Stunde 7

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Der Schrei stoppte urplötzlich. Shin'ichis Augen wurden groß. Wo war Nana? Er konnte sie nicht sehen. War sie etwa...?
Nein, das konnte nicht sein.
„Keine Sorge, mir geht es gut!", rief Nana. „Ich konnte mich noch festhalten."
Jetzt sah auch Shin'ichi, dass Nanas Hände noch an der Hängebrücke hingen. Allerdings würde das bestimmt nicht mehr lange halten.
„Warte, ich komm zu dir", meinte Shin'ichi und wagte sich langsam auf die Brücke vor.
„Das ist viel zu riskant!", schrie Nana, doch der Detektiv hatte fast schon die Hälfte des Weges zurückgelegt. „Bleib verdammt noch mal stehen!"
Keine Antwort.
„Hey, lass das!", meinte Nana von unten.
Keine Antwort.
„Du hörst ja schon wieder nicht zu!", knurrte sie genervt und versuchte nicht den Halt zu verlieren. Was gar nicht so leicht war. Die Brücke war morsch und an einigen Stellen nur noch ziemlich dünn. Eben das hatte Nana vorhin um ein Haar in den Abgrund befördert.
Schweiß bildete sich unter der Maske von Kaito KID. Ihm wurde wirklich warm. So was hasste er an seinem Job. Unter diesen Masken war es immer so verdammt heiß. Auch seine Hände hielten nicht mehr lange durch. Er versuchte sich hochzuziehen, doch sobald er nur eine Hand bewegte, knarzte das Holz und es entstand ein Riss in dem Brett.
Kaito riss die Augen auf.
Verdammter Mist. Er hatte diese Brücke deutlich überschätzt.
Seine Hände glitten immer weiter ab und die Brücke bewegte sich unter Shin'ichis Schritten.
Mittlerweile hing Kaito nur noch mit den Fingerspitzen dran. Es half nichts. Gleich, wenn er abstürzen würde, musste er seinen Gleiter öffnen, ansonsten würde er den Sturz nicht überleben. Aber damit würde er sich gleichzeitig an Shin'ichi verraten und wahrscheinlich würde er ihn dann sofort nachdem sie hier raus waren an die Polizei übergeben. Er hatte keine Chance.
Denn seine Hände verloren jeden Halt und rutschten ab.
Auf der Stelle fiel er in die Tiefe.

So wäre es gekommen, wenn nicht eine Hand nach seiner gegriffen hätte und ihn noch festgehalten hätte.
Überrascht sah er nach oben und erblickte Shin'ichis angestrengtes Gesicht über seinem, die eine Hand sein Handgelenk umfassend. Er lag mit dem Bauch nach unten auf der Brücke, sein Gewicht gut verteilt und er versuchte sich so leicht wie möglich zu machen. Das Holz unter seinem Körper knarzte bedenklich.
„Also für ein Mädchen... bist du schon schwer", keuchte Shin'ichi und verzog sein angestrengtes Gesicht zu einem Grinsen. „Du bist sicher, dass du nicht Kaito KID bist?"
Kaito KID sah Shin'ichi genervt an.
Warum musste der Kerl denn ausgerechnet jetzt wieder damit anfangen?
„So wirst du nie bei einem Mädchen landen, wenn du auf ihr Gewicht anspielst!", meckerte Kaito KID.
Shin'ichi verzog keine Miene. Das Grinsen blieb auf seinem Gesicht haften. Doch jetzt sah Kaito KID, dass es mehr danach aussah, als wenn Shin'ichi die Zähne zusammenbeißen würde.
„Jetzt halt dich gefälligst gut fest, wenn ich dich hochziehe, okay?", sagte Shin'ichi und überhörte gekonnt den gerade eingeworfenen Kommentar.
„Wenn du ebenfalls nicht loslässt", meinte Kaito KID und spürte schon, wie Shin'ichi sie zusammen mit dem Gewicht des Diebes versuchte sie auf der Brücke aufzurichten. Mühsam gelang es ihm und er konnte sich mit seinem anderen Arm nun abstützen.
Plötzlich hörte er von hinten Stimmengewirr. Er blickte erschrocken zurück. Im Wald waren Taschenlampen am Leuchten und sie kamen der Brücke immer näher.
„Hey, wie lange willst du mich eigentlich noch hier unten hängen lassen?", fragte Kaito KID und ließ die giftige Nana aus sich herausklingen.
„Wir müssen uns beeilen", meinte Shin'ichi und sah wieder nach unten. Er fing an zu ziehen. „Die Polizei kommt immer näher."
„Dann hör auf zu labern und hilf mir lieber", meinte Nana und Shin'ichi merkte, wie ihre Hand abrutschte.
„Warte, ich hab dich", meinte er, lehnte sich nach vorne und nahm seine zweite Hand ebenfalls dazu und zog noch einmal kräftig. So lange, bis Nana mit ihrer anderen Hand an die Bretter gelangen konnte und sie mit einem Ruck ebenfalls auf der Brücke lag.
Diese ächzte gewaltig unter dem Gewicht der Beiden.
„Du hast ja das Gepäck mitgenommen", meinte Nana und sah auf die Rucksäcke hinter Shin'ichi auf der Brücke.
„Ja, nur wir sollten uns jetzt auf die Socken machen, sonst heften die Polizisten sich noch wieder an unsere Fersen", sagte Shin'ichi plötzlich, schnappte sich einen Rucksack, drückte ihn Nana in die Hand, nahm sich selber einen und zog sie hoch.
Verwirrt sah Nana zu Shin'ichi hoch, doch dieser machte sich schon daran über die kaputte Stelle in der Hängebrücke zu kommen.
Er lehnte sich weit nach vorne, die Hände fest am Seil umklammert und sprang.
Die Brücke wackelte und Nana wankte leicht hin und her.
Shin'ichi sah zurück.
„Wirf mir den Rucksack rüber!", sagte der Detektiv. Die junge Frau nickte und keine Sekunde später hatte Shin'ichi das Gepäckstück in der Hand.
„Achtung, ich komme!", rief Nana und sprang ebenfalls. Wieder wackelte die Brücke und die Seile fingen an zu reißen.
„Da hinten sind sie!", rief eine Stimme von hinten und sofort rissen Nana und Shin'ichi ihre Köpfe zum Anfang der Brücke.
Dort hinten stand ein Polizist, der nun mit einer Taschenlampe auf die Beiden scheinte und sofort auf die Holzbrücke ging. Sie wackelte bedenklich und auf der Stelle machten Nana und Shin'ichi kehrt und rannten bis zum Ende der Holzbrücke.
Diese knarzte bei jedem Schritt, den die beiden über die Brücke gingen, bis sie am anderen Ende angekommen waren.
„Schneller!", rief Shin'ichi Nana zu und sie rannten weiter in den Wald hinein.
Nana, alias Kaito, wunderte sich sehr über Shin'ichis plötzlichen Wandel so schnell von der Polizei wegzukommen wie nur möglich, doch im Moment war er völlig zufrieden damit, dass sie vor der Polizei flüchteten. Im Gefängnis wäre er nämlich nicht sehr sonderlich gut aufgehoben.
Sie liefen weiter, bis sie plötzlich bergauf laufen mussten und etwas langsamer wurden. Sie hatten keine Ahnung, wie lange sie gelaufen waren, doch ab dem es steiler nach oben ging, waren sie sich einig, eine Pause zu machen.
Verschnaufend ließen sie sich auf einen Stein nieder und tranken ihre Wasserflaschen halb leer.
„Wir sollten weiter", meinte Shin'ichi nach einer Zeit, wo sie einfach nur dagesessen hatten und sich eine Pause gegönnt hatten.
„Stimmt", sagte Nana. „Vielleicht ist hier in der Nähe ja eine Hütte, wo man sich ausruhen kann."
Shin'ichi nickte ihr zu und gemeinsam liefen sie weiter.

24 Stunden mit Kaito KIDWo Geschichten leben. Entdecke jetzt