Stunde 13

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Shin'ichi nickte.
Er drehte sich um und begann auf einem Stück trockenes Brot herum zu kauen. Er hörte wie Kaito die Maske mit einem Ruck abzog und wie das Wasser auf sein Gesicht klatschte. Die Versuchung war groß sich umzudrehen, doch er hatte versprochen es nicht zu tun. Also mampfte er weiter an seinem Brot.
Irgendwie hatte er ein komisches Gefühl in seiner Brust. Er wusste zwar nicht, wieso oder warum, vielleicht war er einfach ein bisschen enttäuscht, dass Kaito ihm seine Identität nicht gezeigt hatte. Aber er hatte es trotzdem irgendwie gehofft. Wenn auch nur ein klein wenig, war die Enttäuschung doch größer als gedacht.
Während er so da saß, fiel ihm etwas ein. Er nahm den letzten Rest Brot in den Mund und kaute, seine Hände suchten unterdessen in seinem Rucksack nach einer Armbanduhr, die er eigentlich dabei haben müsste. Ganz unten fand er sie. Wie spät es wohl war?
Es musste schon nach Mitternacht sein, das hatte er im Gefühl. Augenblicklich merkte er, wie er wieder müde wurde und seine Augen beinahe zufielen. Schnell rieb er sich drüber, damit ihn nicht der Schlaf einholte.
„Was machst du da?", fragte Kaito Shin'ichi von hinten.
„Ich suche nach einer Uhr. Irgendwie würde ich schon ganz gerne wissen, wie spät es ungefähr ist", antwortete der Detektiv und kramte nun wieder weiter in seinem Rucksack. Schließlich fand er sie und zog sie heraus. Dann nahm er seine Taschenlampe, schaltete sie an und strahlte damit auf seine Uhr.
„So spät schon?", fragte Shin'ichi erschrocken und blickte wie versteinert auf die kleinen Zeiger.
„Wieso, wie viel Uhr ist es denn?", wollte Kaito wissen.
„Gleich schon drei Uhr nachts durch", antwortete ihm Shin'ichi.
„Das kann doch gar nicht sein", meinte der Dieb von hinten und durchquerte das Zimmer um zu Shin'ichi zu gelangen. Über seine Schulter sah der Dieb die kleine Uhr in der Hand des Detektivs.
„Wahnsinn... damit hätte ich niemals gerechnet", murmelte der Dieb fassungslos und er schien auch ein klein wenig müde zu sein.
Shin'ichi zuckte zusammen als er Kaitos Stimme direkt neben seinem Ohr wahrnahm. Reflexartig wollte er seinen Kopf nach hinten drehen, doch da fiel ihm ein, dass der Dieb ja immer noch ohne Maske herumlief. Shin'ichi stoppte mitten in der Drehung und fokussierte seinen Blick auf die Uhr.
Kaito schmunzelte.
„Warte, ich setz mir eben eine neue Maske auf."
„Entschuldige, das war gerade ein Reflex", meinte Shin'ichi nur.
„Kein Problem, war ja auch irgendwie meine Schuld, ich hab dich ja quasi dazu verleitet."
„Wie meinst du das?"
„Naja, einfach nur so."
„Einfach nur so, ja?"
„Ja. Du drehst dich immer zu deinen Gesprächspartnern um, wenn sie auf einmal hinter dir stehen und du was mit ihnen besprechen willst."
„Sag mal, hast du mich etwa beobachtet?"
„Ist es nicht normal für einen Dieb, wenn er seinen Gegner beobachtet, damit er seine Schwachstellen herausfindet?"
„Da kann ich nicht mitreden. Ich bin nämlich kein Dieb."
„Aber du als Detektiv betrachtest dir die möglichen Tatverdächtigen bei deinen Fällen möglichst genau, hab ich Recht?"
Shin'ichi überlegte, während er immer noch die Wand vor sich anstarrte. Damit lag er nicht ganz falsch.
„Ja, das stimmt schon."
„Also. In irgendeiner Art und Weise haben Dieb und Detektiv ein paar Parallelen, nicht wahr?"
Kaito suchte in seinem Rucksack herum. Bis ihm einfiel, dass er ja gar keine weitere Maske eingesteckt hatte... So ein verdammter Mist! Seine eigenen Haare konnte er ja durchaus als falsche Haare verkaufen, besonders jetzt wo es dunkel war und Shin'ichi sowieso nicht so genau darauf achten konnte. Aber sein Gesicht...
Und so spielen, als sei es eine, ging auch nicht, da er überall auf seinem richtigen Gesicht Schrammen hatte. Also hob er die etwas eingerissene Maske auf und klebte sie so gut es ging wieder auf sein Gesicht. Auch wenn ein paar Stellen nun nicht mehr bedeckt waren, es war besser als ohne herumzulaufen.
„Vielleicht", antwortete Shin'ichi nachdenkend. „Aber das heißt nicht, dass Detektiv und Dieb dieselbe Absichten haben."
Beim letzten Satz klang er schärfer als beabsichtigt und hätte sich am liebsten dafür getreten. Er wusste gar nicht, warum er so gereizt war. Er musste sachlich bleiben. Vor allem jetzt, wo sie beide gejagt wurden.
„Wie auch immer", sagte Kaito und unterbrach so das Schweigen. „Ich würde vorschlagen, wie ruhen uns erst einmal ein wenig aus. Da es kurz nach drei ist, denke ich mal, dass nicht nur ich müde bin. Vor allem nach dieser tollen Art den Berg herunterzukommen. Ich bin im Übrigen fertig."
Shin'ichi nickte und drehte sich dann auch zu Kaito um.
„Einer von uns sollte jedoch Wache halten um nach dem möglichen Verfolger mit der Waffe oder der Polizei Ausschau zu halten. Immerhin ist dies hier die einzige Hütte in unmittelbarer Nähe und da wir beide ein wenig verletzt sind, wäre es für nur logisch, dass wir uns hier drin verstecken würden. Da braucht man keine große Kombinationsgabe für."
„Gut", meinte Kaito und stimmte nickend zu.
Shin'ichi stand auf und besah sich kurz Kaito. Er hatte wieder die alte Maske auf, die an einigen Rissen die wirkliche Haut des Diebes enttarnten. Doch an diesen waren meistens Schrammen zu sehen. Er
wandte seinen Blick ab und setzte er sich auf einen Stuhl.
„Du kannst ruhig als erstes schlafen", meinte der Detektiv und legte sein verletztes Bein auf einen zweiten Stuhl ab. „Immerhin bin ich vorhin einfach so eingeschlafen. Ich pack das noch eine Weile."
Kaito schmunzelte wieder.
„So siehst du aber nicht unbedingt aus", meinte er zum Detektiv. „Immerhin hattest du vorhin schon Schwierigkeiten die Augen offen zu halten."
„Man könnte meinen, dass du ein Stalker bist, so genau beobachtest du."
Der Dieb zuckte nur mit den Schultern.
„Vielleicht bin ich das ja auch."
„Ernsthaft jetzt?"
„Das war doch nur ein Scherz", grinste Kaito über beide Ohren. „Du musst nicht immer alles so ernst nehmen."
Genervt seufzte Shin'ichi auf. „Na gut, vielleicht können wir es uns erlauben, dass wir beide etwas schlafen können."
Der Detektiv stand auf, holte eine Jacke aus seiner Tasche heraus, ging in eine Ecke und legte sich auf den Boden. Die Jacke warf er über seinen Körper. Sie war zwar nicht sonderlich warm, aber es musste nun einmal reichen. Eine Decke hatte er nicht dabei, er hatte nun einmal nicht wirklich damit gerechnet um drei Uhr nachts in einer Hütte auf einem Berg angeschossen zu liegen. Zusammen mit seinem eigentlichen Gegner.
Auf einmal landete etwas Schweres und Warmes auf ihm. Er drehte sich um und richtete sich auf.
„Was soll das?", fragte Shin'ichi leicht verdutzt und ziemlich müde. „Was hast du vor?"
„Von mir aus kannst du die Decke haben. Bei deinem Bein brauchst du nicht auch noch eine Erkältung." Kaito blickte ihn ernst an.
„Was ist mit dir?"
„Ich nehm mir ein paar Jacken."
„Was soll denn das nun wieder?", brummte Shin'ichi und starrte Kaito leicht böse an. So müde wie er war, konnte er kaum klar denken und war sich auch nicht bewusst, was es für Auswirkungen haben könnte, wenn er den nächsten Satz nun aussprechen würde.
„Wir können sie uns doch teilen", meinte der Detektiv und zeigte auf den Platz neben sich. „Und komm jetzt nicht mit einem Nein. Du kannst genauso wenig eine Erkältung brauchen wie ich."
Mit diesen Worten breitete Shin'ichi die Decke aus, die eine Hälfte über seinen Körper, die andere lag noch auf dem Fußboden. Danach drehte er sich um und starrte auf die Wand.
Ein paar Sekunden später merkte er, wie Kaito ebenfalls unter die Decke kroch.
„Nacht", murmelte Shin'ichi und schlief ein.
„Nacht...", antwortete Kaito zögernd und lag noch ein paar Minuten wach, bevor er einschlafen konnte. Irgendwie fühlte er sich merkwürdig.

24 Stunden mit Kaito KIDWo Geschichten leben. Entdecke jetzt