IN DER ALTEN Tischlerei war es genauso, wie ich es mir vorgestellt hatte: laut, muffelig, stickig und ein dicht gedrängtes Massenaufkommen lustiger Frauen und Mädchen.
Ich erinnerte mich, dass zu meinem Kostüm auch eine Maske gehörte, die man sich vor die Augen pappen konnte. Es wäre wohl besser, wenn ich die aufsetze, für den Fall, dass hier Bekannte von mir am Abfeiern sind, dachte ich und maskierte mich flugs.
Vom Gefühl her jetzt mehr Nadine - Stern der Seine als Nosferatu, betrat ich die große Tanzfläche und war umgehend mittendrin in der Menge. Sogleich bemerkte ich einen großen Unterschied zu meinem früheren Leben. Ich hatte Menschenansammlungen dieser Art schon immer gehasst, aber nun machten es mir meine Vampirinstinkte noch schwerer, mich darin wohlzufühlen. Ich nahm jede kleinste und größte Bewegung um mich herum dermaßen intensiv wahr, dass es in mir eine Art Panikattacke auslöste. Auch hörte ich so ziemlich jedes Gespräch in meinem Umkreis mit, als würden diese Personen direkt neben und mit mir sprechen. Die Musik dröhnte ungeheuer laut in meinen Ohren und die tausend verschiedenen Düfte ließen mir meinen Magen zusammenziehen. Ich stand kurz vor einem Zusammenbruch. Das einzig Gute daran war, dass ich vor lauter Eindrücke nicht einmal an Blut denken konnte. Ich fühlte mich wie auf einem ganz miesen Drogentrip. Es war wirklich etwas anderes, sich irgendwo gemütlich hinzusetzen und sich auf einzelnes Vogelgezwitscher zu konzentrieren, als inmitten einer ausschweifenden Weiberfastnacht-Party zu hocken. Meine Ohren taten weh und mir wurde übel. So schnell es unauffällig ging, rannte ich an den Rand der Tanzfläche und ließ mich schließlich an der Wand nieder, legte meinen hämmernden Kopf zwischen die Knie und hielt mir verzweifelt die Ohren zu.
»Tief ein- und ausatmen«, sagte ich mir immer wieder und erinnerte mich daran, wie ich meine hyperfunktionellen Sinne im Normalfall regulierte. In dem großen Einkaufszentrum in Magdeburg hatte es doch auch funktioniert. Dort war es freilich nicht so laut, es roch nicht zusätzlich nach Hochprozentigem und vor allem war ich nicht allein. »Wie konnte Damon mich nur hier drin allein lassen?«
Ich spürte Wut in mir aufsteigen. Wut auf Damon. Wut auf Stefan, auf Klaus und vor allem auf mich selbst. An diesem Abend hatte ich so viele Fortschritte gemacht. Das durfte ich auf keinen Fall wieder ruinieren. »Konzentriere dich, Maria. Konzentriere dich. Du kannst das.« Ich konnte nur hoffen, dass bei all dem Lärm niemand meine Selbstgespräche mitbekam. Andernfalls würde ich schneller hier rauskommen, als gedacht und mich stattdessen in eine Nervenheilanstalt wiederfinden. »Vermutlich nicht der schlechteste Ort in meiner Situation.«
Langsam erhob ich meinen Kopf wieder und meine Augen mussten sich an das Strobolicht gewöhnen und sahen die tanzenden Menschen zunächst nur als bunte wabernde Massen. Dann wurde meine Sicht langsam klarer und ich stellte erschrocken fest, dass ich einen Ärmel meines Kostüms zerrissen habe, als ich mich zusammengekugelt hatte, wie ein kleiner Igel. Doch ich war kein ängstlicher Igel – ich war eine Fledermaus. Stolz, schön und geheimnisvoll. Mein Herzschlag regulierte sich allmählich wieder und ich bekam mehr und mehr Kontrolle über meine Sinne. Ich schaffte es endlich, mich auf einzelne Personen und Geräusche zu konzentrieren, die Musik auszublenden und den Gerüchen, die schwer in der dumpfen Luft hingen, nicht zu viel Beachtung zu schenken. Meine Beine zitterten noch, aber ich ging vorsichtig zur Tanzfläche zurück.
Dort blickte ich unauffällig einzelnen Personen ins Gesicht, um zu prüfen, ob jemand dabei war, den ich kannte. Außerdem hatte ich endlich Zeit, mir die Kostüme in Ruhe anzusehen. Ich musste gestehen, dass, im Gegensatz zu draußen, auf dieser Party die ein oder anderen äußerst gelungenen Verkleidungen dabei waren. Einige Mädels trugen aufwendiges Make-up. Es war sehr schwer, darunter ein vertrautes Gesicht auszumachen, aber offenbar waren andere Zeitgenossinnen da etwas begabter als ich.
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✅ Once in a Blue Moon - Marias übernatürliche Tagebücher // (Band 1)
VampireVampire gibt es nicht, denkt ihr? Das dachte ich auch. Bis ich von einem Baum erschlagen wurde und anschließend die blutende Wunde eines fremden Mannes unwiderstehlich lecker fand. Zu allem Überfluss bedrohten weitere übernatürliche Wesen wie Hexen...