1-Isi

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Sie war fast zu spät. Es wäre ihr peinlich gewesen zu spät zu sein, an ihrem ersten Tag an der neuen Schule. Nicht weil sie einen guten Eindruck hinterlassen wollte, es war ihr meistens egal was andere dachten. Sie wollte einfach nicht die Blicke der anderen auf sich spüren müssen. Das war vermutlich einer der Vorteile an einem Donnerstag im Oktober die Schule zu wechseln, alle waren mit sich selbst beschäftigt, man würde sie nicht lange beachten. Also huschte sie zeitgleich mit dem Gong ins Klassenzimmer und sah sich kurz um. Spontan sah sie nur einen freien Platz, hinten am Fenster. Komisch, normalerweise war das doch der beliebteste Platz, oder nicht? Sie setzte sich. Ihre Kopfhörer spielten Musik, so musste sie das Gerede der anderen nicht hören. Einige sahen immer wieder zu ihr hinüber aber niemand schien sie ansprechen zu wollen. Sie war froh als ein Lehrer den Raum betrat, nun würde es endlich stiller werden. Direkt hinter dem Lehrer huschten zwei Jungen in die Klasse und nach dem Blick des einen zu urteilen, saß sie auf seinem Platz. Sie machte sich bereit weggeschickt zu werden aber er setzte sich einfach neben sie, der andere daneben. Er kaute Kaugummi, trug eine Kapuze und sein Blick ging leer und starr nach vorne. Er roch süßlich, sie kannte den Geruch, er erinnerte sie an eine vergangene Zeit, keine gute Zeit, aber sie konnte den Geruch nicht zuordnen"Sitz ich auf deim Platz?" fragte sie. Sie wollte höflich sein, es sich nicht gleich mit allen verscherzen und irgendwie gab er ihr ein gutes Gefühl. Er nickte, starrte weiterhin nach vorne. "Tut mir leid", endlich sah er sie an. Seine Augen waren blau, sie wären bestimmt schön gewesen wenn sie sie nicht so glanzlos und traurig anblicken würden. Er lächelte. "Is kein Problem, ich sitz nur gern am Fenster", sie lächelte zurück. Er schaute sie weiterhin an, er schaute ihr direkt in die Augen, bis ihm scheinbar auffiel wie unangenehm diese Situation war und er sein Blick wieder nach vorne richtete. Das Gemurmel der Klasse verstummte als der Lehrer das Wort ergriff.
"Wie Sie vielleicht schon gesehen haben, haben wir jemand neues zu begrüßen-" er deutete auf sie "-Sie müssen Isabella sein, richtig?" Sie nickte rasch "Isi", korrigierte sie ihn, sie mochte ihren Namen nicht wirklich. Der Lehrer nickte "Dann heiße ich Sie herzlich willkommen umd hoffe sie fühlen sich in der Klasse wohl...gut kommen wir nun zum Unterricht wir hatt..." Sie blendete seine Stimme aus und blickte noch einmal durch die Klasse. "Und? Was denkst du?", Kam es leise von der Seite. Der Junge sah sie grinsend an "Sind wir ne Klasse in der man sich wohlfühlen kann?" Sie kicherte leise "Naja-", flüsterte sie dann "sehn alle recht nett aus", der Junge nickte, dann kramte er in seinem Rucksack. Er zog eine Plastikflasche heraus, laut dem Etikett war es Sprudel. Doch die Tiefrote Flüssigkeit ließ auf etwas anderes schließen, er drehte die Flasche auf, trank ein paar kräftige Schlucke und reichte sie dann seinem Freund, der ebenfalls trank. Der Geruch von vorhin stieg in ihre Nase. Ein Geruch den sie nur zu gut kannte, ein Geruch den sie eigentlich nicht mehr riechen wollte. Und jetzt wusste sie auch wieder welcher Geruch es war, der Geruch von Rotwein und Cola.
Er blickte sie an, die Flasche vor den Mund gehalten, er lächelte kurz. Schnell hob sie beschwichtigen die Hände "ich vepretz euch nich, keine Sorge es is nur..." "Es is nur erst 7.40Uhr?-", scherzte er. Sie nickte. "Schon gut, alle hier wissen dass Nicho und ich das machen. Is n offenes Geheimnis, aber wir vertrauen uns hier gegenseitig... zumindest meistens", wieder nickte sie. Nicho hieß der andere Junge also. Sollte sie fragen wie er hieß? Oder war das komisch? "Ich heiß übrigens Momo", es war als hätte er ihre Gedanken gelesen. Sie wollte etwas erwiedern doch Momos Blick ging wieder stur gerade aus. Die komplette restliche Stunde hatte sie keine Gelegenheit mehr mit ihm zu reden, wenn er nicht die Wand anstarrte, redete er leise mit Nicho oder er zeichnete, sie hätte gerne gesehen war er da vor sich hin kritzelte, doch da er Linkshänder war verdeckte seine Hand permanent das Papier und sie traute sich nicht ihren Kopf zu recken um darüber hinweg sehen zu können. Er schien kein Interesse am Unterricht zu haben aber er störte auch nicht wirklich. Er war seltsam aber es schien als sei er nicht unbeliebt. Sie fand ihn interessant aber im selben Augenblick fand sie sich selbst so unbedeutend dass sie fest davon überzeugt war dass er ohnehin nichts mit ihr zu tun haben wollen würde, und so versuchte sie garnicht erst seine Aufmerksamkeit wieder zu gelangen. Stumm schrieb sie die Aufschriebe mit, melden wollte sie sich aber nicht.
Der Pausengong war wie eine Erlösung. Nicho stand sofort auf, eine Zigarette in der einen, ein Feuerzeug in der anderen Hand. "Kommst du mit?", fragte er Momo. Dieser schüttelte den Kopf und so ging Nicho mit einem anderen Jungen und zwei Mädchen nach draußen um zu rauchen. "Rauchst du nich?", sie hörte sich die Frage stellen ohne dass sie es wollte. "Doch, aber nur selten. Hab eigentlich aufgehört", seine Stimme war freundlich. "Du kannst kaum älter als ich sein, und da hörst du schon mitm rauchen auf? Die meisten fangen da doch erst an oder?", Er blickte sie an, schwieg, dann antwortete er endlich "Ich bin gerne anders als die andern", er lachte. Und auch sie hatte angefangen zu lachen. So plötzlich wie er angefangen hatte zu lachen, so plötzlich hörte er auf. Er blickte auf die Uhr, dann zog er seinen Geldbeutel aus dem Rucksack und verschwand.
Als er wieder kam war sein Blick noch leerer, seine Augen waren noch leerer, nur seine Pupillen schienen anders zu sein. Er setzte sich, sie konnte sein Herz pochen hören, schnell, sehr schnell, und es schien als sei seine Nase verstopft. "Hast du grade-", doch sie konnte ihren Satz nicht zuende bringen, denn in dem Moment kamen ein paar weitere Leute zurück ins Zimmer die sich um Momo herum gesellten, darunter auch Nicho.
Im Nachhinein war sie froh dass sie unterbrochen worden war, dass sie Momo nicht gefragt hatte ob er auf der Toilette etwas gezogen hatte. Aber interessiert hätte sie es trotzdem.

Alles GuteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt