Stunde 21

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Der Nebel hatte sich schon fast komplett verzogen, als Jii und Kaito auf den Gang hinaustraten. Die Sirenen hingegen waren noch immer an und schrillten durch die Flure.
„Beeilung, junger Herr!", rief Jii und lief schon voraus. „Hier geht es lang, wir müssen durch den Hinterausgang verschwinden, sonst laufen wir nur in Ihre Entführer rein!"
„Ja", keuchte Kaito, denn mit Shin'ichi auf dem Rücken war es viel schwieriger Jii zu folgen.
Nach einiger Zeit rannten sie hinter eine Ecke und Jii stieß eine Tür auf. Frische Luft drang herein und Kaito nahm einen tiefen Luftzug. Es tat gut, die klare Luft des Waldes einzuatmen und dieses Gebäude hinter sich lassen zu können. Als sie noch ein Stück weiter in den Wald gingen, blieben sie stehen und keuchten vor Anstrengung.
Kaito drehte sich um und blickte auf das Gebäude zurück. Auf der anderen Seite waren viele Stimmen zu hören, die wild umherschrien.
„DA IST GAR KEIN FEUER, CHEF!", schrie einer und Kaito erkannte, dass es die Frau war, die zusammen mit Jii und dem alten Mann vor seiner Zelle gestanden hatte.
„Verflucht", murmelte Kaito. „Sie haben es bemerkt, Jii."
„Los, junger Herr!", sagte Jii und lief weiter durch den Wald.
Kaito packte Shin'ichi fester und rannte dem alten Bekannten hinterher. Sie schlugen sich durchs Dickicht bis zu einer Lichtung mit einem festeren Weg. Dort stand ein alter Geländewagen.
„Einsteigen!", mahnte Jii, öffnete die Tür und setzte sich auf den Fahrersitz. Während Jii den Motor anwarf ging Kaito zur Rückbank und legte Shin'ichi darauf ab. Das Auto war ziemlich groß, so dass auch der Dieb Platz fand.
„Fahr los!", rief er nach vorne und hielt Shin'ichi fest. Jii drückte aufs Gaspedal und mit einem Ruck fuhr der Wagen los.
„Wie geht es dem Detektiv?", fragte Jii und blickte durch den Rückspiegel auf Kaitos besorgtes Gesicht.
„Er ist immer noch nicht wach", meinte Kaito. „Er muss in ein Krankenhaus, Jii!"
„Wir müssen erst einmal hier heraus, junger Herr."
Doch der Meisterdieb hörte gar nicht mehr zu. Er wollte nicht hören, dass die Flucht jetzt erst einmal Priorität hatte. Er wollte einfach nur, dass Shin'ichi jetzt aufwachte.
„Hey, Shin'ichi, wach auf", wisperte Kaito und rüttelte den Detektiv ein wenig. Er hatte Angst, ihn zu viel zu schütteln und dass er dann niemals mehr aufwachen würde. Aber er musste ihn auch irgendwie wach bekommen.

Er hatte keine Ahnung wo er war. Er fühlte nur, dass sein Körper in irgendwas lag, was sich bewegte und dass jemand ihn an den Armen gepackt hatte und ihn durchrüttelte. Aber warum? War er am Schlafen? Hatte das etwas mit seinen malträtierten Unterarmen zu tun und den Schmerzen vor ein paar Minuten?
Ein paar Minuten...
Wie lange hatte er geschlafen? Er hatte keine Ahnung wo er war, was er hier tat und warum seine Unterarme so höllisch brannten.
Er wollte seine Augen öffnen, doch sie klebten zusammen und er war viel zu müde um sie überhaupt öffnen zu wollen. Er wollte einfach schlafen und nie wieder aufwachen.
Aber wer rüttelte ihn so? Er spürte, dass er diese Person kannte.
Dann fiel es ihm siedend heiß wieder ein. Er war zusammen mit Kaito KID gefangen genommen worden und dieser Dieb hatte ihm seine Identität anvertraut.
Was war mit Kaito passiert?
Panik packte ihn und er öffnete die Augen.
„Kai...to...?", fragte Shin'ichi und blickte benommen auf die Gestalt vor ihm, die ihn immer noch rüttelte.
Sein Blickfeld war verschwommen, doch nach ein paar Sekunden erkannte er das ihm so ähnliche Gesicht, das voller Schmutz, Schweiß und... einer Träne war?

„Shin'ichi", flüsterte Kaito erleichtert und sah, wie der Detektiv die Augen aufschlug. Zwar nur langsam, aber er war definitiv bei Bewusstsein. Dem Dieb fiel ein Stein vom Herzen. Fast hätte er Shin'ichi verloren...
Bei dem Gedanken wurde er prompt rot. Er wusste schon, was mit ihm los war. Aber er hatte auch erkannt, das Shin'ichi nicht so fühlte.
Schon war der schwere Klumpen auf seiner Brust wieder da.
„Idiot", grummelte Kaito und starrte auf Shin'ichis Gesicht. Dieser hatte mittlerweile seine Augen weiter geöffnet und sah nun mit einem erschöpften Ausdruck zu Kaito.
„Mach sowas nie wieder!", fluchte der Dieb. Am liebsten hätte er die Tränen zurückgehalten, doch sie flossen einfach. Zwei kleine Tränen.
Hoffentlich dachte Shin'ichi, dass es nur Schweißperlen waren.
„Erst lässt du dich anschießen und dann auch noch mit diesen gruseligen Werkzeugen aufschneiden... Das ist doch bescheuert..."
Shin'ichi schwieg erst und sah nur auf Kaitos Gesicht, dass wütend und mit leisen Tränen in den Augen auf ihn herunterstarrte.
„Warum weinst du?", murmelte der Detektiv dann.
„Hab vorhin was ins Auge bekommen", murrte Kaito. „Jetzt lenk nicht vom Thema ab."
Verflucht, er hatte es also doch bemerkt, dachte der Dieb. Dieser blöde Detektiv.
„Hör auf dir solche Sorgen zu machen", sagte Shin'ichi mit schwacher Stimme. „Und außerdem bist du ein schlechter Lügner wenn du verlegen bist."
Er lächelte leicht und sah nach vorne.
„Ich nehme an, Sie sind unser Retter?", sprach er Jii an.
„Ich begleite den jungen Herrn ab und zu", gab der Fahrer als Antwort. „Freut mich, Sie kennenzulernen, Shin'ichi Kudo."
„Das ist Jii, ein alter Freund", erklärte Kaito kurz. „Er hat sich erlaubt uns ein klein wenig im Auge zu behalten..."
„Vielen Dank, Jii-san", sagte Shin'ichi. „Ich glaube, ohne Ihre Hilfe hätte das in einer ziemlich misslichen Lage geendet."
„Keine Ursache", entgegnete Jii.
Der Detektiv wendete den Blick nach draußen und sah die Sonne, die schon langsam unterzugehen schien. Plötzlich drehte er sich jedoch wieder rasch zu Kaito, der schon beinahe erschrocken zusammenfuhr, als er Shin'ichis besorgten Ausdruck bemerkte.
„Haben sie eigentlich was mit dir gemacht?", wollte er dringend wissen.
„Keine Sorge, bei mir ist alles okay", sagte Kaito und beruhigte den Detektiv so. „Aber leicht bist du auch nicht gerade."
„Du hast mich getragen?"
„Jap."
Stille.
„Du bist ebenfalls schwer."
„Wieso ebenfalls?"
„Du hast mich auf der Brücke auch als schwer bezeichnet."
Kaito grinste, während Shin'ichi sich mal wieder bewusst wurde, dass dieser Dieb jedes seiner Worte gegen ihn verwenden würde. Jedoch schien es ihm nichts auszumachen. Im Gegenteil. Seine Wortgefechte mit dem Dieb machten ihm schon seit einer Weile ziemlich viel Spaß. Es tat ihm irgendwie weh ihn nach alle dem hier wieder nur als Gegner wiedersehen zu können.
Verfluchte Gefühle... Das war doch verrückt.
„Wo fahren wir eigentlich hin?"
„Du fragst noch? Natürlich in ein Krankenhaus! Deine Wunden müssen behandelt werden, Tantei-kun."
„Na gut."
Kaito blickte den Detektiv verwundert an, der nun wieder aus dem Fenster starrte. Seit wann war er mit seinem Spitznamen denn einverstanden?


24 Stunden mit Kaito KIDWo Geschichten leben. Entdecke jetzt