Stunde 8

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Shin'ichis Füße brannten, genauso wie seine Lunge, sobald er einen neuen Atemzug der kalten Luft einnahm. Mittlerweile war es halb elf nachts und in den Bergen hatte es verdammt abgekühlt. Nicht nur das, je weiter sie den Berg hinaufliefen, desto dünner wurde die Luft. Sein Rücken schmerzte wegen des Gepäcks. Mit jedem Schritt den er weiter ging wurden seine Beine schwer wie Blei.
„Hier irgendwo muss doch eine Hütte sein", meinte Nana, die kurz hinter Shin'ichi lief. „Als ich das letzte Mal hier war, war hier noch eine."
„Du warst schon mal hier?", fragte Shin'ichi verblüfft, blieb stehen und drehte sich um. Er glaubte immer noch nicht, dass es sich bei Nana um eine normale junge Frau handelte.
„Ja, aber das ist lange her", sagte sie und blieb ebenfalls stehen. „Das einzige, was ich noch weiß ist, dass sie sich in der Nähe von drei großen Bäumen befindet."
Sie ließ den Blick schweifen, dann hielt sie auf einmal an und kniff die Augen zusammen.
„Was ist denn?", fragte Shin'ichi und blickte ebenfalls in diese Richtung.
„Pscht!", meinte Nana und horchte. Dann hellte sich ihr Blick auf und sie setzte sich zielstrebig in Bewegung. Sie rannte an dem Detektiv vorbei, umkreiste einen Baum und einen großen Stein und lief dann wieder etwas weiter den Berg hinab. Mühsam versuchte Shin'ichi mit ihr Schritt zu halten und trottete deshalb etwas unfähig hinter ihr her.
„Wohin gehen wir denn?", fragte der junge Mann. Langsam hatte er genug von Nanas Geheimniskrämereien. Sie verhielt sich genauso wie KID. Er hatte nicht den leisesten Zweifel mehr, dass Nana Kaito KID war.
Doch dann fiel ihm die Situation in der Nähe des alten Hauses wieder ein und er bekam einen leichten Rotschimmer auf den Wangen. Wenn es wirklich Kaito KID war, der nun vor ihm herlief, warum hatte er Shin'ichi dann einen indirekten Kuss gegeben? War es wirklich nötig gewesen so zu reagieren? Wahrscheinlich wollte er damit nur den Verdacht von sich nehmen, da Kaito KID doch niemals einem seiner Gegner einen indirekten Kuss aufzwingen würde.
So musste es gewesen sein.
Auch wenn ihm die Sache immer noch weiter im Kopf herumspukte, als Nana, alias Kaito KID, plötzlich stehen blieb und Shin'ichi es gerade noch schaffte zum Stehen zu kommen, ansonsten wäre er volle Kanne in sie, oder ihn, hineingelaufen.
„Deswegen sind wir hierhingegangen", meinte Nana und deutete auf die Glühwürmchen, die in der Luft auf und abtanzten.
Unter ihnen plätscherte ein kleiner Bach.
„Wenn wir diesem Bach ein Stück nach oben folgen kommen wir zu einer kleinen Hütte, da können wir uns etwas ausruhen", meinte Nana. Dann sah sie an sich hinunter und entdeckte dunkle Flecken auf ihrer Kleidung. „Und vielleicht wäre es auch ratsam die Kleidung zu wechseln und sich zu waschen. Falls wir irgendeinem Menschen über dem Weg laufen sollten wird er vielleicht nicht sofort vor uns Angst haben."
„Da wäre ich mir nicht so sicher", meinte Shin'ichi und kniff die Augen zusammen, bevor er sich hinhockte und den Bachlauf betrachtete wie er hinunter ins Tal floss. Das Licht der Glühwürmchen spiegelte sich im klaren Wasser wider. „Diese komischen Polizisten haben bestimmt eine Großfahndung nach uns rausschicken lassen und auch wahrscheinlich die Bevölkerung hier in der Gegend gewarnt, dass zwei flüchtige Mörder in den Bergen unterwegs sind. Ich glaube, wenn sie unsere Beschreibungen ebenfalls durchgeben werden wir es sehr schwer haben noch irgendwo ungesehen hinzukommen."
Nana stieß einen kleinen Seufzer aus, schloss die Augen und massierte sich an der Nasenwurzel.
„Nun ja", sagte sie schließlich, nachdem sie wieder von ihrer Nase abgelassen hatte, ein weiteres Mal geseufzt und nun wieder mit ihren Augen dem Bachlauf nach oben hin folgte. „Im Moment können wir sowieso nicht viel machen und ich bin der Meinung wir sollten uns etwas ausruhen. Vielleicht kommen wir ja so auf eine Idee was wir machen können um aus diesem Schlamassel rauszukommen. Und du kannst nicht leugnen, dass dir nicht die Füße und die Schultern wehtun."
Shin'ichi fühlte sich immer wieder von Nana und ihren Sprüchen ertappt. Auch jetzt. Er hatte keine Ahnung warum dieses Gefühl immer wieder in ihm hochkam. Aber vielleicht war es auch einfach, weil er sich sicher war, dass sich hinter Nanas Fassade Kaito KID versteckte, er dieses jedoch einfach nicht zugeben wollte.
Wieso eigentlich nicht? Shin'ichi hatte Kaito KID doch schon öfters ertappt und dann hatte er sich immer seiner Verkleidung entledigt.
Immer noch grübelnd bemerkte der Detektiv kaum, dass Nana schon weitergegangen war und er noch an derselben Stelle stand.
„Hey, warte doch!", rief er ihr leise hinterher und setzte sich nun auch wieder in Bewegung.
„Schlafmütze!", antwortete ihm Nana nur und als das Silbe „Schlaf" fiel, realisierte Shin'ichi erst wie müde er von der ganzen Tortur heute schon war. War ja auch vollkommen klar. Erst dieser Aufstieg zum Haus, dann wurde er niedergeschlagen, als Hauptverdächtiger in einem Mordfall von definitiv nicht echten Polizisten festgenommen, war mithilfe von Nana geflohen, dann hatte er von ihr diesen indirekten Kuss verpasst bekommen und nicht zu vergessen ihre Nahtoderfahrung an dieser morschen Brücke. Und jetzt wanderte er einige Zeit diesen Hügel hinauf. Verdreckt, verschwitzt, zerzaust und mit Blut beschmiert.
Auf einmal war er ziemlich froh, dass Nana diese Hütte kannte und nun wusste wo sie hinkonnten. Zu mindestens fürs Erste. Danach mussten sie wahrscheinlich wieder vor diesen komischen Polizisten fliehen und sich dringend einen Plan zurechtlegen wie sie ihre Unschuld beweisen konnten.
Irgendwie fuchste ihn es, dass sie geflohen waren, da es nun wesentlich schwieriger werden würde zurück zu kommen. Mit dem Zug konnten sie auch nicht fahren, da dieser wahrscheinlich von diesen Polizisten bewacht wurde.
„Hier ist sie", meinte Nana und blieb stehen.
Ein Seufzer entfloh Shin'ichi. Sie waren endlich angekommen.
Vor ihr stand eine kleine, etwas morsche und verkommene Hütte. Als Nana hineinging eilte Shin'ichi ihr hinterher.
Von innen war sie nicht gerade groß, aber man konnte darin stehen und schlafen und im Moment war das das Einzige was Shin'ichi wollte. Erst vernünftig reingehen und danach schlafen.
Die beiden Flüchtenden setzten ihre Rucksäcke ab und ließen sich erst einmal auf den Boden nieder. Erschöpft lehnten sie sich an die Wand und Shin'ichi schloss die Augen. Wann war dieser Fall denn so verdammt kompliziert geworden?
An mehr konnte er nicht mehr denken, denn in diesem Moment verschwand er ins Reich der Träume.

24 Stunden mit Kaito KIDWo Geschichten leben. Entdecke jetzt