4. Kapitel

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Es war als wäre ich in ein Foto hineingetreten. Grünes Gras zog sich über einige kleine Hügel bis zu einer Baumgruppe, die meinen Blick auf der linken Seite begrenzte. Vereinzelt angelegte Wege durchschnitten die Hügel und führten unteranderem zu jenem Wäldchen, oder aus meinem Blickfeld hinaus. Die Sonne schien mir warm ins Gesicht und lugte grade so über die Dächer, die sich in weiter Ferne am Horizont erhoben.

Ich atmete die Luft ein, die so anders war als bei mir zuhause und musste automatisch lächeln.

"Wow.", sagte ich und blickte schließlich zu Sam. "Also wenn der Rest hier auch so aussieht, dann bleib ich hier."

"Ich fürchte, da muss ich dich enttäuschen. Bis auf Klassenräume ist nicht mehr viel über. Sollen wir deinen Koffer holen? Du hast ihn ja zum Glück noch nicht ausgepackt."

Ich grinste. "Ach Quatsch. Du hattest mich schon bei der Mikrowelle." Sam schmunzelte und wir machten uns gemächlich auf den Weg zum Hauptgebäude des Internats.

"Was kann man hier eigentlich sonst noch so machen?", erkundigte ich mich und blickte zu Sam. Er zuckte unbestimmt die Schultern.

"So ziemlich alles was du willst, solange du keinen Unterricht hast. An den Wochenenden fahren viele heim oder verbringen den ganzen Tag in der Stadt, von daher ist es dann recht leer hier. Die die hierbleiben, gehen abends oft raus und schlafen dementsprechend lange, also passiert nicht ganz so viel. Und sonst kannst du eigentlich alles machen. Hier draußen sein, in die Stadt fahren oder dich mit uns abgeben. Fährst du an den Wochenenden nach Hause?"

"Ganz sicher nicht!", entfuhr es mir, ehe ich mich zurückhalten konnte. Da war ich lieber hier, als die ganze Zeit meinen Eltern ausgesetzt zu sein, die mich behandelten wie eine Porzellanfigur. "Das würde sich ja gar nicht lohnen. Und soo lange bin ich ja auch noch nicht weg.", fügte ich hinzu, um von meinem unbedachten Ausruf abzulenken.

Wie wärs mit: Erst denken, dann reden?

Sam zog eine Augenbraue hoch. Er war nicht blöd. "Wo wohnst du denn?", wollte er wissen und brachte mich damit aus dem Konzept.

"Ähmm. Wie meinst du das jetzt?"

"Du meintest, dass es sich nicht lohnen würde nach Hause zu fahren. Wohnst du so weit weg?", half er mir auf die Sprünge und überging somit die eigentliche Frage, als sei nichts gewesen.

Ich begann Sam zu mögen. Er war nett und wusste offenbar genau, wann es besser war, nicht nachzufragen. Ich begann mich in seiner Gesellschaft langsam zu entspannen.

"Hawkshead.", antwortete ich ihm. "Das ist so ziemlich auf der anderen Seite von England."

Sam schaute mich von der Seite her an und steckte seine Hände in die Hosentaschen, ehe er sprach: "Und dann schicken dich deine Eltern hierher? Es gibt doch haufenweise Internate, die viel näher liegen."

Ich lächelte zu ihm hoch. Wir waren schon längst am Hauptgebäude angekommen, standen jedoch immer noch vor der Tür. "Das musst du mir nicht sagen, ich weiß das." Sam grinste. "Aber meine Eltern hatten von dem hier irgendwann mal einen Flyer im Briefkasten und fanden es schön hier, alsoo... Ich machte eine unbestimmte Handbewegung und zuckte mit den Schultern.

Sam nickte verstehend. "Na dann...", sagte er und wandte sich der Tür zu. Ganz der Gentleman hielt er mir die Tür auf und ich betrat vor ihm das Hauptgebäude.

Zu sagen, der Raum wäre groß, wäre untertrieben. Das gesamte Untergeschoss war nur ein einziger Raum. An der Vorder- und Rückseite befanden sich jene Glastüren, durch die wir hineingekommen waren. Da wir das Erdgeschoss durch die Türen an der Rückseite betreten hatten, lag der Empfangsbereich, den ich bei meiner Ankunft schon gesehen hatte, uns gegenüber. Er bestand aus einer Art Tresen und einem abgetrennten Bereich dahinter, aus dem leise Stimmen zu vernehmen waren. Auch die anliegenden Treppenhäuser rechts und links von uns waren mir bekannt. Durch sie gelangte man offenbar in die Klassenräume in den oberen Stockwerken. Der Rest des Raumes bestand aus grauem Teppich.

Be QuietWo Geschichten leben. Entdecke jetzt