Stunde 1

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„Verdammt ist das heiß", seufzte Shin'ichi und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die Sommersonne brannte auf Südjapan herunter und ließ die Menschen dazu veranlassen ins Schwimmbad oder ins Meer zu gehen und dort zu schwimmen. Wie gerne wäre Shin'ichi jetzt auch im Wasser gewesen, doch stattdessen war ihm vor einigen Tagen ein seltsamer Brief zugestellt worden, den er nicht so einfach ignorieren konnte.
Er musterte die Umgebung und stellte fest, dass der Absender einen ziemlich ruhigen Ort gewählt hatte um bloß nicht aufzufallen.
Es war sehr idyllisch, mit einem großen Wald direkt am Bahnhof und nur wenigen Häusern in der Nähe. Er nahm seinen Koffer und ging vom Bahnsteig aus hinunter in das kleine Dorf. Wenn man die paar Häuser die es dort gab überhaupt so nennen konnte....
Shin'ichi sah sich kurz um und ging dann auf ein altes Rathaus zu, das direkt neben dem Bahnsteig gebaut worden war. Wahrscheinlich aus praktischen Gründen.
Das Kopfsteinpflaster war nicht besonders ungewöhnlich in alten Städten Japans. Allerdings gab es hier viele Stolpersteine, die ruhig mal hätten ausgebessert werden können. Teilweise waren sie so riesig wie Teller.
Shin'ichi sah auf die Steine hinunter und schüttelte den Kopf darüber, wie manche Leute nur so unvorsichtig handeln konnten.
Er lief weiter und betrat das Rathaus. Ein schriller Klingelton erklang, als Shin'ichi die Tür öffnete, so dass er sich beinahe die Ohren zuhalten musste. Eine seltsame alte Stadt.

„Ja?", fragte jemand aus einem Hinterzimmer und Shin'ichi hörte Schritte, die sich näherten und eine Tür wurde aufgerissen.

„Was ist?", fragte eine Frau genervt. Sie sah aus wie Mitte dreißig, hatte eine weiße Bluse und einen schwarzen Rock an. Ihre blonden Haare waren zu einem Dutt gebunden, der mehr schlecht als Recht hielt und auf ihrer spitzen Nase hockte eine kleine Brille. In ihrem Mund befand sich eine Zigarette und sie wirkte sehr genervt von ihrer Arbeit.

Na die ist ja sehr freundlich, dachte Shin'ichi und hatte jetzt schon keine Lust darauf sich mit dieser Person zu unterhalten.

„Ach, entschuldigen Sie mich, aber ich würde gerne etwas fragen", meinte Shin'ichi.

„Worum geht es?", keifte die Frau ihn an und stützte sich auf einen Tisch.

„Nun ja, ich-", setzte Shin'ichi an, wurde jäh jedoch von der Frau unterbrochen.

„Wenn es nichts mit dem Bürgermeister oder der Umwelt hier zu tun hat, bin ich dafür nicht zuständig", erzählte die Frau gelangweilt.

„Nein, nicht direkt, ich wollte nur-", fing Shin'ichi wieder an, doch ein weiteres Mal konnte er nicht zuende führen, was er angefangen hatte.

„Dann verschwinden Sie", giftete sie, drehte sich um, ging durch die Tür und ließ diese mit einem lauten Knall wieder zufallen.

„Sehr nette Leute...", murrte Shin'ichi und verschwand ebenso aus dem Raum, wie die Frau. Allerdings in die andere Richtung. Kaum war er wieder auf der Straße, sah er sich erneut um und suchte nach einem öffentlichen Haus, in dem man sich nach dem Weg zu dem Anwesen erkundigen konnte. Es stand nicht im Brief, nur das Bahnticket lag dabei und die Adresse.
Kurz entschlossen ging er in ein kleines Gasthaus, das fast direkt neben dem Rathaus stand. Anscheinend wurde hier alles ziemlich zentral gehalten.

„Oh, guten Tag", wurde Shin'ichi von einem älteren Mann freundlich empfangen. Er stand hinter einem Tresen und polierte gerade ein Glas, als Shin'ichi an die Theke trat und sich umsah.

So alt wie alles in diesem Dorf sah auch das Gasthaus aus, allerdings wirkte es um einiges gepflegter als das Rathaus oder Stolperkopfsteinpflaster draußen. Es wirkte urig und gemütlich, was auch zu dieser Stadt eher passte, als die mies gelaunte Dame im Rathaus.

„Guten Tag", entgegnete Shin'ichi und setzte sich auf einen Barhocker.
„Na, was macht denn ein so junger Mann bei uns hier?", wollte der Wirt wissen. Er hatte ein nettes Lächeln und das beruhigte Shin'ichi schon einigermaßen.
„Ich bin auf der Suche nach einem Haus, allerdings wurde ich im Rathaus eher weniger gut aufgenommen", erzählte er dem Wirt und dieser lachte nur.
„Da müssen Sie sich nicht wundern", erklärte dieser, da Shin'ichi anscheinend ein verdutztes Gesicht gemacht haben musste. „Frau Tomoe Ryugazaki kann ziemlich kratzbürstig sein, besonders wenn sie einen schlechten Tag hat. Und bei ihr ist fast jeder Tag ein schlechter Tag. Wenn Sie irgendeine Information von ihr haben wollen, dann müssen sie sie an einem der paar Tage erwischen, wenn sie gut gelaunt ist. Und selbst dann könnte es schwer werden."
Der Wirt grinste Shin'ichi an, stellte das fertig polierte Glas zur Seite, nahm ein weiteres in die Hand und putzte weiter.
„Könnten Sie mir denn vielleicht helfen?", wollte Shin'ichi wissen und zog das Papier mit der Adresse des Hauses hervor und legte es auf den Tresen. „Könnten Sie mir vielleicht sagen wo sich dieses Haus befindet?"
Der Wirt sah kurz auf das Blatt und bekam dann große Augen. Vor Erstaunen hörte dieser sogar auf das Glas zu putzen.
„Sie wollen zum alten Anwesen der Familie Watanabe? Ist das Ihr Ernst?", fragte der Wirt.
„Ja, was ist mit dem Anwesen?", wollte Shin'ichi wissen. Seine Aufmerksamkeit galt nun voll und ganz dem Wirt, seit seiner Reaktion gegenüber der Adresse.

„Nun ja...", fing der Wirt langsam an. Es war ihm nicht ganz wohl in seiner Haut. „Es gab vor ein paar Jahren einen Vorfall dort, den das Dorf ziemlich mitgenommen hat. Der Hausherr und die Hausherrin wurden ermordet, nur der kleine Junge und seine Schwester haben überlebt. Sie kamen mitten in der Nacht ins Dorf hinunter, Hand in Hand im Nachthemd und mit verweinten Gesichtern, den Teddybär hatte die kleine Tochter fest an sich gedrückt. An ihren weißen Nachthemden konnte man etwas Blut erkennen, es wurde festgestellt, dass es von ihren Eltern stammte. Allerdings konnte man den Mörder bis heute nicht fassen."
Der Wirt schwieg.
„Es war eine sehr traurige Geschichte", erzählte der Wirt. „Deswegen blieben auch die Touristen aus."

„Und wo liegt dieses Haus nun?", wiederholte Shin'ichi seine Frage noch mal.
Der Wirt schreckte hoch und sah Shin'ichi mit einem Lächeln an. Seine Hände lösten sich jetzt auch aus ihrer Starre und polierten das Glas weiter.
„Sie müssen dem Hauptweg durch das Dorf folgen, bis sie zu einem Waldweg kommen. Den gehen sie bis zum Ende weiter. Am Ende ist das Anwesen. Sie können es kaum verfehlen. Bis zum Anwesen rauf dauert es etwa eine Stunde. Allerdings sollten sie sich beeilen. Das Wetter ändert sich hier schnell und sie haben für heute einen Sturm angekündigt."
„Vielen Dank", bedankte sich Shin'ichi und stand auf. „Ach, haben Sie eigentlich eine Polizeiwache in der Nähe?"

Der Wirt sah verdutzt von seinem mittlerweile blank geputzten Glas auf und sah Shin'ichi einen kurzen Moment an, bevor er antwortete.
„Ja, aber wir haben nur zwei Polizisten hier. Wenn man von dem Vorfall mit den Watanabes absieht, passiert hier so wenig, da braucht es nicht viele Beamte."
„Danke nochmals", sagte Shin'ichi und verließ das Gasthaus wieder. Er hatte schon reichlich viele Informationen bekommen. In Gedanken versunken lief er die Stolperstraße entlang und sah auf seine Uhr. Es war kurz nach drei am Nachmittag. Das hieße, er würde so gegen vier dort oben ankommen.
Er seufzte und machte sich auf den Weg, als er von hinten schnelle Schritte hörte.

„Uwah!", rief jemand von hinten und Shin'ichi drehte sich um. Doch bevor er überhaupt sehen konnte, was passiert war, wurde er von einer anderen Person mit zu Boden gerissen.

24 Stunden mit Kaito KIDWo Geschichten leben. Entdecke jetzt