirrt sah ich in die Runde und bemerkte gar nicht, wie Matt derweil meine R6 hereingeschoben hatte. War ja kein Problem, ich hatte schließlich kein Lenkerschloss drin. Allerdings dämmerte es mir jetzt auch, was sie vorhatten. Mein Bike tunen. Natürlich hatte ich nichts dagegen. Im Gegenteil, ich war gespannt was sie aus ihr machen würden.

RIDERS ~ Burn For ThisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt