01 Prolog Lukas

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Vier Jahre zuvor

Als die Zusage aus Connecticut kam, fiel der ganze Stress und die ganze Anspannung von mir ab. Nie in meinem Leben hätte ich erwartet, dass ich es dorthin schaffen würde. Selbstverständlich verdankte ich das nur mir. Mir allein. Ich hatte ausschließlich gute Noten. Im Basketball war ich der Beste. Ich engagierte mich sozial und machte ein Praktikum in den renommiertesten Kanzleien des Landes nach dem anderen. Nicht einmal die Sprache war ein Problem. Ich sprach perfekt Englisch, war ich doch bilingual erzogen worden, meiner Mutter sei Dank. Sie war in Connecticut aufgewachsen und der Liebe wegen nach Deutschland gekommen. Es war auch ihr Traum, dass ich in ihrer Heimat studieren würde. Ich hatte mein Leben lang darauf hingearbeitet. Und jetzt war der Traum wahrgeworden, den ich schon als kleiner Junge gehabt hatte. Vielleicht lag es nicht nur an mir, sondern auch am Ruf meines Vaters, der sich als internationaler Geschäftsmann einen Namen gemacht hatte und mein Studium auch finanziell großzügig unterstützen würde.
Er war ein Arschloch, aber er würde mir meinen Traum ermöglichen. Ich würde in Amerika studieren. Und endlich weg von ihm und meiner Familie sein.
Etwas Besseres konnte mir nicht passieren.
Ich feierte meinen Abschied zwei Tage vor meinem Abflug mit meinen Freunden im Garten des Hauses, in dem ich aufgewachsen war. Es war eine fette Party, vielleicht die größte die ich je gegeben hatte. Der ganze Abi-Jahrgang war da. Vermutlich auch noch knapp hundert Leute, die ich gar nicht kannte.
Ich hatte mich die meiste Zeit von Alkohol oder Drogen ferngehalten, doch an diesem Tag schlug ich über die Stränge.
Die Party hatte gerade erst begonnen, dennoch war ich schon betrunken und sah Noah Hoffmann zu, der uns Joints baute.
Mein bester Freund Jan Winter hatte das Gras mitgebracht. Er war kein typischer Kiffer, wusste jedoch, wo man das beste der Stadt herbekam.
Ich steckte mir den Joint in den Mund, als Noah fertig war, und zündete ihn an.
„Kaum zu glauben, dass du wirklich nach Amerika gehst", sagte Jan und stieß den süßen Rauch aus. „Was sollen wir dann ohne dich machen, Alter?"
Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern. Jan wusste, dass es mein großer Traum war. Und es war mir scheißegal, was er oder irgendjemand anderes danach tun würde.
„Such dir irgendwen zum vögeln", antwortete ich lachend. „Sechs Jahre sind schneller rum, als du gucken kannst."
„Als ob du wiederkommen würdest", brummte Noah. „Du suchst dir irgendeine amerikanische Schlampe, die so dumm ist und dich heiratet und bleibst da."
„Klar." Ich lachte erneut. Heiraten. Wie bescheuert.
„Ich such mir da jemanden zum ficken, mehr nicht."
„Sicher", schnaubte Jan. „Die Ladys warten alle auf deinen deutschen Schwanz."
Ich wollte gerade etwas erwidern, als die Tür zu meinem Zimmer geöffnet wurde.
Josefine Winter, Jans kleine Schwester, sah uns unsicher an und trat nervös von einem Fuß auf den anderen.
„Was willst du?", schnauzte Jan.
Ich zog an meinem Joint, während ich sie vom Bett aus beobachtete. Sie war nur ein Jahr jünger als wir und ich kannte sie genauso lang, wie ich Jan kannte. Was beinahe mein ganzes Leben war.
Sie war gerade achtzehn geworden und ein wirklich hübsches Mädchen. Die langen braunen Haare hatte sie zu einem Zopf zusammengebunden und ihre vollen Lippen sahen aus wie ein gottverdammtes Versprechen.
Allein die Vorstellung, dass sie diese um meinen Schwanz legen könnte, ließ mich erschaudern. Ich wusste, dass es falsch war so über sie zu denken, weil sie die kleine Schwester meines besten Freundes war, aber ich konnte nichts dagegen tun. Mein hormongesteuerter Körper reagierte sofort auf sie und dafür verfluchte ich mich. Wenn Jan je herausfinden würde, was in meinem Kopf vorging, wenn ich seine Schwester ansah, würde er mich umbringen.
„Ich wollte nur ... sehen wo ihr seid", stammelte sie. Jan hob die Augenbrauen.
„Hast uns ja gefunden. Und tschüss." In letzter Zeit war er echt fies zu ihr, was sogar mir auffiel.
„Wo ist Lia?", fragte Noah sie und stand auf. Emilia war sein neustes Flittchen, da war ich mir sicher, auch wenn er vehement abstritt, dass die beiden etwas miteinander hatten. Sie wohnte bei ihm, in der Wohnung, die seine Eltern für ihn finanzierten, nachdem sie urplötzlich in seinem Leben aufgetaucht war, also konnte ich mir kaum vorstellen, dass dies ohne Gegenleistung geschah.
Josefine zuckte mit den Schultern. „Ich glaube im Garten mit Mark."
Noahs Augen verengten sich, als Josefine Mark erwähnte.
Ich stand vom Bett auf.
„Ich muss mal an die Luft", sagte ich. „Kleine, kommst du mit?" Josie sah mich mit großen Augen an, als ich an ihr vorbeiging. Sie roch fantastisch. Blumig. Hitze schoss mir zwischen die Beine und eilig lief ich die Treppe herunter, damit sie nicht mitbekam, was in mir vorging.
In der Küche nahm ich mir ein kühles Bier und trank die Hälfte sofort aus.
Sie ist Jans kleine Schwester, dachte ich. Wenn ich sie anfassen würde, wäre ich ein toter Mann.
„Gibst du mir auch eins?", erklang ihre glockenhelle Stimme hinter mir und verursachte mir eine leichte Gänsehaut.
Ich nahm eine weitere Flasche, atmete tief durch und redete mir ein, dass ich nur noch diese Party durchstehen müsste. In zwei Tagen würde ich im Flieger nach Connecticut sitzen. Und Josie würde aus meinen Gedanken verschwinden.
Sie folgte mir über die Terrasse, am Pool vorbei in den Garten.
Ich nickte ein paar Leuten zu und fragte mich bei anderen, wer sie mitgebracht hatte. „Und, bist du aufgeregt?"
Ich drehte mich zu Josie um und lachte leise. „Natürlich."
„Du kannst echt stolz auf dich sein." Sie setzte sich auf die Bank hinter dem Gartenhaus und grinste mich an. „Du hast es geschafft." Sie bemerkte nicht, dass ihr Kleid ein wenig hochrutschte, und eilig wand ich den Blick von ihren nackten Oberschenkeln ab. Fuck. Ich freute mich jetzt schon auf den Moment, wenn die Party irgendwann in den Morgenstunden vorbei sein würde, ich mich ins Bett legen konnte und mir mit ihrem Gesicht vor Augen endlich einen runterholen können würde.
„Wirst du mich vermissen?", fragte sie und grinste schelmisch. „Keine nervige kleine Schwester mehr", fügte sie schnell hinzu.
Ich schmunzelte. Sie bezeichnete sich oft als meine kleine Schwester, weil Jan und ich unzertrennlich waren. Sie sah mich als ihren großen Bruder. Und es gab nichts, was mich mehr störte, als das. Wäre sie meine kleine Schwester, würde ich sie mit Sicherheit nicht auf der Stelle nehmen wollen.
„Du bist nicht meine kleine Schwester", sagte ich mit ruhiger Stimme. „Aber ja, ich werde dich vermissen", gab ich zu. Mehr als sie sich vorstellen konnte. Was würde sie in den nächsten Jahren erleben? Wie würde sich ihr Leben entwickeln? Sie hatte noch ein Jahr bis zum Abitur. Was würde sie studieren? Wo würde sie wohnen? Würde sie jemanden kennenlernen?
Der Gedanke, dass sie jemanden kennenlernen würde, brachte mich beinahe um. Ich wollte ihr Erster sein. Unbewusst ballte ich die Hände zu Fäusten. Ich wollte nicht nur der Erste sein, ich wollte der Einzige sein. Es war lächerlich. Ich hatte sie noch nie berührt, zumindest nicht auf diese Weise. Und doch konnte ich mir genau vorstellen, wie sie schmecken würde. So süß, wie sie roch.
Ich nahm den Joint aus meiner Tasche und steckte ihn erneut an.
„Bist du high?", fragte sie mit sanfter Stimme.
Ich zuckte mit den Schultern. Wahrscheinlich schon.
High und betrunken war keine gute Mischung. Nicht heute. Nicht mit ihr.
Sie streckte die Hand aus und einen Moment lang war ich verwirrt, was sie wollte.
„Gib ihn mir", bat sie.
Jan würde mich definitiv umbringen, wenn er das hier rausbekommen würde.
Ich reichte ihn ihr.
In zwei Tagen würde das alles hier keine Rolle mehr spielen.
Noah hatte Recht. Ich hatte nicht vor zurückzukommen.
Josie – die brave Josie, die sich nie gehen ließ oder sich einen Fehler erlaubte – nahm einen tiefen Zug von dem Joint.
Sie hustete und brauchte einen Augenblick, bis sie sich an den beißenden Rauch gewöhnte. Dann nahm sie noch einen Zug. Die Lippen geschlossen, stand sie auf und trat auf mich zu.

Verlieb dich nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt