Der Junge im Meer

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"Du bist echt super langweilig. Ich kann es manchmal gar nicht glauben, dass wir Zwillinge sind", ärgert sich Junis, als sein Zwillingsbruder Mailo  mal wieder lieber auf dem Felsen den Sonnenuntergang beobachten will als mit ihm am Strand Beachvolleyball zu spielen.

"Mir gefällt es aber zu sehen, wie die orangerote Sonne im Meer versinkt ", schmollt Mailo. "Und außerdem willst du ja bloß wieder irgendwelche Jungs aufreißen."

"Und wenn schon", grinst Junis. "Du weißt nicht was dir entgeht. Aber meinetwegen kannst du hier versauern. Ich will Spaß haben hier im Urlaub." Er klopft seinem Bruder kumpelhaft auf die Schulter. Dann dreht er sich um und läuft runter zum Strand.

Mailo seufzt. Irgendwie bewundert er seinen Bruder schon, dass er so selbstbewusst ist und das Leben leicht  zu nehmen scheint. "Es ist schon komisch, wie unterschiedlich wir sind", grübelt er. "Aber das ist bei zweieiigen Zwillingen wohl normal." Dabei ist er doch der Ältere. Auf die Welt gekommen am 31. Mai vor 17 Jahren kurz vor Mitternacht. Sein Bruder hat den Gongschlag noch abgewartet und erblickte erst am 1. Juni das Licht der Welt. Somit haben sie auch unterschiedliche Geburtstage. Ihre Eltern fanden das dann sehr originell, die Beiden entsprechend ihrer unterschiedlichen Geburtsmonate Mailo und Junis zu nennen.

Mailo holt seinen Zeichenblock hervor. Er will diesen schönen Sonnenuntergang festhalten. Er nimmt den orangefarbenen Zeichenstift und lässt ihn über das Papier gleiten. Dann schweift sein Blick ab. Er sieht wie Junis am Beachvolleyballfeld mit einem dunkelhaarigen Jungen herumalbert. Das versetzt ihm einen kleinen Stich ins Herz.

Denn obwohl sie so unterschiedlich sind, stellten beide vor etwa einem Jahr gleichzeitig fest, dass sie auf Jungs stehen. Während Junis schon einige Erfahrungen gemacht hatte, es war aber nie etwas ernstes, wartete Mailo auf den Richtigen, mit dem er die Liebe entdecken wollte.

Mailo beobachtet wie Junis den anderen Jungen kräftig anbaggert. Er wird bestimmt wie so oft Erfolg dabei haben. Krampfhaft versucht Mailo sich auf die untergehende Sonne zu konzentrieren, um seine Gedanken daran zu verdrängen, was die Beiden wohl gleich tun würden.

Liebevoll zeichnet er die gelben, orangen und roten Schattierungen sowie das türkisfarbene Meer. Mit der einsetzenden Dämmerung leert sich der Strand. Auch sein Bruder ist nicht mehr dort. Verträumt schaut Mailo auf das weite Meer und fragt sich, was wohl dahinter sein mag.

Plötzlich sieht er eine Bewegung im ruhigen Meer. Er kann erkennen, dass es sich um einen Jungen etwa in seinem Alter handelt, der mit dem Wasser zu kämpfen scheint. Unsicher sieht er hinunter. Es ist kein Mensch mehr am Strand. Der Junge scheint in echter Not zu sein.

Blitzschnell lässt Mailo seinen Zeichenblock fallen und rennt hinunter zum Meer. Ohne zu überlegen geht er ins Wasser und schwimmt los. Er kommt dem Jungen immer näher und kann die Angst in seinen ozeanblauen Augen sehen. Mailo ist nur noch eine Handbreite entfernt und will nach der Hand des Jungen greifen. Da ist der plötzlich verschwunden. Panisch sucht Mailo um sich herum. Doch da ist kein Lebenszeichen mehr von dem Jungen. Nichts! Als hätte er sich das alles nur eingebildet.

Die Zwillinge des Meeres Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt