Louis POV
„Verdammt Louis, bist du etwa nicht einmal in der Lage einen blöden Text für die Zeitungen zu verfassen? Wie zum Teufel denkst du bitte wirst du diesen Zirkus einmal übernehmen, wenn du jetzt schon ganze Arbeit leistest, unseren Ruf zu zerstören!"
Ich sah den Direktor mit großen Augen an, während ich realisierte, dass tatsächlich ich es gewesen war, der den Zeitungen den Text hat zukommen lassen. Es ist also einzig und allein meine Schuld, dass wir keine große Überraschung im Petto haben und nur hoffen konnten, dass die Show hier trotzdem gut läuft. Und wenn sich in weiteren Städten rumspricht, dass wir nicht wirklich was zu bieten hatten, können wir wohl direkt zurück zu dem Ort fahren, an dem wir angefangen haben. Auf dem Weg dahin können wir dann auch noch alle, die im Zirkus arbeiten, absetzen und ihnen das Zuhause wegnehmen, das sie hier im Zirkus gefunden haben. Und das alles nur, weil ich.. was? Zu beschäftigt, zu kaputt oder einfach mit den Gedanken wo anders war, als ich die Zeitungsannoncen vorbereitet habe? Das darf echt nicht alles wegen mir auf dem Spiel stehen, ich habe mir geschworen den Traum meiner Mutter für sie zu verwirklichen, auch wenn dies bedeutete, den Zirkus erstmal so laufen zu lassen wie der Direktor es tat. Irgendwann werde ich ihn übernehmen und dann zu dem machen, was meine Mutter immer geplant hatte. Einem Ort an dem alle eine Familie sind, an dem alle zusammenarbeiten und abends zusammensitzen. Ein Ort, an dem niemand ausgebeutet wird.
„Hat's dir jetzt die Sprache verschlagen? Geh und stell sicher das alle Vorbereitungen abgeschlossen sind und steh hier nicht so blöd rum, damit kannst du auch nichts mehr retten." In seiner Stimme lag die Kälte und jene Abneigung, die schon immer leicht zu spüren war, aber erst seit Mutters Tod praktisch immer den Ton bestimmte, in dem er mit mir und auch Lottie sprach. Ich machte mir nicht die Mühe, ihm zu antworten, da ihn vermutlich jede Antwort nur noch wütender machen würde und verschwand mit einem kurzen Nicken aus seinem Abteil, das eigentlich so groß war, dass vermutlich zehn Leute hier leben könnten.
Ich machte mich also auf den Weg, um zu prüfen, ob alle Vorbereitungen abgeschlossen waren, damit die erste Show in wenigen Stunden reibungslos laufen würde. Allerdings gab es bislang noch keinen Tag an dem meine Überprüfung wirklich von Nöten gewesen wäre. Alle Angestellten erledigten ihre Arbeit gewissenhaft und durch den recht strikten und durchgeplanten Vorbereitungsablauf vor jeder Show, wusste auch jeder, was zu tun war. Die Neuankömmlinge wurden für gewöhnlich sofort von den Anderen aufgenommen und gut eingearbeitet. Der Direktor bestand dennoch darauf, dass ich vor jeder Show alles und jeden überprüfe. Ich würde viel lieber auf dem Trapez sein und die Show proben. Wenn ich auf dem Trapez bin, erinnerte ich mich immer daran, wofür ich das alles eigentlich mache und es erleichterte mir wenigstens für eine kurze Zeit, darauf zu warten, dass ich irgendwann den Zirkus leite und dann alles besser werden wird. Leider blieb an Showtagen kaum noch Zeit für das Trapez - neben all den Vorbereitungen und Dingen, die dem Direktor sonst noch so einfielen und die ganz dringend erledigt werden musste.
Auf meiner Route, die ich mir nach der Zeit angelegt hatte, um möglichst schnell alles zu kontrollieren, kam ich auch am Pferdestall vorbei. Ich erwischte mich kurz dabei, wie ich reinspähte, ohne zu wissen, was ich eigentlich zu sehen erhoffte. Als ich am Zelt vorbeikam und prüfte, ob die Manege vorbereitet war, durchzog mich ein leichtes Gefühl der Freude, während ich zum Trapez sah. Ich konnte es immer kaum erwarten, Abends endlich wieder das zu tun, was ich so liebte. Ich spürte es schon in meinen Fingern und dann in meinem ganzen Körper kribbeln. Lottie machte eine Handbewegung, die mir sagte, ich soll kommen und mir ihr trainieren. Ich schüttelte traurig den Kopf und spürte den leichten Neid ihr gegenüber, sie war vermutlich schon seit Stunden hier drin und dachte sich neue Dinge aus und probierte diese. Ich sah ihr noch einen Augenblick dabei zu und erkannte die starke Ähnlichkeit zu unserer Mutter. Lottie war durch das viele Training in den letzten Jahren beinahe so perfekt geworden, wie sie es gewesen war und es würde nicht mehr lange dauern, bis sie genauso schwerelos durch die Luft wirbelte. Ich fragte mich, ob ich dann eigentlich noch mithalten kann, denn mein Training begrenzte sich oft nur auf die Tage zwischen den Shows, die eigentlich als Ruhetage gedacht sind. An diesen Tagen war der Direktor meistens damit beschäftigt neue Leute zu suchen und sich mit den Reichen der Stadt zu verbinden. Er kam oft erst spät wieder ins Lager und so hatte ich nach meinen Aufgaben endlich Zeit für das Trapez.
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Cirque Felicity | L.S
Fanfiction1920. Die Zeit des ersten Weltkrieges und der spanischen Grippe ist vorbei und Amerika blüht wirtschaftlich immer mehr auf. Währenddessen wurde auch der Cirque Felicity immer bekannter und größer. Als erster Zirkus der durch das Land zog, lockte er...