Stunde 18

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Es entstand eine lange Stille. Shin'ichi starrte ihn verdutzt, geschockt, überrascht und total überwältigt an. Irgendwie konnte Kaito nicht genau sagen, welche Emotion am besten auf dem Gesicht des Detektivs am Stärksten war, da alles gleichzeitig zu passieren schien.
Dann öffnete sich der Mund des Detektivs.
„Du...", setzte er an und machte sofort ernst. „Du vertraust mir?"
„Sieht man doch", entgegnete der Dieb und versuchte zu grinsen.
„Ein Dieb... vertraut einem... Detektiv?" Shin'ichi starrte das Gesicht des Diebes immer noch an und startete ebenfalls ein Lächeln. Es gelang ihm nicht.
Dieses Gesicht faszinierte ihn.
Trotz dieser vielen Schrammen und Wunden grinste es ihn an. Ein Gesicht, das fast so aussah wie sein eigenes. Nur die Augen stellten einen Unterschied dar.
„Das ist... Wahnsinn", meinte der Detektiv nun gequält. „Und warum ausgerechnet hier und jetzt?"
Gekonnt ignorierte Shin'ichi die immer noch ausgestreckte Hand. Er wollte erst die Gründe wissen. Es war seltsam, dass KID... Kaito ihm einfach so zu vertrauen schien. Seinem Gegner.
Er freute sich zwar schon... und es tat ihm irgendwie weh ihm nicht einfach so glauben zu schenken, aber das war doch... absurd.
Kaitos Grinsen verschwand und nun sah er einfach nur noch den Detektiv an. Doch auch das gelang ihm nicht mehr. Er senkte seinen Blick und nahm seine Hand zurück, die langsam anfing zu zittern.
Es wurde ihm schmerzhaft bewusst, dass nicht mehr viel Zeit blieb.
„Du hast mir schon mehr als einmal vertraut, und das, obwohl du nicht wusstest, ob ich dich hintergehen würde oder nicht. Außerdem weiß unser Feind genau, wer ich bin. Es käme mir einfach nicht richtig vor, das vor dir geheim zu halten." Kaito machte eine Pause, blickte hoch und sah nun den Detektiv vollen Ernstes an. „Ich vertraue dir."
Innerlich seufzte Kaito erleichtert auf. Er hatte dem Detektiv nun die Wahrheit gesagt. Zwar nicht die komplette, aber das musste er auf später verschieben. Falls er es ihm überhaupt jemals sagen würde.
„Also, mein Name ist Kaito Kuroba", wiederholte Kaito ein weiteres Mal und streckte wieder seine Hand aus.
Nach einem kurzen Zögern, packte Shin'ichi Kaitos Hand und drückte sie etwas zu fest, was Kaito schmerzhaft sein Gesicht verziehen ließ.
„Entschuldige", murmelte Shin'ichi und lockerte seinen Griff leicht. Dann lächelte er auch. „Shin'ichi Kudo, schön, dich kennen zu lernen, Kuroba."
„Der Nachname ist so förmlich", murrte Kaito rum und wurde leicht rot dabei.
„Na gut, dann Kaito", meinte der Detektiv. „Unter einer Bedingung."
„Welcher?"
„Nenn mich nicht mehr Tantei-kun."
„Aber der Name passt zu dir."
„Lass es einfach."
„Na gut..."
Prüfend musterte der Detektiv den Dieb.
„Du wirst ihn trotzdem weiterhin benutzen, oder?"
„Na logo, Tantei-kun", grinste Kaito.
Resigniert seufzte der Detektiv und murmelte irgendetwas Unverständliches in seinen nicht vorhandenen Bart.
„Wie auch immer", meinte er dann und stand ungeschickt auf, indem er sich in die rissigen Steine an der Wand hinter ihm festkrallte. Dabei ließ er Kaitos Hand los und hinterließ einen leichten Hauch Wärme. Am liebsten würde Shin'ichi sich noch länger mit Kaito unterhalten, doch sie mussten sich nun auf ihre Lage konzentrieren.
„Wir sollten uns etwas überlegen. Früher oder später wird jemand kommen um uns etwas zu essen zu bringen."
Erst jetzt fiel Kaito auf, dass die Rucksäcke verschwunden waren. Sie hatten sie ihnen wahrscheinlich abgenommen.
„Sag mal, wen hast du jetzt eigentlich genau erkannt?", fragte Kaito und stand nun ebenfalls auf. Zwar musste er sich nicht an der Wand festhalten, hatte jedoch Mühe nicht umzufallen.
Shin'ichi musterte ihn kurz und begann dann zu erzählen.
„Erinnerst du dich noch an deinen letzten Coup?", fragte Shin'ichi den Dieb. Kaito nickte. „Damals war ein junger Mann anwesend, Jun Mikoshiba. Kurz bevor du deinen Auftritt hattest, ist er zu mir gekommen um mich etwas zu fragen. Doch als du kamst, bin ich hinter dir her und hab ihn stehen lassen. Als ich dann zurückkam, und du wie immer weg warst, bin ich zu ihm gegangen um mir seine Frage anzuhören. Aber er hat mich ziemlich hart zurückgewiesen.
Nach einiger Zeit bekam ich dann Drohbriefe. Zuerst wusste ich nicht von wem er überhaupt kommen könnte, doch dann fielen mir kleine Feinheiten der Sprache im Brief auf, die auch Mikoshiba verwendet hatte. Also habe ich über ihn recherchiert und auch Kommissar Megure um Rat gefragt."
„Und was hat sich herausgestellt?", wollte der Dieb wissen.
„Es kam heraus, dass dieser Mikoshiba in einer Psychiatrie gewesen war und anscheinend wegen einem Unfall nicht mehr klar denken konnte. Nach einem Jahr wurde er wegen guter Führung und wegen einer angeblichen Heilung wieder entlassen. Wie es aussieht, ist er ebenfalls ein Mitglied einer Bande, die uns nicht besonders mag. Vorhin haben sie etwas über persönliche Rache und so geredet..."
Er stockte. Anscheinend war er nicht sicher, ob er weitererzählen sollte oder nicht.
„Shin'ichi... wer war noch da?"
Angestrengt massierte der Detektiv sich die Stirn. Es war komisch, so frei vor einem Dieb zu reden.
Einem Dieb, der ihm vertraute.
„Es war niemand mehr da, es war nur etwas, was er sagte", meinte der Detektiv und verschränkte die Arme vor der Brust. „Und zwar, dass er die Leute rächen will, die an uns nicht rankommen können."
Verwirrt runzelte Kaito die Stirn.
„Ein ziemliches Rätsel", murmelte Kaito und legte die Stirn in Falten.
Shin'ichi nickte zustimmend und musterte den Dieb noch ein wenig.
Ein leichter Rotschimmer breitete sich auf Kaitos Wangen aus. Hoffentlich bemerkte Shin'ichi es nicht.
„Hab ich was im Gesicht oder warum schaust du mich so an?", fragte Kaito und holte den Detektiv aus seiner Beobachtung heraus.
„Nein, ich hab nur nicht damit gerechnet, dass dein echtes Gesicht so nett aussieht", sagte Shin'ichi und lächelte leicht. „Mit dem Monokel und dem Hut auf dem Kopf sahst du immer leicht arrogant aus."
„Ich und arrogant? Niemals!", feixte der Dieb und grinste.
Shin'ichi setzte sich wieder hin und stützte sich dabei an der Mauer ab.
„Ich mach etwas die Augen zu", sagte der Detektiv und schloss diese bereits.
Eigentlich wollte er nur kurz über seine jetzige Situation einen kurzen Überblick verschaffen. Doch Kaitos Offenbarung hatte ihm einen gehörigen Schock verpasst. Damit hatte nicht gerechnet. Niemals.
Er war wirklich froh, aber... irgendetwas schien der Dieb dennoch vor ihm zu verbergen. Er wusste nicht was. Und das machte ihn irgendwie traurig. Ein stechender Schmerz zog sich durch seine Brust und das Atmen fiel ihm etwas schwerer.
Er machte gerade die Augen wieder auf um Kaito direkt zu fragen, doch da ging die Tür mit einem Schwung auf und ein vermummter Mann trat zusammen mit einer Pistole herein.
„Shin'ichi Kudo!", rief er brutal und kniff die Augen zusammen. „Aufstehen und mitkommen!"

24 Stunden mit Kaito KIDWo Geschichten leben. Entdecke jetzt