Kapitel 11

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Er stand mitten im Wohnzimmer und meine Mutter vor ihm. Sie schrie ihn einfach an, aber er lachte nur, genau wie früher. Ich blieb wie angewurzelt stehen. Ich wusste nicht, ob ich runtergehen soll und wieder in mein Zimmer rennen soll. "Hat dir der Knast nicht gereicht? Ich glaub einfach nicht, dass du dich traust überhaupt noch hier her zukommen! Was willst du denn bitte noch?", schrie meine Mutter ihn lauthals an. Ihr war die Wut wie ins Gesicht geschrieben. Es war keine Trauer, Enttäuschung oder sonst was. Nur pure Wut. Er kam lachend auf sie zu, strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sagte mit zu ruhiger Stimme: "Dein Selbstbewusstsein hat dich nicht verlassen. Nur das hat dir früher nichts gebracht und wird dir jetzt umso weniger bringen, Mary!" Mein gesamter Körper spannte sich noch mehr an und Tränen stiegen mir in die Augen. Meine Mutter starrte ihn nur kalt an. Langsam und steif lief ich die Treppe runter und als ich eine der mittleren Stufen betrat, knarzte es kurz und er musterte mich kurz und grinste dann: "Hallo, Amelie." Ich blieb einfach unten an der Treppe stehen, wusste immer noch nicht was ich machen sollte. Meine Mutter fiel aus ihrer Starre und lief auf mich zu und versuchte mich anzulächeln. "Geh wieder hoch in dein Zimmer. Ich regel das schon.", sagte sie mit ruhiger Stimme. "Nein, das letzte mal als ich das getan habe, hat er dich windelweich geprügelt.", flüsterte ich so, dass er es nicht verstehen konnte. Er stand immer noch grinsend im Wohnzimmer und musterte uns, bis er uns zu kam und meine Mutter sich vor mich stellte. Doch ich stellte mich neben sie. Wir schafften das zusammen, ob sie will oder nicht. Das war mir im Moment ziemlich egal. Mum schaute ihn wieder durch ihre kalten Augen an und fing an zu reden: "Verschwinde einfach und lass uns Ruhe! Das hast du doch sonst auch immer so gut hingekriegt." Sie sprach mit einer Stimme, die mir einen Schauer den Rücken runterlaufen ließ. Sie klang eindeutig, aber ruhig, trotz ihrem vorherigen Wutanfall. "Ach, wenn ich nicht lache! Was willst du denn tun?", sprach er angsteinflösend an sie gerichtet. "Die Polizei und das Gericht glauben dir kein Wort mehr, glaub mir!", sagte meine Mutter, ziemlich überzeugt von ihrer Aussage. "Das ist mir sichtlich egal, Schätzchen." Er machte einen Schritt auf sie zu und sie einen zurück. Er drückte sie unsanft gegen die Wand und hielt ihre Handgelenke fest. "Du bist so ein Arschloch!", brachte meine Mutter unter dem Druck, den er auf sie ausübte hervor. Er holte mit seiner Faust aus. Nein, das konnte ich nicht zulassen. Ich rannte auf ihn zu und schubste ihn von meiner Mutter, so gut ich konnte, weg. Er fiel nicht um, doch er taumelte etwas zur Seite. Mum rutschte an der Wand auf den Boden. Ich kniete mich vor sie und schaute mir ihre Handgelenke an. Sie waren blau von seinem festen Griff und es sah schmerzhaft aus. Doch er hatte ihr schon viel Schlimmeres angetan.
"Aha, hat sich die kleine Amelie auch mal Mut angesammelt. Schön, schön..", lachte er und kam auf mich zu. Ich wich zurück, doch da drückte er mich schon leicht zu Boden, holte aus. Ich schrie kurz schmerzerfüllt auf und spürte diesen brennenden Schmerz auf meiner Wange. Durch die Wucht, die in dem Schlag lag, lag ich jetzt ganz auf dem Boden. Es drehte sich alles und ich sah nur noch verschwommen. Der Schmerz war unerträglich und ich spürte wie mir Tränen die Wangen runterliefen. So doll hatte er mich noch nie geschlagen. Früher waren es immer nur leichte Ohrfeige, jedoch hatte er meine Mutter nie verschont.
Sie schrie auch, als er mich schlug, so als würde sie den doppelten Schmerz fühlen, den ich gerade spüre. Sie stand auf und lief zu mir, wurde jedoch von ihm aufgehalten und er hielt sie wieder an den Handgelenken fest. Ich sah in ihr schmerzverzerrtes Gesicht und alleine das, tat mir noch mehr weh und ich weinte noch mehr.
Meine Mutter hat eigentlich noch nie vor körperlichen Schmerzen geweint, doch jetzt sah ich wie sich eine Träne den Weg über ihre Wange spähte. Es tat weh sie so zusehen, aber ihr tat es anscheinend mehr weh mich so zu sehen. Ich konnte ihr nicht helfen. Immernoch drehte sich alles. Trotzdem konnte ich sie erkennen.
"Du Schwein! Sieh nur was du angerichtet hast! Hättest du lieber mich geschlagen!" schrie meine Mutter ihn an.
"Mary, sie hat es verdient. Genauso wie du es verdienst, du Schlampe! Du hättest mich früher einfach nicht mit diesem Hurensohn betrügen dürfen!", schrie er zurück.
"Und du hättest uns von Anfang an besser behandeln sollen! Ich hasse dich! Wie konnte ich dich früher nur geliebt haben?", ich war erstaunt wie meine Mutter soetwas noch sagen konnte. Sein Kiefer spannte sich an und seine Hände griffen fester ihre Handgelenke. Ich weinte immer noch und versuchte aufzustehen, doch vergeblich. Meine Knie wurden weich und ich fiel wieder zu Boden. Erneut drehte sich alles und ich sah nur noch verschwommen. Das letzte, dass ich erkennen konnte, war wie mein Vater mit voller Kraft ausholte...

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