„Hey, sehen Sie mal!", sagte Nana und blieb plötzlich stehen. Shin'ichi wäre fast in die Frau hineingelaufen, doch glücklicherweise konnte er noch seine Füße zum Stillstand zwingen.
„Was haben Sie denn?", fragte Shin'ichi. Langsam war er etwas genervt. Ständig blieb Nana stehen um irgendetwas zu bewundern und dabei vertrödelten sie wertvolle Zeit. Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass sie etwas zu verbergen hatte.
„Na sehen Sie doch einmal dort drüben herüber!", meinte Nana und lächelte Shin'ichi glücklich an. „Dort vorne. Der See!"
Shin'ichis Kopf wendete sich langsam nach links, dorthin, wo Nanas Finger hinzeigte und erblickte einen glasklaren, riesengroßen See in einem großen Tal. Das Wasser war hellblau und die Sonne spiegelte sich darin wider.
Sein Mund ging vom Staunen gar nicht mehr zu.
„Er ist schön, nicht wahr?", fragte Nana Shin'ichi und diese ging ein klein wenig näher an den Rand. Der kühle Wind wehte mit einer starken Brise durch die Haare der beiden und Nana machte die Augen zu und breitete die Arme aus.
Eine Weile blieben sie so stehen und bewunderten die Landschaft. Dann drehte sich Nana um und sah Shin'ichi direkt und ernst in die Augen.
„Es ranken sich einige sehr dunkle Geschichten um diesen See", begann sie. „Vor ein paar Jahren soll es dort eine Reihe von Selbstmorden gegeben haben. Jedes Jahr soll sich dort ein 18-jähriges Mädchen im See umgebracht haben. Doch nach genau 13 Jahren hörte diese Selbstmordreihe plötzlich auf und keiner wusste, wieso."
Nana hatte während der Geschichte ihr Gesicht zu einer Fratze verzogen und versuchte anscheinend Shin'ichi Angst zu machen, da dieser Nana jedoch nur verständnislos anstarrte, ließ sie die Fratze sein und sah ihn wieder ernst an.
„Stimmt diese Geschichte denn wirklich?", fragte der Detektiv seine Begleiterin. „Für mich hört sie sich eher wie eine Gruselgeschichte aus einem schlechten Horrorfilm an."
Nana zog eine Augenbraue hoch und schaute Shin'ichi an, als würde er einen Scherz machen.
„Nein, sie ist durchaus wahr", meinte Nana und wurde nun ganz melancholisch. „Meine Großmutter hat mir diese Geschichte erzählt, da sie hier geboren wurde und auch eine von ihren Freundinnen Selbstmord begangen hat."
„Oh, das tut mir leid...", sagte Shin'ichi und fühlte sich etwas beschämt.
Augenblicklich grinste Nana wieder.
„Ach, das muss es nicht, ich kannte ihre Freundin ja eh nicht und es ist lange her", meinte sie. „Und nun müssen wir weiter zum Haus, es ist nicht mehr weit!"
Nana drehte sich um und lief weiter den schmalen Bergweg hinauf.
Shin'ichi jedoch stutzte. Woher wusste sie...?
Nach knappen zehn Minuten standen sie vor einer großen, alten Villa. Sie war mit großen Pflanzen überwuchert und die alten vermoderten Fensterläden hingen schon fast alle aus ihren Angeln. Das alte Backsteingemäuer hatte schon einige Jahre hinter sich und war schon beinahe bröckelig.
„Ein sehr gut erhaltenes Gebäude, was meinen Sie?", fragte Shin'ichi ironisch.
„Naja, besser als nichts...", meinte Nana, allerdings war sie auch nicht sehr überzeugt von ihren eigenen Worten.
Langsam gingen die beiden auf das Haus zu und als sie an der alten Haustür angekommen waren, entfernte Shin'ichi die Spinnengeweben vom Türknauf und drückte die alte Eichentür auf.
Knarrend und quietschend schwang diese nach innen auf.
Nachdem die Tür zum Stehen kam, ging Shin'ichi langsam in die dunkle Eingangshalle. Sie wirkte furchtbar riesig im Dunkeln und die Stille machte sich sehr deutlich. Die Leere, die dieses Haus durchzog konnte man in allen Ecken spüren.
„Wow, ganz schön gruselig hier, finden Sie nicht?", fragte Nana Shin'ichi auf einmal und dieser zuckte kurz zusammen.
Nana kicherte.
„Nun hab ich Sie ja doch mal erschrecken können", meinte sie.
Shin'ichi räusperte sich.
„Wie auch immer. Vielleicht sollten wir uns erst einmal darum kümmern, etwas Licht in dieses Haus zu bringen", sagte er und versuchte, vom Thema abzulenken.
Nana verzog das Gesicht.
„Na, wenn Sie meinen", stimmte sie zu und ging zu einem kleinen Lichtspalt in der Nähe der Tür.
Sie fasste an die verstaubten Vorhänge und zog sie mit einem Ruck auseinander. Allerdings mit so viel Ruck, dass sie hinunterfielen und kräftig Staub aufwirbelten.
Hustend hielt Nana sich die Hand vor den Mund.
Nachdem sich der Staub einigermaßen gelegt hatte, sah sie genervt auf hässliche gelb-grünen Vorhänge hinunter, die nun wie ein altes Laken auf dem Boden lagen.
„Also man kann nicht von guter Qualität und Geschmack sprechen", meinte sie, musste danach jedoch niesen. Der ganze Staub war in ihre Nase gekommen.
„Wenigstens ist es etwas heller", tat sie das Ganze ab und ging zum nächsten Fenster, diesmal jedoch zog sie langsam an den Vorhängen und schaffte es sogar, sie nicht herunterzureißen.
Shin'ichi machte sich nun ebenfalls an die Arbeit, ließ Nana dabei jedoch nicht auch nur einen Augenblick aus den Augen. Irgendetwas verbarg sie doch.
Als alle Vorhänge in der Eingangshalle aufgezogen waren, wirkte diese nun nicht mehr so bedrohlich und finster wie zuvor, sondern nur noch staubig und alt. Überall lag dicker Staub auf den Möbeln und den Treppenstufen, die in der Mitte jedoch mit einem roten Samtteppich ausgelegt worden war.
„Alle Achtung", sagte Nana. „Für den Teppich haben sie wahrscheinlich das Geld für die Vorhänge genommen. Der kostet Tausende!"
„Sagen Sie mal, Nana", fing Shin'ichi an. „Finden Sie nicht, dafür, dass wir hierher eingeladen worden sind, es ziemlich still ist. Davon ab sah es nicht so aus, als wenn außer uns schon mal jemand in den letzten Tagen hier gewesen wäre."
„Stimmt, das ist schon sehr eigenartig", meinte Nana. „Aber wenn uns was passieren sollte, beschützten Sie mich doch bestimmt, oder?"
Nana lächelte Shin'ichi herausfordernd an.
Leicht errötend stotterte er wenig hilfreich herum.
„Ähhh... Ähm... also..."
Die junge Frau brach in Lachen aus und klopfte Shin'ichi auf die Schulter.
„Nur ein Witz, ich kann gut auf mich alleine aufpassen", meinte sie schließlich und begann, die Treppe hinaufzulaufen.
„Allerdings sollten wir erst einmal hier bleiben. Es lohnt sich nicht, wieder hinab zu laufen, denn kein Zug fährt noch hier ab, wenn wir erst einmal wieder unten sind. Davon abgesehen brauche ich eine Pause. Also lassen Sie uns lieber erst einmal das Wohnzimmer suchen und unser Gepäck dort abstellen."
Der Detektiv nickte. Auch wenn er Nana noch nicht so richtig traute, war das gar keine so schlechte Idee. Immerhin war die unerwartete Bergtour gar nicht mal so leicht und unbeschwerlich gewesen.
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24 Stunden mit Kaito KID
RomanceAls Shin'ichi Kudo eines morgens einen seltsamen Brief in seinem Briefkasten findet und der Inhalt sich als Morddrohung entpuppt hatte, fuhr er sofort zum angekündigten Ort um dieses zu verhindern. Doch dort wird er nun vom dortigen Polizisten zusam...