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Er zog mich hoch und umarmte mich fest. "Shh. Alles wird gut", flüsterte Yoongi in mein Ohr. "Entschuldige dich nicht. Und tu dir bitte nicht weh, das brauchst du doch gar nicht." Schniefend erwiderte ich die Umarmung und klammerte mich an dem Älteren fest.

"Ich kann nicht mehr", schluchzte ich. "Ich kann das alles einfach nicht mehr! Ich halte es nicht mehr aus!"

Er griff nach der Wärmflasche und schob sie zwischen uns, sodass sie meinen Bauch wärmte. "Es wird alles gut, Jimin. Versprochen!"

Doch ich schüttelte den Kopf. "Lüg doch nicht!"

Unwillkürlich wollte ich mir mit den Händen wieder über das Gesicht kratzen, doch Yoongi hatte mich durchschaut und hielt meine Handgelenke fest. "Beruhige dich, Jimin. Bitte beruhige dich." Er klang überfordert.

"Tut mir leid", wimmerte ich. "Tut mir leid."

Und zu allem Überfluss knurrte mein Magen laut, vielleicht, um mein Elend noch zu verstärken.

"Wollen wir, wenn du dich etwas beruhigt hast, erst mal etwas essen?", fragte der Ältere sanft nach. Heftig schüttelte ich den Kopf. "Ich will nicht", hauchte ich.

Sanft streichelte er über meinen Rücken. "Warum denn nicht? Gott Jimin ich kann deine Wirbelsäule und deine Rippen fühlen. Du bist doch viel zu dünn! Warum willst du nichts essen?"

Er log! Er log mich an! Sah er denn das ganze Fett an mir nicht?

"Ich will perfekt sein", brachte ich hicksend hervor. "Damit man mich endlich nicht mehr hasst. Alle hassen mich, Yoongi! Alle tun mir weh! Seit der Highschool. Sie verprügeln mich, weil ich nicht gut genug bin! Und es passiert immer wieder! Also muss doch irgendetwas falsch an mir sein... Wenn ich abnehme, hört es vielleicht auf!"

Und bestimmt hasste er mich auch! Warum zeigte er es mir denn nicht? Warum verspottete er mich nicht einfach, wie die Anderen? Der Umgang mit ihm war so schmerzlos, dass es wiederum schmerzte.

"Hey... Sieh mich an!"

Seine Finger legten sich unter mein Kinn und er zwang mich somit ihm ins Gesicht zu sehen.

Bestimmt sah ich schrecklich aus, so verheult und erschöpft, wie ich war.

"Niemand ist perfekt! Auch nicht du. Aber du hast trotzdem Etwas, was viele Andere Menschen nicht haben! Du hast Stärke, Jimin! Auch, wenn du leidest, machst du immer weiter! Du stehst jeden verdammten Tag auf, gehst zur Arbeit und versuchst nebenbei noch es allen Menschen in deinem Umfeld Recht zu machen. Diese unverschämte Kundin: Du hast ihre Worte einfach eingesteckt und hast sogar noch für sie bezahlt. Wie kannst du noch so gutmütig sein, nachdem die Welt dich so scheiße behandelt hat?"

Stark? Nein! Ich war nicht stark. Ich war schwach! Eine elendige Heulsuse, die ihr Leben nicht auf die Reihe kriegte, das war ich!

Aber wenigstens zitterte ich nicht mehr so heftig, denn die Wärmflasche und die Umarmung halfen.

"Und, Jimin Bitte hungere dich nicht für solche Idioten runter! Bitte mach dich nicht wegen ihnen kaputt! Du bist doch so ein wundervoller Mensch, warum kannst du das nicht sehen?"

Schniefend zog ich die Nase hoch. "Wusstest du, dass negative Worte drei mal so viel wiegen, wie Positive?", krächzte ich.

Einen kurzen Moment lang herrschte Schweigen in meinem Wohnzimmer. Dann schlich sich ein zaghaftes Lächeln auf Yoongis Lippen. "Dann werde ich halt drei Mal so viel positive Worte zu dir sagen, wie Andere Negative."

Und das erste Mal seit langer Zeit verzog auch ich die Lippen zu einem echten Lächeln.

"Das wird aber Jahre dauern", wandte ich ein.

"Ich habe nicht vor dich zu verlassen, also haben wir wohl Zeit dafür." Der Ältere strich sanft mit dem Daumen über meine Wange und wischte meine Tränen weg.

Diese Geste war so liebevoll... Wieso ging er so lieb mit mir um?

"Wenn du keine Süßgebäcke essen willst, die ich mitgebracht hab, kann ich dir auch eine Suppe kochen... Die hat nicht so viele Kalorien, okay?"

Ich wollte nicht! Aber trotzdem nickte ich zaghaft.

"Hast du Zutaten hier?", erkundigte er sich. "Ich habe überhaupt kein Essen hier", brachte ich hervor und sein schockierter Blick lag auf mir. Dann schien ihm etwas eingefallen zu sein. "Dann hast du heute definitiv nicht gegessen! Ich glaube nicht, dass du in diesem Zustand das Haus verlassen hast."

Ertappt blickte ich zur Seite, doch er drehte meinen Kopf zu ihm zurück.

"Ich bin nicht böse, dass du gelogen hast, Jimin. Es ist alles gut... Aber kannst du mir verraten, wann du wirklich zuletzt gegessen hast?"

Er war nicht böse? Aber ich hatte doch gelogen...

Meine Zähne gruben sich in meine Unterlippe und ich wollte ihn nicht ansehen, als ich die ehrliche Antwort gab: "Vorgestern morgen."

Sein Blick war voller Sorge. "Kein Wunder, dass dir so kalt ist. Woher soll dein Körper die Energie nehmen dich warmzuhalten?"

Yoongi umarmte mich erneut. "Es wird alles gut. Alles wird gut, ja?"

Nein! Nichts würde gut werden, denn dafür steckte ich schon viel zu sehr in diesem ganzen Schlammassel drin!

"Ich gehe rüber und hole Zutaten für eine Suppe. Was sagst du zu Zucchinisuppe? Die hat nicht so viele Kalorien... Aber du musst etwas essen, okay?"

Stumm nickte ich.

Die Wohnungstür fiel hinter Yoongi ins Schloss und ich fror schon wieder! Denn die Wärmflasche war bereits erkaltet.

Zitternd zog ich die Bettdecke über meinen Körper und schloss erschöpft die Augen.

Ich musste nicht lange warten, wenig später klingelte Yoongi wieder und ich beeilte mich auf die Beine zu kommen.

Im Flur stolperte ich und fiel hin. "Aua", murmelte ich leise. "Ist alles okay, Jimin? Ich habe dich fallen hören?", fragte der Ältere vor der Haustür. Ich rappelte mich auf und öffnete ihm. "Ja, alles gut", murmelte ich und die Bettdecke lag zu weit weg, also schlang ich einfach meine Arme um Yoongi in der Hoffnung, dass er mir verzeihen würde. Aber ich fror so entsetzlich.

"Warum benutzt du deine Wärmflasche nicht? Du zitterst schon wieder so heftig", sagte er mit belegter Stimme und erwiderte die Umarmung. Die Tüte, die er vermutlich mit den Suppenzutaten gefüllt hatte, drückte gegen meine Hüfte.

"Sie ist schon wieder kalt geworden", nuschelte ich.

"Ich mache sie dir sofort wieder warm." Umständlich fischte er mit dem Fuß nach meiner Bettdecke ohne die Umarmung zu lösen, und irgendwie schaffte er es sie um meine Schultern zu legen, bevor er sich von mir löste.

"Kommst du mit in die Küche?" Ich nickte.

Und irgendwie hoffte ich ganz tief in mir drin, dass tatsächlich alles wieder gut werden würde, auch, wenn ich wusste, dass das ein naiver Gedanke war.

𝐒𝐄𝐋𝐅 𝐂𝐎𝐍𝐅𝐈𝐃𝐄𝐍𝐂𝐄 【𝐘𝐨𝐨𝐧𝐦𝐢𝐧】 ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt