Stunde 9

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„Also, ich weiß ja nicht was du nun machen willst, aber ich würde mir jetzt gerne andere Klamotten anziehen und dann mich ein wenig aufs Ohr hauen", murmelte Nana schlaftrunken und mit geschlossenen Augen. Als sie keine Antwort von dem Detektiv bekam öffnete sie ihre Lider. Ihr gegenüber lehnte der Detektiv schlafend an der Wand und gab keinen Mucks von sich. Seine Brust bewegte sich langsam auf und ab.
„Da ist unser kleiner Tantei-kun wohl müde geworden", meinte Nana und ihre Stimme wurde tiefer. Dann fasste sie sich an ihren Hals, lockerte ihren Blusenkragen und zog sich mit einem Ruck eine Maske vom Gesicht.
Darunter zum Vorschein kam Kaito KID, alias Kaito Kuroba.
Mit dem schmutzigen Blusenärmel wischte er sich ein paarmal über das schweißnasse Gesicht. Unter diesen Masken war es immer verdammt warm. Gleichzeitig zog er sich mit der anderen Hand die Perücke vom Kopf. Er wusste nicht wo er mehr geschwitzt hatte. Unter der dämlichen Maske oder der schweren Perücke.
Andererseits hätte er sie auch nicht abnehmen können. Hätte der Detektiv sein wahres Gesicht gesehen, hätte es für die Zeit nach dieser Verfolgungsjagd schlecht für ihn ausgesehen.
Er mochte den Detektiv irgendwie, aber er wusste, dass dieser ihn sofort ins Gefängnis bringen würde, sobald er die Gelegenheit dazu bekam. Das hatte er ihm selber einmal gesagt.
Er schmunzelte und ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. Er würde sich den Dreck abwaschen und danach sofort wieder seine Maske aufsetzten.
Schwerfällig stand er auf, öffnete Shin'ichis Rucksack und kramte darin herum. Aber wonach er suchte fand er einfach nicht. Dann eben seine. Er lief wieder zurück zu seiner Tasche und zog die Decke heraus, die er darin verstaut hatte.
Er faltete sie auseinander und deckte den Detektiv damit zu. So erschöpft wie er war hatte er den Schlaf dringend nötig, da brauchte er nicht auch noch eine Erkältung.
Seufzend ging der Dieb wieder zurück zu seiner Tasche, zog ein paar neue Klamotten heraus und ging dann nach draußen. Dort entledigte er sich seiner Kleider, wusch sich in Windeseile und zog neue an. Auch wenn diese wie die anderen unbequem waren. Wieso hatte er sich noch gleich als Frau verkleidet?
Leicht genervt hob er die blutigen Kleidungsstücke auf und begann dann auch sie zu reinigen. Jedoch nicht ohne, dass er manchmal seinen Blick nach hinten schweifen ließ um zu sehen, ob nicht ein gewisser Detektiv in der Tür stand. Doch bis jetzt schien dieser noch zu schlafen.
Am Anfang färbte sich das Wasser des Baches stark rot, doch nach einiger Zeit wurde es immer weniger, bis nur noch leichte Spuren davon mit dem Wasser hinabflossen.
Er wrang diese aus und nahm sie wieder mit zur Hütte. Jetzt waren die Sachen wenigstens wieder einigermaßen sauber. Langsam und vorsichtig tastete er sich wieder in die Hütte hinein. Shin'ichi schlief immer noch. Schleichend ging er zu einem alten Stuhl in der Ecke, hängte darüber die Hose und die Bluse und kramte dann wieder in seinem Rucksack nach einer neuen Maske.
Schnell und etwas hektisch streifte er sich diese über und befestigte danach die Perücke an seinem Kopf.
Das schwere Ding juckte etwas, doch das musste er nun einmal noch eine Zeit ausharren. Er konnte nicht riskieren sie zu verlieren. Besonders nicht in Anwesenheit des Detektivs.
Kaito hockte sich auf den Boden und lehnte sich an die gegenüberliegende Wand in der Hütte, die ungefähr vier Meter von der anderen entfernt war und so einen großen Abstand zwischen ihn und den Detektiv brachte. Das beruhigte ihn irgendwie. Er durfte ihm einfach nicht zu nahe kommen. Das Ablenkungsmanöver von ihm war schon verdammt gefährlich geworden. Der junge Dieb hatte niemals die Absicht gehabt oder auch nur im Entferntesten daran gedacht, dass er dem Detektiv jemals so nah kommen würde. Und nun waren sie beide zusammen auf der Flucht vor ein paar suspekten Polizisten. Eine komische Wendung der Ereignisse. Und eine, die ihm allerdings auch etwas Kopfzerbrechen bereitete. Er konnte schließlich nicht aus dieser Verkleidung raus, denn als Dieb mit weißem Umhang, Anzug und Zylinder würde er nachts dezent auffallen und sein wahres Gesicht konnte er Shin'ichi nicht zeigen, da dieser ihn sonst danach an die Polizei übergeben würde. Zudem war der Gedanke, dass er einem seiner Gegner offen und ehrlich sein Gesicht zeigen würde einfach durch und durch verrückt.
Während er so über die Situation nachdachte, wurde er immer müder und spürte ebenfalls das Verlangen etwas zu schlafen. Langsam aber sicher wurden seine Augen müde. Er schloss die Augen und genoss das Gefühl, dass diese sich nun etwas ausruhen konnten.
Keine zehn Sekunden später war nun auch der Dieb eingeschlafen.


Ein plötzlicher Knall riss Shin'ichi unsanft aus dem Schlaf. Verschreckt fuhr er hoch und sah vor sich an der anderen Wand Nana, die sich ebenfalls ausgeruht hatte und auch hochgeschreckt war. Ein zweiter und ein dritter Knall folgten. Er bemerkte noch, dass sie andere Kleidung trug und die alte über dem Stuhl hing und sie ihn anscheinend zugedeckt hatte, dann sprang er auf und rannte zum Fenster.
Diese Knalle hatten sich wie der Schuss einer Pistole angehört. Doch dort draußen konnte man nichts erkennen. Es war noch alles stockfinster. Durch die Bäume hindurch konnte er nur ein kleines Stückchen sternenklaren Himmel erblicken, doch ansonsten rührte sich da draußen kein Blatt am Zweig eines Baumes. Es war wieder totenstill...
Shin'ichi fluchte und wollte schon zur Tür rennen, als Nana ihn am Handgelenk packte und aufhielt. Sie sah ihn mit ernster Miene an.
„Nein", sagte sie und hatte sein Handgelenk eisern umschlossen. „Wenn du jetzt da rausgehst, bist du tot."
„Wenn ich nicht da rausgehe, und dieser Mensch auf den geschossen wurde wegen einer Verletzung stirbt, die wir hätten verhindern können, sind wir selbst nicht besser als dieser Mörder!", rief Shin'ichi aufgebracht, machte sich von Nanas Handgelenk los und preschte aus der Tür. Er rannte in die Richtung, aus der die Schüsse kamen. Von oben auf dem Berg. Doch kaum war er neben dem Haus hergelaufen und am Bach entlang den Hang hinauf, bemerkte er, dass der Bach sich kaum merklich dunkel färbte.
„Verflucht", zischte der Detektiv und rannte weiter.
„Warte!", wisperte Nana und folgte ihm den Berg hinauf. Der verkleidete Kaito dachte daran, dass es vielleicht eine Falle sein könnte und wusste nicht, was sie nun erwarten würde. Doch wenn er dieses jetzt Shin'ichi sagen wollte, müsste er schreien, denn der Detektiv war schon verdammt weit oben. Schreien war jedoch im Moment eine ziemlich bescheuerte Idee. Denn Selbstmordgedanken hatte er eigentlich nicht. Ganz im Gegensatz zu dem Detektiv vor ihm.

24 Stunden mit Kaito KIDWo Geschichten leben. Entdecke jetzt