Taehyung
"Was interessiert dich eine Spendengala für irgendwelche Kinderheime?"
Sein Onkel musterte ihn streng unter der dicken, eckigen Brille und Taehyung schluckte schwer. Warum ihn Kinderheime interessierten? Da sein Vater ihn adoptiert hatte, bevor er bei einem Autounfall um's Leben kam, müsste sein Onkel eigentlich von selbst drauf kommen.
Er war kein Koreaner, so wie Taehyung. Sein Onkel hieß Alexej Kim und kam aus Russland nach Südkorea, wo er nach dem Tod seines Adoptiv-Vaters seine Adoptiv-Mutter Choi Kim geheiratet hatte.
Taehyung kannte seine biologischen Eltern nicht, er war als Kind von einem Kinderheim zum nächsten gependelt, bis sein verstorbener Adoptiv-Vater Sergej und Choi ihn adoptierten, als er gerade mal sechs Jahre alt war- und der Albtraum erst richtig losging, als sein Bruder Alexej sich dazu entschloss, Taehyung aufzuziehen.
"Ich dachte du würdest dich über die Möglichkeit freuen, dass ich auftrete.", log Taehyung.
Alexej blickte wieder auf das Musikstück, das er gerade schrieb- doch er nahm seine Brille aus dem Gesicht, um sich die Augen zu reiben. "Gibt es Geld?", wollte er wissen.
"Es ist eine Spendenaktion.", antwortete Taehyung belehrend und bereute seinen Ton noch in derselben Sekunde. Alexej hasste nichts mehr, als verbessert zu werden. Er erhob sich mit kalten Augen aus seinem schwarzen Ledersessel und trat so dicht vor Taehyung, dass dieser den Nikotingeruch seiner Haut einatmen konnte.
Das Herz schlug ihm bis zum Hals, während sein Onkel ihn von Kopf bis Fuß musterte und eine Hand durch sein schwarzes Haar fahren ließ. "Du weißt, dass ich nur das Beste für dich will, Taetae.", seine Hand glitt weiter über Taehyung's Wange und presste sich gegen seine Lippen. "Ich will ja, dass du glücklich bist."
Bitte rühr mich nicht an. Taehyung wurde übel und er schloss in stillem Gebet seine Augen. Nicht hier, nicht schon wieder.
In seinem Kopf begann Taehyung wie immer, langsam zu zählen. Er kannte sein Limit, wusste wie lange er durchhalten konnte, bis er das Bewusstsein verlor.
Doch sein Gebet wurde erhört, nach genau dreiundvierzig Sekunden ließ Alexej wieder von ihm ab, um sich wieder seinen Noten zu widmen. "Ich werde dem Konzert natürlich beiwohnen, sichergehen, dass du dich nicht verspielst."
Natürlich würde er das. Und Taehyung wusste genau was ihn erwarten würde, falls er einen Fehler machen sollte.
"Wenn es dich also glücklich macht, auf diese Weise deine Zeit und dein Talent zu verschwenden, dann mach das."
Taehyung verließ mit geballten Fäusten sein Büro und lief mit zittrigen Beinen aus dem großen Gebäude des Musikunternehmens, in dem sein Vater arbeitete. Es war schon dunkel geworden, als er an der Straße stand und der warme Wind sein Haar zersauste.
Der dunkle Asphalt auf den Straßen schimmerte nass vom Sommerregen und Taehyung atmete tief die frische Luft ein. Er wusste genau, was er sich antun würde, wenn er jetzt in das Hotel zurückkehrte. Die Schnittwunde an seinem Arm brannte in seiner Erinnerung, also rief er sich kurzentschlossen ein Taxi.
"Wohin soll's gehen, Hübscher?", fragte ihn der ältere Taxifahrer und kaute schmatzend auf dem Kaugummi in seinem Mund.
"National Theater, bitte.", antwortete Taehyung schwach und legte den Geigenkoffer neben sich auf den Beifahrersitz.
Der Taxifahrer nickte knapp und fuhr ihn durch die beleuchtete Innenstadt von Seoul. Ein leises trommeln an den Autofenstern verriet ihm, dass es wieder zu regnen begonnen hatte.
Doch die Luft war angenehm warm, als er aus dem Taxi stieg und durch den Nieselregen zum Eingang des Theaters lief, den Geigenkoffer in seiner rechten Hand. Er streckte die freie Hand nach der Türklinke aus und zog fest daran- verschlossen.
Überrascht hob er seine dunklen Augenbrauen. Und jetzt?
Er warf den Kopf in den Nacken und blickte hinauf in den dunklen Himmel, sodass der warme Regen direkt an seinem Gesicht hinablief.
Ach was soll's.
Taehyung sprang die Treppen wieder hinab, sodass er nun mitten auf dem weiten Theaterplatz stand, vor einem breiten, beleuchteten Springbrunnen. Direkt davor blieb er stehen und packte seelenruhig seine Geige aus.
Nachdem er einmal tief durchgeatmet hatte, begann er im warmen Sommerregen darauf zu spielen, unter dem dunklen Nachthimmel.
Die klaren, melodischen Töne beruhigten seine Seele und vertrieben seine Sorgen, während der Regen seine Wunden balsamierte.
Er schloss die Augen und konzentrierte sich nur noch auf den Klang seiner Musik, während der Regen stärker wurde.
Aus dem schwachen Trommeln wurde ein starkes Rauschen, dicke Wassertropfen durchnässten seine Klamotten und liefen ihm kühl über das Gesicht, bevor sie an seinem Kinn hinabtropften. Es war sein eigener, kleiner Kampf- seine Geige gegen den Regen, gegen die Natur, gegen den Rest der Welt.
Seltsamerweise spürte er den Regen irgendwann nicht einmal mehr, als hätte es nur auf seiner Stelle aufgehört zu regnen, doch um ihn herum brach das Sommergewitter weiter über Seoul zusammen.
Langsam öffnete er wieder seine Augen- und da wurde ihm auch klar warum er nicht mehr nass wurde.
Vor ihm stand ein Junge mit großen, braunen Augen und dunklen Haaren, der seine gelbe Regenjacke ausgezogen hatte und schützend über ihre beiden Köpfe hielt.
Schockiert starrte Taehyung in die schönen, glänzenden Augen des Jungen und stieß überrascht die Luft aus.
Der Junge verzog seine spitzen Lippen zu einem schiefen Lächeln.
____note___________
Vielleicht etwas verwirrend, aber auf Tae's Familienverhältnisse gehe ich auf jeden Fall noch genauer ein!
Nochmals eine kleine Triggerwarnung für euch Leser, dass die Story etwas heavy wird...
Hoffe euch hat das Kapitel gefallen!
xoxo
Liza
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The Violinist | taekook
Fanfic𝙡𝙖𝙪𝙛𝙚𝙣𝙙 Alle kennen ihn, doch keiner weiß wirklich etwas über südkoreas berühmtesten Violinisten, gennant "V". Vielleicht liegt das an seiner dunklen Aura, vielleicht aber auch daran, dass er infolge eines Kindheitstraumas kaum ein Wort spric...