011. Eine Frage des Blutes

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ᵅᶠᵗᵊʳ ᵃᶩˡ ᵗʱⁱˢ ᵗᶤᶬᵋ

»Snape, Severus!«

Mit pochendem Herzen trat er vor, jeder Schritt zog sich, als würde die Zeit zum Stillstand kommen, als wäre er gefangen zwischen zwei Sekunden und die Zeiger hätten aufgehört sich zu drehen, doch das altbekannte Tick, das blieb zurück, verfolgte ihn, brannte sich ihm ins Gedächtnis ein. Es heftete sich an seine Fersen und bremste ihn.

War das das Gefühl der Unendlichkeit? In einer einzigen Zeitspirale festzustecken, in der es kein Entkommen gab? Immer wieder den selben stechenden Schmerz zu ertragen, immer wieder mit dem konfrontiert zu werden, wovor man sich fürchtete und doch war man allein? Völlig auf sich gestellt? Ohne Hoffnung auf Hilfe?

Severus griff nach dem Holz, zog sich beinahe am Ende seiner Kräfte auf den alten Dreibeiner, blickte durch die Halle und fand ihre strahlend grünen Augen, die wie zwei Smaragde im Schein der Kerzen zu ihm aufleuchteten, bevor das dunkle Leder über seinen Kopf rutschte und ihm die Sicht nahm.

Die plötzliche Dunkelheit riss Severus aus seiner Starre, teleportierte ihn zurück in die Realität und versetzte ihm den Anstoß, seine Bitte vorzubringen.

Er wollte nicht von Lily getrennt sein, selbst dann nicht, wenn es bedeutete, nach Gryffindor zu gehen. Er war bereit, seine Jahre mit den grausamen Jungen aus dem Zug zu verbringen, sollte das bedeuten, er würde bei seiner Lily bleiben.
Doch das Gesicht seiner Mutter tauchte vor seinem inneren Auge auf, Eileen lächelte ihm zu, sie war stolz, stolz auf ihn... »Mein Prinz, du wirst diesem Haus Ehre bringen.« Sie sprach nicht von den Löwen, nicht von Lily.

Überwältigt von den Schuldgefühlen, seine Mutter zu enttäuschen, verschlug es ihm die Sprache...

Listig... ja...
Du willst gewinnen, um jeden erdenklichen Preis...
Du willst stets der Größte sein... der, zu dem alle aufsehen...

Ja ja... ganz klar, kein Zweifel...

Und noch bevor Severus etwas einwenden konnte, hatte der sprechende Hut sein Urteil bereits verkündet:

»SLYTHERIN!«

Er rutschte von dem Stuhl, zog sich den Hut vom Schädel und drückte ihn der Professorin in die Hände. Der rechte Tisch brach in Beifall aus und Severus ließ seinen Blick über die Gesichter der Schüler schweifen. Er vermied es bewusst zu den Gryffindors zu sehen. Das traurige Lächeln, das Lily ihm schenkte, könnte er jetzt nicht ertragen und so eilte er noch immer schweren Schrittes zu den Schlangen. Missmutig ließ er sich auf einen Platz neben Lucius Malfoy nieder, der ihn mit einem verhaltenen Grinsen empfing, das blonde Haar zu einem kleinen Zopf zurückgebunden.

»Severus«, säuselte er. »Willkommen daheim.«

Snape quittierte seine Worte mit einem halben Kopfnicken, ehe er die Augen wieder der Zeremonie zuwandte, ohne jedoch wirklich auf das Geschehen zu achten. Viel mehr tobten in ihm zwei Stürme, die seine gesamte Konzentration beanspruchten. Er fühlte sich seekrank, als stünde er auf einem kleinen Ruderboot, wie noch vor einer Stunde auf dem spiegelglatten Wasser des schwarzen Sees, nur schlugen die Wellen gegen die Barke, brachten es zum Schaukeln, ließen ihm keine Ruhe. Er kämpfte gegen das Schwindelgefühl an, versuchte die Finger im Holz zu vergraben, um nicht über Bord zu gehen und in den Tiefen zu ertrinken, ohne Erfolg.
Die Sturmfronten schlugen aufeinander, implodierten über ihm und begruben Severus unter einer Schicht aus verlorenen Träumen, Hoffnungen und Leid. Er wusste sich nicht zu helfen, ertrank in den Fluten, wusste nicht, ob ein Slytherin zu sein, ihm nun Segen oder Fluch war.

|𝐃𝐞𝐚𝐝 𝐌𝐚𝐫𝐚𝐮𝐝𝐞𝐫𝐬 𝐒𝐨𝐜𝐢𝐞𝐭𝐲 𝟏 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt