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Mit zittrigen Fingern fischte ich das Brötchen aus der Ablage und reichte es der jungen Frau, die mich abwartend musterte. "Was dauert das so lange? Sind Sie etwa so unfähig, dass Sie nicht einmal ein Brötchen in eine Tüte packen können?" Ich schwieg und tat ihr Brötchen stumm in eine Papiertüte. "Das macht dann einen Dollar und neunundsiebzig Cent", nuschelte ich und legte die Tüte in Reichweite der Kundin auf der Ablage ab.

Sie verdrehte die Augen und knallte das Geld passend vor meine Nase, bevor sie nach ihrem Brötchen griff und abrauschte. Meine Finger zitterten immer noch, als ich nach dem Geld griff und es in die Kasse einsortierte.

Unwohl vergrub ich meine Hände in den Ärmeln meines übergroßen Hoodies und wünschte mir, dass der Arbeitstag möglichst schnell vorüber sein mochte.

Die Glöckchen über der Tür klingelten, als ein weiterer Kunde die Bäckerei betrat. Er trug eine graue Mütze auf dem Kopf, die er nachlässig über seine braunen Haare gezogen hatte und auf seinen Lippen lag ein freundliches Lächeln.

"G-guten Tag", stotterte ich leise. "Was kann ich für Sie tun?" Der junge Mann richtete den Blick auf mich und sein freundliches Lächeln vergrößerte sich. "Hallo, Jimin, was für eine Überraschung, dass ich dich hier wiedersehe" Verwirrt musterte ich ihn. "Ich hätte gerne ein Schokoladencroissant... Und erinnerst du dich nicht an mich? Ich bins doch. Yoongi. Aus deiner Grundschulklasse."

Jetzt machte es Klick bei mir. Er war die ersten vier Schuljahre mein bester Freund gewesen, bevor sein Vater versetzt worden war und sie hatten wegziehen müssen. Anfangs hatten wir noch Kontakt gehabt, doch der war schnell abgeschwächt, bis Funkstille entstanden war. Ich griff nach der Brötchenzange und holte das Gewünschte aus der Brötchenablage. "Hallo, Yoongi", nuschelte ich. Der Ältere schmunzelte. Die Tüte mit seinem Schokocroissant raschelte, als ich sie auf dem Tresen ablegte. "Ich bekomme neunundneunzig Cent von dir", nannte ich leise den Preis.

Konnten meine Hände nicht endlich mal aufhören zu zittern? Aber jeden Tag das selbe Dilemma. Weil ich mich so unwohl fühlte, wenn ich von Menschen umgeben war. So verurteilt und bemustert. Ich hasste ihre prüfenden Blicke auf mir.

Die Münzen klirrten leise, als Yoongi sie aus seiner Geldbörse kramte und mir hinhielt. Ich zeigte auf das kleine Plastikteil was dafür vorgesehen war, dass man Münzen darauf ablegte. "Leg das Geld bitte dahin." Denn ich hasste Körperkontakt.

Verwirrt zog mein Gegenüber die Augenbrauen zusammen, tat aber, worum ich gebeten hatte. "Wahrscheinlich werden wir uns jetzt öfter sehen, ich bin gestern wieder in die Stadt gezogen." Stumm nickte ich und griff nach dem Geld, um es in der Kasse zu verstauen und das Rückgeld herauszusuchen.

"Nicht sonderlich gesprächig hm? Scheinst dich verändert zu haben." Sein Blick lag auf mir und ich hasste es. Ich wollte nicht angesehen werden. "Kann schon sein." Ich zog unwohl die Schultern hoch und legte ihm sein Geld hin.

"Naja. Ich wünsche dir noch einen guten Tag, man sieht sich." Der Braunhaarige hatte wieder dieses freundliche Lächeln auf den Lippen. Stumm nickte ich und beobachtete erleichtert, wie er nach seiner Brötchentüte griff und nach draußen ins Schneegestöber verschwand.

Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet mir, dass es auch für mich an der Zeit war zu gehen. Also band ich die Schürze ab, die ich über meinem Hoodie trug und hängte sie sorgfältig auf. Der Kollege, der nach mir Schicht hatte, war bereits hier und bereitete sich auf seine Schicht vor.

Ohne mich von ihm zu verabschieden griff ich nach meiner Tasche und verließ die warme Bäckerei.

Es war kalt und es schneite heftig. Natürlich hatte ich nicht daran gedacht eine Jacke mitzunehmen, weshalb ich frierend die Nase in meinem riesigen Pullover vergrub. Zitternd machte ich mich auf den Weg nach Hause.

Der Schnee verfing sich in meinen Haaren und bald waren sie durchnässt, da er in ihnen schmolz. Zum Glück war es nicht sehr weit bis zu meiner Wohnung und so stand ich bald darauf im Hausflur. Eilig streifte ich meine Schuhe ab.

Dann rollte ich mich im Wohnzimmer auf der Couch zu einem kleinen Ball zusammen und atmete einmal tief durch. Der Tag war stressig gewesen. Wie jeder Tag eigentlich.

Ich hasste es. Ich hasste den Umgang mit Mitmenschen. Sie verstanden mich nicht. Sie sahen mich an und verachteten mich, ohne mich zu kennen. Und ich hatte so eine Angst davor. Diese abfälligen Blicke taten mir in der Seele weh und mein Selbstbewusstsein war schon seit Langem nicht mehr vorhanden.

Vielleicht mochten sie mich nicht, weil ich immer so leise war und mich kaum traute etwas zu sagen. Vielleicht wunderten sie sich über meine zitternden Hände und meine Berührungsängste.

Ja, im Endeffekt war es doch meine eigene Schuld, dass mich jeder schräg von der Seite ansah und mich nicht leiden konnte.

Doch ich konnte den Menschen einfach nicht mehr vertrauen, seit ich in der Highschool diese traumatischen Erfahrungen gehabt hatte. Ich war das Opfer der Schule gewesen und zusätzlich hatten meine Eltern mich zu Hause wie Luft behandelt, oder verachtet.

Alleine bei dem Gedanken daran fing ich an zu zittern und zog meine Beine noch enger an meinen Körper in dem Versuch mich zu schützen. Ein leises Winseln entfloh meinem Mund. Ein hilfloser Laut, den ich nicht aufzuhalten vermochte.

Fest kniff ich die Augen zusammen in dem verzweifelten Bemühen die Erinnerungen zu verdrängen, die meinen Kopf zu überfluten drohten.

Bilder schossen durch meine Gedanken. Ich, kniend vor der Schultoilette, während mein Kopf immer wieder in die Klosschüssel gehalten wurde. Das gehässige Lachen meiner Mitschüler und das Rauschen des Wassers, welches mir in Mund und Nase strömte.

Mein eigenes apathisches Keuchen und nach Luft ringen.

Heftig schüttelte ich den Kopf. "Geht weg", wimmerte ich. "Bitte geht weg." Wie von selbst vergruben sich meine Hände in meinen Haaren und zogen daran. Doch ich fühlte den Schmerz kaum, der sich durch meine Kopfhaut zog. Dafür war mein seelischer Schmerz zu intensiv.

Immer heftiger zitterte ich, mein ganzer Körper bebte und ich schaffte es nicht mich zu beruhigen.

Das Klingeln an der Tür riss mich schließlich aus meiner Panikattacke. Vor Schreck fiel ich vom Sofa, doch endlich ließen sich die Erinnerungen verdrängen und automatisch entspannte sich mein Körper wieder etwas.

"Ihr Paket." Der Postbote lächelte lieb und überreichte mir ein Päckchen, das Bestellungen von Amazon enthielt. Erfolglos versuchte ich mir ebenfalls ein Lächeln auf die Lippen zu pflastern, doch es misslang mir kläglich.

"Danke." Ich nickte dem freundlichen Mann zu. "Sagen Sie, ist alles in Ordnung bei Ihnen?" Ehrlicher Besorgnis schwang in seiner Stimme mit. Und das, obwohl er mich kaum kannte.

Seufzend zog ich die Schultern hoch, bevor ich sie kraftlos wieder sinken ließ. "Ach geht schon. Ich komme klar."

Nein. Eigentlich kam ich nicht klar und das wusste auch der Mann vor mir, der sicherlich nicht dumm war. "Machen Sie sich eine heiße Schokolade und hören Sie ruhige Musik, das hilft... Einen angenehmen Tag wünsche ich Ihnen noch."

Mit diesen Worten und einem Zwinkern verschwand der Mann und ließ mich verwirrt im Hausflur zurück. Erneut zuckte ich mit den Schultern. Wenn er meinte...

𝐒𝐄𝐋𝐅 𝐂𝐎𝐍𝐅𝐈𝐃𝐄𝐍𝐂𝐄 【𝐘𝐨𝐨𝐧𝐦𝐢𝐧】 ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt