Kieztränen (Bonez MC)

Kapitel 27 - Worte

Sophie strich sich die Haare aus dem Gesicht und atmete tief durch. Es war eine anstrengende OP gewesen und sie konnte nicht behaupten, dass sie sich bereits an lange OPs gewöhnt hatte. Sie ließ sich auf einen Stuhl sinken und zog sich den Kittel vom Körper.

Sie wohnte bereits seit 3 Wochen bei John. Von Leon hatte sie nichts mehr gehört - sie wusste nicht einmal, ob er noch in der Wohnung wohnte oder nicht. Das Zusammenleben mit John funktionierte so gut, dass sie sich momentan gar nicht dafür interessierte. John war oft unterwegs, sie arbeite viel, sodass sie sich gar nicht ständig sahen und sich nicht auf die Nerven gingen.

"Gute Arbeit habe ich gehört.", Lisa, eine Arbeitskollegen, ließ sich auf den Stuhl gegenüber fallen und lächelte Sophie breit an. Sophie mochte sie. Sie war ein paar Jahre älter und war Sophie zu Beginn eine gute Beraterin gewesen.

"Ja, es war eine krasse OP. Manchmal kann ich es immer noch nicht glauben.", Sophie lächelte breit und Lisa verzog amüsiert den Mund.

"Eine krasse OP, ja? Färbt der Rapper auf dich ab?", Lisa zwinkerte ihr zu und Sophie erstarrte. Woher wusste sie von John? Sie hatte niemanden auf der Arbeit davon erzählt..

"Was?", Sophie blickte sie fragend an und spürte, wie ihr leicht übel wurde. War es jetzt etwa so weit? Hatte John etwas gepostet? Sie hatten sich darauf geeinigt, dass er nichts von ihr auf seinem Instagramkanal zeigte, aber er zeigte ansonsten alles und vielleicht war was dazwischen gerutscht?

"Du bist doch mit diesem Rapper zusammen, oder? Habe ich im Internet gelesen.", Lisa schien nichts von Sophies Gedanken zu merken. Sophie zog die Augenbrauen zusammen.

"Im Internet?", fragte sie leise. Sie griff nach ihrem Handy. Das durfte doch nicht wahr sein. Sie googelte nach John und stöhnte entsetzt auf. Viel zu viele Fotos von ihr. Fotos von ihr und John zusammen, aber auch Fotos auf denen nur sie zu sehen war.

"Fuck...gibst du mir einen Moment?", sie wartete gar nicht auf die Antwort von Lisa, sondern stand auf und suchte sich einen ruhigen Platz, dann klickte sie den ersten Artikel an.

"Rapper Bonez MC nun vergeben?

Laut mehreren Quellen soll Rapper Bonez MC (z. B. bekannt unter anderem durch den Song Palmen aus Plastik) derzeit in einer festen Beziehung sein. Die Auserwählte scheint eine süße Ärztin aus dem Albertinenkrankenhaus Hamburg zu sein. Laut Medienberichten soll die junge Ärztin Sophie Neumann, 27, den Rapper nach seiner Stichwunde an der Hand behandelt haben."

Sophie starrte auf das Display ihres Handys. Nicht nur, dass da Fotos von ihr veröffentlicht wurden - sie nannten sogar ihren vollen Namen und ihre Arbeitsstelle. Ihr wurde schlecht. Damit hatte sie nicht gerechnet.

"Offenbar hat es bei den beiden sofort gefunkt. Sophie Neumann hat laut Recherche vorzeitig Abitur gemacht, ihr Studium mit Bestnoten abgeschlossen und dafür nicht einmal die Regelstudienzeit gebraucht. Ganz anders als ihr neuer Freund hat sie anscheinend eine sehr ruhige, eher spießige Vergangenheit und passt damit kaum zu dem Rapper. Sehnt dieser sich etwa nach Ruhe abseits des Ruhms? Möchte der 34 Jährige eventuell eine Familie gründen und sucht daher eine passende Frau dafür? Die Fans wundern sich nämlich über die Frau an John Lorenz Moser (so Bonez MC mit bürgerlichem Namen) Seite, da er bekannt dafür ist keine festen Beziehungen einzugehen, seine Texte oft als frauenfeindlich erachtet werden können und er auf seinem Instagramkanal gerne und oft spärlich bekleidete Frauen und Stripclubbesuche zeigt. Wie passt die hübsche, aber eher unscheinbare junge Ärztin in dieses Bild, wo Bonez MC doch sonst eher für südländische und rassige Schönheiten bekannt ist?"

Sophie biss sich auf die Unterlippe. Sie passte also nicht zu ihm - letztendlich sagte dieser Artikel nichts anderes aus. Sie war zu schlau, sie war zu unscheinbar und offenbar nicht sexy genug. Sophie seufzte erneut, dann unterdrückte sie die Tränen. Sie wusste, dass sie auf solche Schundblätter nichts geben durfte - trotzdem taten ihr die Worte weh. Offenbar war die Öffentlichkeit attraktivere Frauen an seiner Seite gewöhnt. Sie war wie ein graues Mäuschen.

Erneut blickte sie auf das Handy. Es war ein Foto von ihrem Facebookaccount dabei und eins, welches sie händchenhaltend mit John zeigte. Sie hatte nie bemerkt, wie sie fotografiert worden war. Sophie scrollte weiter herunter, dann stoppte sie sich. Sie wollte die Kommentare nicht lesen. Wie oft hatte sie sich über Leute gewundert, die sich über verletzende Kommentare beschwert hatten. Sie hatte nie verstanden, wieso sie diese. Kommentare überhaupt gelesen hatten. Sie wollte denselben Fehler nicht auch machen.

Ihr Handy klingelte und Sophie erschrak. Ein Foto von John, wie er breit grinste, erschien auf dem Bildschirm. Sie seufzte.

"Ja?", ihre Stimme war leise. Hatte er die Artikel auch schon gesehen?

"Wie war die OP?", fragte er, aber Sophie hörte direkt, dass ihn etwas anderes auf dem Herzen lag.

"Gut. John, ich... Ich hab es gerade gesehen.", murmelte sie. Sie wusste, er würde verstehen, worüber sie sprach. John grummelte leicht, dann hörte sie ihn tief durchatmen.

"Wir sind schon dran - Raf hat einen guten Anwalt, der haut eine Unterlassungsklage raus. Es ist okay, wenn sie darüber berichten, dass ich eine Freundin habe, aber deine Arbeitsstelle zu nennen, das geht mir zu weit.", er brummte. Sophie zog die Augenbrauen hoch. John klang wirklich sauer.

" Okay.", sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie fühlte sich überfordert.

" Babe? Du nimmst dir nicht alles zu Herzen, was du im Internet liest, okay? Die schreiben immer Bullshit - man gewöhnt sich dran. Für dich ist das neu.", er klang besorgt. Sie hörte im Hintergrund Martens Stimme, verstand aber nicht, was er sagte.

"Ist okay.", ihre Stimme war leise. Sie strich sich durch das Gesicht.

"Marten und ich sind schon auf dem Weg zurück nach Hamburg, okay? Ich hole dich ab, sobald du Feierabend hast.", Sophie staunte nicht schlecht, über seine Worte. Er war eigentlich in Berlin gewesen, um mit einem Künstler an einem neuen Song zu arbeiten, aber scheinbar wusste er, wie es ihr ging.

"Danke.", sie griff nach einer Flasche Wasser, öffnete sie und trank. Ihr Mund fühlte sich merkwürdig trocken an. Vielleicht kam das von dem flauen Gefühl im Magen.

"Nicht dafür, Babe. Ich liebe dich."

Sophie verschluckte sich an dem Wasser, welches sie noch in dem Mund hatte und hustete erschrocken. Sie hörte Marten im Hintergrund lachen. Noch nie hatten John oder sie diese Worte ausgesprochen.