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"Komm. Ich mache dir einen Tee. Das hilft."

Yoongi zog mich hoch und ich stolperte ihm hinterher in meine Küche. "Wo finde ich die Teebeutel?" Er ließ mein Handgelenk los und ich atmete auf. "Da." Ich deutete auf den Schrank, in dem sich mein Tee befand.

"Du solltest auch etwas essen. Du hast einen anstrengenden Arbeitstag h-" Der Ältere drehte sich zu mir um und stockte, als er mein Gesicht im Licht der Küchenlampe sah. "Fuck, Jimin! Wer war das?"

Ich hob meine Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen, obwohl mir überhaupt nicht danach war.

"Niemand. Und ich habe keinen Hunger."

Ich wollte nichts essen. Denn bestimmt war ich zu dick. Wenn ich dünner wurde, war ich bestimmt weniger ekelig.

Der Braunhaarige machte einen Schritt auf mich zu. "Das sieht mir aber nicht nach "Niemand" aus."

Unwillkürlich zuckte ich zurück. Er sollte mir nicht so nahe kommen. Am Ende überlegte er es sich noch anders und tat mir weh. Weil ich so eine erbärmliche Heulsuse war! Dummer Jimin! Ich war so dumm! Warum musste ich nur so anstrengend sein? Warum konnte ich mein eigenes Leben nicht auf die Reihe kriegen und nervte Yoongi jetzt?

"Ist doch egal..."

Ich senkte den Kopf und wagte es nicht ihn anzusehen. Bestimmt war ich eine Last für ihn. Vermutlich blieb er nur aus Höflichkeit und wollte eigentlich zurück in seine Wohnung.

"Ich kann meinen Tee auch selber kochen. Du musst das nicht machen."

Der Ältere zuckte mit den Schultern. "Ich mache es aber gerne. Und es wäre besser, wenn du trotzdem isst. Wir wollen ja nicht, dass du umkippst, weil du nach so einem anstrengenden Tag nichts gegessen hast..."

"Später, ja?"

Widerwillig nickte Yoongi.

Das Wasser im Wasserkocher kochte und der Braunhaarige legte zwei Teebeutel in zwei Tassen, bevor er das Wasser aufgoss.

Hatte er etwa vor noch hier zu bleiben? Dabei war meine Anwesenheit bestimmt total anstrengend, warum tat er sich das an?

Wir setzten uns an meinen kleinen Küchentisch.

"Wie geht es deinen Eltern so?", erkundigte Yoongi sich und ich war froh, dass er nicht mehr auf meine geschundene Wange einging.

Ich zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung. Wir haben keinen Kontakt", gab ich zu. "Sie können mich nicht leiden und ich schätze sie sind froh, dass ich endlich aus dem Haus bin." Mein Gegenüber blickte mich entsetzt an. "Bist du denn gar nicht traurig deswegen?" Erneut zuckte ich mit den Schultern. "Ich schätze ich habe mich daran gewöhnt, dass man mich nicht mag", sagte ich leise.

Meine Hände verkrampften sich unwillkürlich um den Griff der Tasse und hastig trank ich einen Schluck des Tees, ohne wirklich wahrzunehmen, dass er noch viel zu heiß war, denn dafür war ich zu nervös.

"Wie meinst du das?"

Ich biss mir auf die Unterlippe. "Ist doch egal, du hältst mich bestimmt eh schon für ein Weichei."

Warum war er überhaupt so freundlich zu mir? Warum sorgte er sich um mich? Ich kannte das gar nicht! Ich hatte mich tatsächlich schon daran gewöhnt, dass meine Mitmenschen mich verachteten, auch, wenn es mir immer noch irgendwie wehtat. Aber ich wusste selber, was für ein widerwärtiger Mensch ich war, weshalb ich es niemandem verübeln konnte, dass er mich nicht mochte.

"Nein, Jimin. Ich halte dich ganz bestimmt nicht für ein Weichei", erwiderte Yoongi sanft. "Und ich glaube auch nicht, dass es egal ist."

Ich merkte, wie meine Sicht erneut verschwamm. Konnte er nicht einfach die Klappe halten? Ich hatte doch heute schon genug geweint! Aber irgendwie trafen seine Worte einen Punkt in mir, der dafür sorgte, dass mir wieder die Tränen hochkamen.

Warum war ich so eine Heulsuse?

Ich hatte meinen schmerzenden Körper die ganze Zeit ausblenden können, aber auf einmal waren die ganzen Schmerzen wieder da und jetzt spürte ich auch das taube Prickeln auf meiner verbrannten Zunge.

"Ich meine es so, wie ich es gesagt habe", brachte ich hervor. "Ich bin es gewohnt, dass mich niemand mag. Und ich kann es auch niemandem verübeln. Sie haben doch Recht! Ich bin abscheulich!"

"Jimin denk doch nicht sowas."

Yoongis braunen Augen blickten besorgt in Meine. Warum war es ihm nicht einfach egal, was ich sagte? Verzweifelt kämpfte ich gegen die Tränen an, die sich nicht verdrängen lassen wollten.

"Irgendwas muss doch an den ganzen Worten stimmen, die man mir täglich an den Kopf wirft. Das sagen die Leute doch nicht grundlos", schniefte ich. "Ich bin abscheulich! Und bestimmt denkst du das auch! Du bist nur zu höflich das zu sagen!"

"Jimin"

"Kannst du bitte gehen? Ich möchte alleine sein." Endlich hatte ich es geschafft die Tränen zu verdrängen und meine Stimme klang kalt.

Der Ältere sah aus, als wolle er widersprechen, doch dann nickte er. "Wenn du das möchtest." Er stand auf.

Wenig später fiel die Wohnungstür hinter ihm ins Schloss.

Und auf meinem Küchentisch stand immer noch die Tasse mit seinem langsam erkaltenden Tee. Er hatte das Getränk nicht angerührt.

Sobald Yoongi fort war, ließ ich die starre Maske, die ich auf meinem Gesicht getragen hatte, fallen und brach zusammen. Unsanft schlug mein Kopf auf das Holz des Küchentischs, während ich hemmungslos zu schluchzen begann.

Die Beule, die ich mir vorhin schon geholt hatte, begann beim erneuten Aufprall meines Kopfes schmerzhaft zu pochen.

Das wohlbekannte Gefühl der Einsamkeit überkam mich und dieses Mal war es schlimmer als sonst. Denn dieses Mal war ich nicht von jemandem zurückgewiesen worden. Nein. Ich war derjenige gewesen, der Yoongi zurückgewiesen hatte.

Ich war selber schuld!

Warum war ich nur so ein erbärmlicher Versager?

Mein Schluchzen und Schniefen hallte von den kalten Wänden meiner kleinen Küche und in der Wohnung war es so still, dass das stechende Gefühl der Einsamkeit immer intensiver wurde.

Irgendwie schaffte ich es auf die Beine zu kommen und mich ins Bad zu schleppen. Ich zog mir mein Oberteil über den Kopf und betrachtete das Handtuch, das über meinem Spiegel hing. Um meine Wunden zu versorgen, musste ich es wohl oder übel vom Spiegel ziehen.

Innerlich wappnete ich mich, dann griffen meine Hände nach dem rauen Stoff und zogen ihn mit einem Ruck von dem Spiegel herunter.

Mein Blick traf auf mein Spiegelbild.

Angewidert betrachtete ich es.

Fett. Überall Fett. Ich musste abnehmen! Ich war nicht schön genug!

Langsam hob ich den Blick und sah mir selber in die Augen, die meinen Selbsthass widerspiegelten. Dann griff ich nach dem Verbandskasten und begann die Wunden zu verarzten.

𝐒𝐄𝐋𝐅 𝐂𝐎𝐍𝐅𝐈𝐃𝐄𝐍𝐂𝐄 【𝐘𝐨𝐨𝐧𝐦𝐢𝐧】 ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt