"Also... Fangen wir ganz einfach an.", begann Sam und sah mich freundlich an. "Wir sind hier im Schülergebäude. Das Lehrergebäude ist genau gegenüber im Ostflügel und dazwischen ist das Hauptgebäude." Ich nickte. Zu diesem Schluss war ich auch schon gekommen.
"Hier im zweiten Stock sind nur die Mädchenzimmer. Auf den kleineren Gängen befinden sich die Zimmer und zwischen jeweils zwei Zimmern gibt es ein Bad, das man sich teilt."
Deswegen also die zweite Tür in meinem Zimmer. Langsam schlenderten wir durch den Hauptgang auf die Wendeltreppe zu.
"Die Türen hier", Sam deutete auf die vereinzelten Türen zwischen den kleinen Gängen, "sind Duschen."
"Gemeinschaftsduschen?", leicht angeekelt schaute ich zu ihm hoch. Er überragte mich um mindestens einen Kopf. Sam lachte leise.
"So spartanisch sind die hier nicht. Die Duschen sind abgetrennt voneinander und abschließbar. Sie werden jeden Abend gereinigt, also wenn du sicher gehen willst, dass sie unbenutzt sind, solltest du früh morgens duschen gehen. Bist du Langschläfer?", fragte er und klang dabei ähnlich, wie ich vorhin. Ich lächelte und schüttelte den Kopf.
"Endlich!", rief er aus. "Mit den anderen lässt sich am Wochenende kaum was anfangen, weil sie so lange schlafen. Wenigstens einer, mit dem ich was machen kann."
Wir kamen an der Wendeltreppe an und Sam stoppte.
"Noch was. Duschen darfst du nur bis 21 Uhr, wegen der Lautstärke und so. Das wird zwar nicht direkt kontrolliert, aber wenn du danach duschen gehst, solltest du auf jeden Fall leise sein."
Er betrat die Wendeltreppe und machte sich auf den Weg nach unten. Da hier das Gebäude zu Ende war, hatte man auch hier große Fenster eingebaut und während ich nach unten ging, kam ich nicht umhin den Ausblick ein drittes Mal zu bestaunen.
"Hier im ersten Stock sind die Jungenzimmer.", fuhr Sam fort, der bereits unten angekommen war und auf mich wartete. Rasch lief ich die restlichen Stufen nach unten, doch auf der letzten Stufe stolperte ich, rutschte, verlor das Gleichgewicht und fiel wenig elegant der Länge nach hin.
Respekt. Treppenlaufen hast du auch verlernt.
Ich setzte mich hin und wollte grade aufstehen, als eine Hand in meinem Augenwinkel auftauchte. Ein Bild blitzte in meinem Kopf auf. Schatten. Stimmen. Geschrei.
Panisch wich ich zurück und knallte mit meinem Rücken gegen die unterste Stufe der Treppe.
"Ganz ruhig. Ich wollte dir nur helfen.", drang Sams Stimme zu mir durch. Fast gleichzeitig erkannte ich meinen Fehler. Er wollte mir aufhelfen. Ich war hier und nicht dort. Verdammt.
Ich sah zu Sam auf, lächelte gezwungen und ergriff seine Hand, die er mir immer noch hinhielt. Er zog mich hoch und sah mir merkwürdig an.
"Was war das denn?", wollte er wissen und ich biss mir fest auf die Zunge. Ich hatte eine totale Szene gemacht.
"Hab mich nur erschrocken.", murmelte ich. Er sah mich immer noch scharf an und ich versuchte möglichst überzeugend auszusehen, während ich seinem Blick standhielt.
"Naja...", fuhr er schließlich fort und ließ meine Hand los, "Ich hab vergessen dich zu warnen, entschuldige." Fragend sah ich ihn an und wartete auf eine Erklärung.
"Dein Sturz hatte nichts mit mangelndem Gleichgewicht zu tun, sondern mit der Treppe. Die unterste Stufe ist kaputt, seit sich hier mal zwei Jungs geprügelt haben und sie dabei zerstört haben." Er bückte sich und drückte auf die Stufe. Tatsächlich. Sie war zwar noch fest, jedoch kippte sie leicht nach vorne, als Gewicht darauf kam.
"Wie fies!"
"Man gewöhnt sich dran.", grinste Sam und setzte seine Führung fort.
"Wie gesagt: Auf dieser Ebene sind unsere Zimmer. Lee, Jackson und ich sind in Zimmern nebeneinander. 125 und 126." Während er sprach, begann er bereits wieder die Wendeltreppe nach unten ins Erdgeschoss zu gehen. Ich folgte ihm.
Das Erdgeschoss bestand praktisch nur aus einem Raum. Überall standen Sofas, Sessel und andere Sitzgelegenheiten bis hin zu Fensterbänken, die zu kleinen Nischen umfunktioniert waren. Zwei Billardtische und ein Kicker standen an der einen Seite des Raumes, während auf der anderen Seite mehrere Sofas in Gruppen standen. Hier hingen auch zwei Fernseher und ich konnte sogar eine Wii und mehrere Controller erkennen. Durch einige Bücherregale entstanden Abtrennungen, sodass der Raum etwas strukturierter aussah. Ich lenkte meinen Blick zur gegenüberliegenden Seite des Raumes und staunte. Ich lief über die zahlreichen Teppiche, die wie bunt zusammengewürfelt aussahen und fand mich schließlich in einer kleinen Küche samt Kühlschrank, Mikrowelle, Spülmaschine und Geschirr wieder. Ich drehte mich zu Sam um und lachte.
"Das ist der Wahnsinn!" Sam grinste.
"Wir haben lange dafür gekämpft sowas zu bekommen. Kann abends manchmal echt voll werden, also wenn du die Filmauswahl bestimmen willst, musst du schnell sein."
"Gibt's dann nicht total häufig Stress? Und wie macht ihr das mit der Spülmaschine? Bei meiner alten Stufe wär das in riesigem Chaos geendet."
"Es hält sich in Grenzen. Am Anfang gabs öfter mal Zickenkrieg, aber eigentlich klappt das ganz gut. Und was die Spülmaschine angeht... Es gibt glücklicherweise immer pflichtbewusste Mädchen, die nicht besseres zu tun haben, als Teller zu sortieren. Trotzdem haben wir uns auf die Regel geeinigt: Wenn du die Spülmaschine vollmachst, stellst du sie auch an und wenn du der erste bist der sieht, dass sie durchgelaufen ist, räumst du sie aus. Niemand lässt hier sein benutztes Geschirr rumstehen, weil jeder einfach eine saubere Küche will."
Ich war beeindruckt. Vielleicht waren die Schüler hier doch nicht so spießig wie ich befürchtet hatte.
"Der Kühlschrank und die Schränke werden zwar regelmäßig aufgefüllt, aber trotzdem haben wir nur eine gewisse Menge zur Verfügung also achten wir darauf, dass jeder etwas hat. Also falls du mal ein Essen verpasst, dann gibt's hier was, aber versuch trotzdem die normalen Essenszeiten einzuhalten. Das klingt vielleicht total streng, aber anders funktioniert das System nicht."
Ich nickte. Das alles wirkte plötzlich eher wie eine riesige Wohngemeinschaft und nicht wie eine Schule.
"Lust auf ein bisschen frische Luft?", wechselte Sam plötzlich das Thema und strich sich seine Haare aus der Stirn.
"Ähm... Klar.", antwortete ich perplex und er öffnete eine unscheinbare Tür neben einem der Bücherregale. Wind wehte mir ins Gesicht. Ich ging zu Sam, der mir galant den Vortritt ließ und ich trat hinaus ins Freie.
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Be Quiet
Teen FictionNachdem sie beinahe im Krankenhaus gelandet wäre, wird Rose auf ein Internat in England geschickt. Sie hofft, dass alles ausgestanden ist, wird aber eines besseren belehrt...