Stunde 19

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Zu lange. Viel zu lange hörte er sie jetzt schon.
Zu laut. Viel zu laut waren sie.
Und zu grausam. Viel zu grausam, so dass jede Faser in seinem Körper auch schrie.
Er wusste nicht, wie oft er nun schon geschrien hatte, doch mittlerweile hörten die Schreie sich heiser und unerträglich an. Er schrie sich beinahe die Kehle aus dem Leib.
Am liebsten hätte sich Kaito wie ein kleines Kind zusammengekauert, in eine Ecke verkrochen und sich die Ohren zugehalten.
Stattdessen versuchte er die Holztür aufzubekommen. Doch es war vergeblich. Das neue Schloss ließ sich nicht öffnen und sorgte für einen guten Halt. Einen zu guten Halt.
Diese Tür und diese Leute verfluchend trat und hämmerte Kaito gegen die Tür.
Er durfte jetzt nicht den Verstand verlieren. Er musste hier hinaus kommen. Ganz egal wie, aber er musste diese Wahnsinnigen davon abhalten, Shin'ichi zu einem Wahnsinnigen zu machen.
Denk nach, Kaito! Wozu bist du denn ein Dieb? Du bist doch schon vorher aus verschlossenen Zimmern geflohen!
Aber irgendwie konnte er es nicht. Er fühlte sich hilflos. Hilfloser als jemals zuvor. Mit Shin'ichis Schreien und Qualen in seinen Ohren. Es ging einfach nicht.
Er wollte sich gerade die Hände auf die Ohren halten, um den Schrei nicht mehr hören zu müssen, als dieser heiser verebbte und es schließlich still wurde.
Beinahe schon zu still.
Kaito horchte auf und wartete auf den nächsten Schrei, doch er kam nicht. Stattdessen hörte er leise Stimmen, die immer näher kamen.
„Mal im Ernst, der Kerl kann doch nicht ewig schweigen", meinte eine der Stimmen, die einem alten Mann gehören zu schien.
„Aber lange kann ich mir den Schrei von dem nicht mehr anhören", grummelte eine andere Stimme. Sie klang nach einer Frau. „Das tut einem ja in den Ohren weh."
Wütend ballte Kaito die Hände zu Fäusten.
„Naja, irgendwie finde ich es schon ziemlich viel, was der Chef da von dem Jungen verlangt", schaltete sich eine dritte Stimme an, die von einem jungen Mann ausging. „Ich würde da auch schweigen."
Die Frau schnaubte abfällig.
„So wie der unsere Organisation und all unsere Vorhaben ausgelöscht hat, kann der Chef nicht genug von ihm verlangen", sagte die Frau bitter. „Oder willst du sagen, dass du auf seiner Seite stehst? Das wäre genauso, als wenn Kaito Kuroba, dieser Dieb, davon kommen würde. Immerhin ist es seine Schuld, dass deine Freunde nun hinter Gitter sitzen."
Was?
Kaito riss die Augen auf und starrte auf die Tür vor ihm. Jetzt wusste er, wer hinter dem ganzen steckte... Und er hatte gedacht, dass alles zuende sei.
„Anscheinend ist es noch nicht vorbei, Vater...", murmelte Kaito und lächelte bitter. „Das ist doch unfassbar..."
Aber jetzt sind es nicht nur sie, dachte Kaito und sein bitteres Lächeln wurde zu einem resignierten. Jetzt war es die Rache von den übrigen Mitgliedern der Organisationen, die Shin'ichi und ihn gejagt hatten, bevor sie beide diese fast ohne Hilfe zerstört hatten.
Dabei dachte er, dass dieser Albtraum endlich vorbei wäre.
Aber was wollten sie von Shin'ichi?
Er hörte den Schritten der drei zu und plötzlich verstummten sie direkt vor seiner Tür.
„Hey, Kaitolein", flötete die Frau gehässig und starrte durch das kleine Fenster in die Zelle. Ihr Blick war schon fast amüsiert, als sie auf Kaitos wütendes Gesicht starrte.
Sie lachte.
„Anscheinend magst du diesen Namen nichts sonderlich", sagte sie und grinste dabei.
„Was macht ihr mit ihm?", fragte Kaito zähneknirschend und starrte die Frau an. Ihn beschlich eine böse Vorahnung.
„Naja, was machen Bösewichte denn, wenn sie jemanden, der gegen sie arbeitet, quälen wollen?", meinte der alte Mann sarkastisch.
„Ihr wollte wissen, wer ihm am nächsten steht...", murmelte Kaito und blickte nun auf den Boden.
„100 Punkte für unseren kleinen Dieb", grinste die Frau und klatschte Beifall. Dann wurde ihr Blick rasiermesserscharf. „Bis jetzt sagt er zwar nichts, aber wir werden ihn schon zum Reden bringen. Und danach..." Sie drehte sich halb um, behielt ihn aber noch mit einem ihrer Augen im Blick. „...bist du an der Reihe."
Kaito ballte die Hände zu Fäusten.
„Lasst ihn da sofort raus!", rief Kaito, als die die Frau zusammen mit den beiden Männern sich wegdrehten und wieder den Gang nach rechts entlangliefen.
Die Frau blieb kurz stehen und grinste, als sie zurücksah.
„Ach... das ist ja mal interessant", stellte sie fest. „Das wird unsern Chef sicher freuen."
Damit drehte sie sich endgültig um und verschwand wieder mit ihren Anhängern.
Mit aufgerissenen Augen umklammerte Kaito die kleinen Gitterstäbe im Fenster und versuchte, den dreien nachzuschauen. Vergeblich.
Mist, was würde denn jetzt mit Shin'ichi passieren...? Wenn diese Kerle ihn noch weiter quälen würden, dann würde er irgendwann den Verstand verlieren! Das durfte einfach nicht sein! Nicht, wenn Kaito das verhindern konnte.
Doch wieder einmal wurden seine Gedanken von einem Schmerzensschrei Shin'ichis unterbrochen und diesmal war er lauter als jeder zuvor.
Aber schon nach ein paar Sekunden hörte er wieder auf.
Kaito hatte eine Gänsehaut bekommen. Es war zu schrecklich. Wie konnte ein Mensch einem anderen Menschen so etwas antun, nur, weil dieser nicht tat, was er wollte? Krank. Es war einfach nur krank.
Kaito hörte wieder Schritte auf dem Gang, die in seine Richtung liefen. Er richtete sich auf, bereit dieser gehässigen Frau wieder gegenüberzutreten, sobald ihr Gesicht hinter den Gitterstäben auftauchte.
Doch zu seiner Überraschung war es nicht die Frau, die zu ihm kam, es war der junge Mann, der vorhin schon Zweifel gehegt hatte, ob es wirklich so eine gute Idee war, jemanden zu foltern.
„Kaito Kuroba", fing der Mann an und sah den Dieb dabei relativ neutral durch die Gitterstäbe hinweg an.
Er fummelte am Schloss der Tür herum bis diese aufschwang und er, mit einer Pistole auf Kaito gerichtet, in dem Raum trat.
„Ich bin hier um dich abzuholen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass du weißt, wo es hingeht", sagte der Mann an und bei seinem letzten Satz hatte er beinahe das Gefühl, dass der Mann schauderte. Irgendetwas war komisch an dem Kerl...
Kaito ging bereitwillig auf den Mann zu, der dem Dieb Platz machte und ihm dann folgte.
„Junger Herr, ich bin's", flüsterte der junge Mann dem Dieb ins Ohr, der sich überrascht und geschockt zu dem jungen Mann, der nun leicht lächelte, umdrehte. So nannte ihn nur einer.

24 Stunden mit Kaito KIDWo Geschichten leben. Entdecke jetzt