30

391 5 4
                                    

"König Bard von Seestadt möchte Euch sprechen!", sagte ein junger Zwerg, der für Biernachschub sorgte, "Er sagte, er würde im kleinen Ratssaal warten."
"Hat das nicht noch etwas Zeit, wenigstens bis der Leichenschmaus vorüber ist? Sagt ihm, ich empfange ihn in, sagen wir mal, zwei Stunden. Richte ihm das bitte aus", meinte ich zu dem Zwerg.
'Er sagte, es wäre sehr, sehr eilig und ihr würdet es verstehen, wenn ihr da wäret", antwortete der Junge und trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.
"Gut", seufzte ich, "Ich werde ihn anhören."
Ich informierte Balin über alles und stand dann diskret auf, um mit meiner Abwesenheit niemanden zu ärgern.
Ich lief eilig zu dem immer noch groß genugen, aber trotzdem kleinsten Ratssaal, den der Erebor hatte.
Als ich die Tür aufstieß und hineintrat, sah ich aber nicht Bard, sondern fünf Zwerge, die alle ein Tuch vor dem Gesicht hatten.
"Verdammte Scheiße", fluchte ich, "Was wird das?"
Die Zwerge sahen mich nur grimmig an und kamen langsam bedrohlich näher.
Ich hörte wie hinter mir noch jemand durch die Tür kam und dann davor stehen blieb. Vielleicht waren es auch zwei.
Die Zwerge vor mir zogen ihre Waffen und ich knurrte: "Ein Putsch? Ihr wollt mich umbringen?" Ich zog mein, unter der Kleidung verstecktes Schwert, ein Sihill von beeindruckender Form und Schärfe.
Erschrocken wichen einige Zwerge einen Schritt zurück, die anderen blieben zumindest stehen.
"Glaubt ihr wirklich, ich würde jemals unbewaffnet herumlaufen?", verhöhnte ich sie lachend, sie waren zwar sieben zu eins in der Überzahl, aber sie alle hatten eine gehörige Portion Angst vor mir, was sie unsicher werden lassen könnte.
Ich schlug mit dem Schwert eine Mühle und sprang auf den großen Ratstisch.
"Ich darf wohl davon ausgehen, dass ihr die Tür abgeschlossen habt", ich sah die Zwerge, die durch die Tür hinzugekommen waren scharf an, sie schienen unter meinem Blick ein ganzes Stück zu schrumpfen und man konnte die Andeutung eines Nickens erkennen.
Ein Zwerg, wohl der Anführer, gab den anderen ein Zeichen, woraufhin zwei auf mich stürzten.
"Das ist aber nicht besonders fair, zwei gegen eine?", meinte ich gelassen und betrachtete meine Schwertklinge.
Der Eine kam von hinten, ich schlug, aus meiner erhöhten Position seine Klinge beiseite und sprang, während ich ihm den Schwertarm abschlug nach unten.
Er fiel zu Boden und fing an, fürchterlich zu heulen. Ich kümmerte mich nicht weiter um ihn, sondern sprang auf den zweiten zu, dessen Klinge ich immer wieder parierte.
Dann drehte ich mich zu seiner Seite und schlug von Schräg oben heftig zwischen Schulter und Hals, mein Sihill prallte an den Eisenringen des Kettenhemdes ab und grub sich in seinen Hals.
Um seinem wild fuchtelnden Schwert zu entkommen, ließ ich mich für einen Moment zu Boden fallen, um dann gleich wieder aufzuspringen.
Während dieser kurzen Zeit, schlug ich ihm ein Bein kurz über dem Knöchel fast komplett ab, ich spürte eine meiner noch nicht ganz verheilten Verletzungen wieder aufreißen und ein dritter sprang hinzu, wobei der erste ja kampfunfähig war.
Der Zweite auch.
Der Dritte, mit einem schwarzen Tuch vor dem Gesicht und einem bedrohlichen Funkeln in den Augen, hatte definitiv keine Angst vor mir.
Ich machte mich auf einen härteren Kampf gefasst, der sogar noch härter kam.
Der Zwerg war kräftiger als ich und fast genauso schnell, was mir fast keine Lücke in seiner Verteidigung bot.
Ich konnte ihn irgendwie ein paar Schritte zurückstolpern lassen, so dass er gegen den Tisch stieß, doch dann sprang er einfach hinauf. Keine Sekunde später stand ich hinter ihm auf dem Tisch und stieß mein Schwert tief in seinen Rücken. Er röchelte und es schien eine Sekunde lang, als würde er hinfallen, doch er drehte sich mit einem Ruck um, mit dem mir das Schwert aus der Hand gerissen wurde.
Dem Schlag auf meinen Bauch konnte ich um Haaresbreite ausweichen, wurde aber gleich darauf am Arm getroffen. Von einem Dolch. Der Armlose hatte ihn geworfen. Wütend riss ich den Dolch aus meinem Arm und steckte ihn dem, der mein Schwert im Rücken hatte in die Kehle, woraufhin er endgültig zusammenbrach und ich mein Schwert wieder aus seinem Rücken ziehen konnte.
Mit dem Sihill schlug ich dem Einarmigen den Kopf ab und steckte ihn gleich darauf noch dem röchelnden Zwerg ohne Fuß in die Brust, wo es sich knirschend durchs Kettenhemd bohrte.
"Na, hat noch einer Lust?", rief ich in die Zwergenrunde, von der noch vier lebten.
"Lin?", rief auf einmal jemand von außen, "Bist du da drin?"
"Ja", antwortete ich, ohne die Augen von den übrigen vier Zwergen zu lassen.
"Wir kommen rein!", jetzt hörte ich Dwalins Stimme heraus.
"Los!", brüllte der Anführer der Anschlagstruppe.
Alle vier stürzten auf mich, sie hatten nichts zu verlieren, sie würden sowieso exekutiert werden.
Von außen hämmerte es immer wieder gegen die Tür, ich verfiel in einen Blutrausch.
Sah nur noch die Klingen der Gegner, hörte sie durch die Luft zischen.
Hörte den Atem, spürte ihre Schritte, fühlte ihre Gedanken.
Es existierte nur noch der Kampf, Klinge traf auf Klinge, es schlug Funken, Ausfall, Ducken, wieder aufstehen, zuschlagen.
Dann brach die Tür auf, die zum Glück schon morsch war, und Dwalin stürmte mit fast einem Dutzend weiterer Krieger herein.
Sekunden später waren alle Aufrührer entweder tot oder verhaftet. Ich ließ mich zu Boden sinken und atmete tief durch.
Ich wollte nicht mehr Königin sein, warum gerade ich, die Zwerge brauchten einen guten, vorausschauenden Anführer.
Mein ganzes Leben hatte ich von Tag zu Tag gelebt, nie an morgen gedacht.
Wozu auch, wenn ich morgen vielleicht schon tot wäre.
"Jetzt hör mal auf in Selbstmitleid zu versinken!", herrschte Dwalin mich an, "Und fang bloß nicht an zu weinen! Es gibt nichts erbärmlicheres als eine heulende Königin!"
Ich biss die Zähne zusammen und rappelte mich auf, meine Augen blieben trocken, obwohl mir wirklich nach Heulen zumute war.
"Gut", meinte ich bissig, "Was soll ich jetzt tun, die Verräter gleich umbringen lassen oder zuerst in eine Zelle stecken?"
"Zuerst gehst du zum Heiler und lässt deine Wunden nähen!", sagte er streng, "Wenn du verblutest hilft es niemandem!"
"Ach, ich dachte, nicht zu selbstmitleidig", fauchte ich, "Mir geht es blendend, ich sollte zurück auf das Fest!"
Dwalin sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an: "So gehst du nicht vor dein Volk. Und warte bloß bis das Adrenalin nachlässt, dann kannst du wahrscheinlich kaum mehr laufen!"
Er hatte recht, ich folgte ihm ins Lazarett, wo immer noch eine Menge vom Krieg verletzter Menschen und Zwerge lagen.
Thranduil hatte alle Elben seinen eigenen Heilern überlassen.
Nach einer halben Stunde entließ ich mich selbst, die Wunden waren versorgt und ich konnte auf das Fest zurückhumpeln.
"Aber eins muss man dir lassen", meinte Dwalin, als wir uns auf dem Rückweg vom Lazarett befanden, "Gekämpft hast du verdammt gut, die Typen sahen ziemlich fertig aus."
"Die meisten eher ziemlich tot", ich lächelte leicht und entschied, "Trotzdem werden Wachen mich ab jetzt immer begleiten!"
"Gute Entscheidung!"
Es würde schwierig werden, doch aller Anfang ist schwer.
Es wird schwere Zeiten geben, es wird gute Zeiten geben, doch hier, unter meinesgleichen, mit lieben, vertrauten Personen, würde das alles zu schaffen sein, was auch immer die Welt für mich bereithält.
Ich war lange genug das unsichtbare Phantom, das nur noch aus Rachsucht und Verzweiflung gelebt hat. Ich hatte eine Zukunft, vielleicht eine Glorreiche.
Es wird eine Überraschung sein, doch was auch immer es sein mochte, ich war bereit dazu. Mit festem Schritt lief ich durch den Erebor und dankte Thorin, dass er mir einen neuen Lebensgrund gegeben hat.

Damit ist Lins Geschichte (fürs erste) zuende. Es wird noch eine Fortsetzung geben, aber es kann noch eine Weile dauern.

Laura

Lin, lonely fighterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt