6. Ich rette Leben

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„Frei machen!" ich griff nach dem Skalpell, während Liz das Hemd des Verletzten aufriss. Der junge Mann war in der Karambolage genau zwischen mehreren Wagen eingeklemmt worden und hatte vermutlich schwere Blutungen. Ich wagte es kaum aufzusehen. Die Kreuzung glich einem Schlachtfeld mitten in der Metropole. Absperrbänder hielten die Menschen davon ab unsere Arbeit zu unterbrechen. Ich wusste selbst nicht mehr wie viele Patienten wir zum Krankenhaus gebracht hatten und Erstversorgung geleistet hatten.

„Habt ihr es desinfiziert?" Robins Stimme drang durch die Lautsprecher des Handys das neben mir lag.

Liz verteilte das Desinfekt über die Brust des Mannes. „Jetzt ja."

Robin stand selbst gerade im OP, während sie mit uns telefonieren musste. Ich hatte früher schon viele Verletzungen auf dem Schlachtfeld behandelt. Ich hatte viele schwerverletzte Krieger behandelt mit Stichwunden, Schrapnellen in sich oder abgerissenen Gliedmaßen. Das vertraute Gefühl des Adrenalins schoss durch meine Adern, als ich den Patienten schließlich genau über den Herzen öffnete. Es war eine ungünstige Situation. Wir waren mitten auf der Kreuzung und hatten nur ein Notfallsets bei uns, aber der Patient würde es nicht schaffen, wenn wir jetzt nicht eingriffen. Das Loch in seinem Herzen, das durch den Aufprall entstanden war, würde weiter das Blut in seinen Brustkorb pumpen und er würde innerlich verbluten.

„Macht euch auf viel Blut gefasst." sagte Robin.

„Wir haben hier keine Blutkonserven." erklärte ich und sprach gegen meinen Mundschutz an. „Ich muss minimal-invasiv arbeiten."

„Du schaffst das Rae." Robins Stimme klang ruhig. „Du hast schon vielen das Leben gerettet und Mom war Kardiologin. Wir haben uns tausende Stunden gerede über Herzoperationen anhören müssen. Du hast eine halbe chirurgische Ausbildung hinter dir, du schaffst das."

Ich biss mir auf die Lippe und warf einen kurzen Blick auf Liz. Ihre grauen Augen strahlten Ruhe aus und sie nickte mir zu. In ihren Händen hielt sie bereits den Sauger.

„Okey." ich nickte. Es war nicht optimal, hier in der Umgebung mit kaum Instrumenten, am Herz zu operieren. Normal wurde der Patient während einer Herz-OP an die Herz-Lungen-Maschine gehangen. Ein Gerät das die Herzfunktion übernahm, während man das blutleere Herz operierte. Ich musste den Brustkorb eröffnen, unter die Lunge zum Herzen greifen und das Loch finden, damit nicht mehr Blut austrat bis wir zum Krankenhaus kamen. Dort würde Robin bereits mit dem Kardiologen warten. Ich konnte das schaffen. Ich wusste das theoretische Vorgehen. Ich hatte so oft auf dem Schlachtfeld mit wenig Mitteln gearbeitet und ein, zwei OPs durchgeführt, aber noch keine am Herzen. Ich biss die Zähn feste zusammen und konzentrierte mich auf den Mann, dessen Herzschlag immer langsamer wurde. Ich versuchte alles auszublenden. Griff das Skalpell fester und setzte es an. Es war eins dieser neumodernen Unfallskalpelle, die mit Heizklinge schnitten und so wenig Blutverlust garantierten.

Auf Höhe des Brustbeines schnitt das Skalpell glatt und feind durch Haut und Muskelgewebe. Schnell und Schicht für Schicht bis ich das Brustbein erreichte. Liz half mir es zu durchtrennen um an den Thorax zu gelangen.

Ich stieß einen leisen Fluch aus.

„Zu viel Blut." Liz nickte und versuchte den Sauger richtig zu halten. „Du schaffst das Rae."

Konzentriert versuchte ich mich auf alles gelernte über das Herz zu erinnern. Ich hörte Robins Tipps, aber letzendes war ich es, die die Augen schloss. Ich atmete einen Moment tief ein und hörte die das bedrohliche Piepen der Vitalfunktionen.

„Vitalfunktionen sinken." sagte Liz. Es war unnötig, ich wusste es.

Ich atmete tief durch und legte das Skalpell weg. Ich konnte die Lunge ungefähr sehen, bei dem Blut war es nicht so einfach. Vorsichtig schob ich meine Hand darunter. Das Herz schlug unter meiner Hand. Doch wo war das Loch.

Die Kriegerin der FreiheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt