45 Lukas

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Ich spürte weder die kalten Fliesen unter meinen Knien, noch den Schmerz in meinen Handknöcheln, die aufgeplatzt waren, als ich gegen die Wand geschlagen hatte.
Ich spürte nur das Loch in meiner Brust. Hilflos saß ich auf dem Boden und starrte die Tür an, durch die Josie mit diesem Kerl verschwunden war.
Niemals, nicht einmal in meinen absurdesten Träumen hätte ich mir vorstellen können, dass ich einmal so einen Schmerz empfinden würde, diesen brennenden Schmerz, jemanden zu verlieren.
Noch nicht hatte ich jemanden richtig gern, nie hatte ich jemanden, der zu mir gehörte. Noch nie wollte ich jemanden so sehr, wie sie.
Diese verdammte Panik sie zu verlieren war so nicht geplant. Nichts von alldem war geplant.
Es sollte ganz easy laufen: Dad anzeigen, zurückkommen, Studium beenden, Geld verdienen und wieder zurück nach Amerika.
Ein ganz klares Ding.
Nur, dass es nicht so gelaufen war.
Stattdessen hatte ich mich auf dieses blöde Experiment eingelassen und diese braunhaarige Frau, die dachte, sie wäre ein hoffnungsloser Fall hatte sich in mein Herz eingeschlichen, bis ich irgendwann so rettungslos in sie verliebt war, dass ich es selbst nicht glauben konnte. Sie hatte mich mit einem einzigen Wimpernschlag zurück in einen pubertierenden Jungen verwandelt, der dachte, nichts könnte ihm geschehen. Am liebsten würde ich meinem Vater, der nicht mein Vater war, die Schuld geben, weil er mich glauben ließ, dass ich es nicht wert war geliebt zu werden. Oder meiner Mutter, weil sie so lange bei ihm geblieben ist und zugesehen hat, wie ich dank ihm zerbrach. Ich wollte Josie die Schuld geben, weil sie dieses blöde Experiment vorgeschlagen hatte und mir geschworen hatte, wir würden uns nicht ineinander verlieben. Verdammt, am liebsten würde ich die ganze Welt dafür verantwortlich machen, doch dass konnte ich nicht. Ich war schuld, ich ganz allein. Ich hatte das zerstört, was zwischen uns war. Und ich würde alles dafür tun, meinen Fehler wieder gutzumachen.
Mit zitternden Händen richtete ich mich auf und zog mein Handy aus der Hosentasche.
Jan drückte mich weg und ich konnte es ihm nicht verübeln.
Er brauchte vielleicht erst noch ein bisschen Zeit, um zu verarbeiten, was ich ihm letzte Nacht gestanden hatte.
Also rief ich Noah an.
„Lukas, kann ich dich später anrufen?", fragte er. „Lia ist bei mir."
„Nein", antwortete ich mit zitternder Stimme. „Ich ... Hast du irgendwas für mich?"
„Äh ... Ja. Ist was passiert? Alles okay?"
Ich seufzte leise. „Nein. Gar nichts ist okay. Ich ... Wenn du was Starkes hast, würde ich das nehmen."
„Scheiße. Ich komm zu dir, okay?"

„Hast du es dabei?", fragte ich Noah, kaum, dass ich die Tür geöffnet hatte. Noah schüttelte den Kopf.
Hinter ihm tauchte Lias blonder Schopf auf. „Hallo Lia", sagte ich und verdrehte die Augen.
„Ich dachte du kommst allein", sagte ich an Noah gewandt. „Sie war gerade bei mir, was soll ich denn machen?"
Die beiden drängten sich an mir vorbei in die Wohnung.
„Wieso hast du nichts dabei?", fragte ich.
„Weil es dir offensichtlich nicht gut geht", erwiderte Noah. „Und da kann ich dir nichts geben."
„Hat dich früher auch nie interessiert."
Ich seufzte und fuhr mir mit den Händen durch das Gesicht. „Scheiße."
„Aber ich bin nicht mehr wie früher."
Noah setzte sich aufs Sofa. „Erzähl, was ist passiert?"
Ich warf Lia einen Blick zu. „Ich kann auch draußen warten", sagte sie.
Ich verdrehte die Augen und atmete tief durch.
„Nein", sagte ich resigniert.
„Das ist nicht nötig."
Sie setzte sich neben Noah und ich mich den beiden gegenüber.
Ich atmete tief durch. „Mein Vater ist gar nicht mein Vater. Meine Mutter geht nach Amerika zurück und mein Bruder hasst mich, weil ich unsere Familie zerstört habe. Ich habe nachts Panikattacken und bekomme keine Luft mehr. Josie und ich schlafen seit Monaten miteinander und ich habe mich in sie verliebt. Jan hat mich geschlagen, weil ich ihm das gesagt habe und will gerade nicht mit mir reden. Josie hat mir gesagt, dass sie mich liebt, aber ich konnte es ihr nicht sagen und jetzt hat sie ihre Sachen gepackt und ist mit irgendeinem Kerl verschwunden, den ich vorher noch nie gesehen habe. Und jetzt will ich mich eigentlich nur zudröhnen." Noah und Lia sahen mich beide mit weit aufgerissenen Augen an.
„Das sind mal viele Neuigkeiten auf einmal", stieß Noah hervor.
„Du bist ein Idiot, Lukas Claßen", sagte Lia. Ich schnaubte. „Meinst du, dass wüsste ich nicht?"
„Aber wir bekommen das geklärt."
Sie trat nach draußen auf den Balkon und verwirrt sahen Noah und ich uns an.
Er zuckte mit den Schultern. „Ich hatte keine Ahnung, dass zwischen dir und Josie was läuft."
Ich atmete tief aus. „Wie hälst du es nur aus?", fragte ich leise.
„Was?" Ich deutete mit dem Kopf zu Lia. „Mit ihr Zeit zu verbringen? In ihrer Nähe zu sein? Obwohl du genau weißt, dass sie für dich nicht so empfindet wie du für sie?"
Noah presste die Lippen aufeinander und legte den Kopf schief.
„Ich liebe sie", sagte er dann leise. „Und solange sie glücklich ist, bin ich es auch." Lia stieß die Balkontür auf. „Jan und Ellie sind auf dem Weg hierher und Josie ist bei Paul."
„Das weiß ich. Aber ich weiß nicht wer verdammt nochmal Paul ist!"
Lia zuckte mit den Schultern. „Ich auch nicht. Ist aber auch vollkommen egal, weil sie niemals was mit diesem Paul anfangen würde, wie sie mir gerade am Telefon versichert hat. Ich hole sie in zwei Stunden ab. Bis dahin ..."
Sie grinste mich an. „Kannst du dir überlegen, wie du sie zurück gewinnen wirst."

„Also, sie ist weg?", fragte Jan und sah mich fassungslos an. „Wie konntest du das nur so versauen?"
Ich hatte keine Ahnung, wann aus meinem Nervenzusammenbruch eine Party geworden war, aber Noah, Lia und Ellie standen in der Küche und beratschlagten darüber, wie wir auf die Schnelle etwas Romantisches für Josie zusammenstellen würden, während Jan und ich ins Wohnzimmer geschickt wurden, um uns auszusprechen.
„Ich ... bin ein Idiot", sagte ich resigniert. „Sie ... hat gesagt, sie liebt mich. Und ich ..."
„Hast nichts gesagt."
Ich nickte stumm.
Jan schnaubte. „Ich sollte dir dir Nase brechen."
„Ich weiß. Vermutlich würde es mir dann besser gehen."
„Wer ist der Kerl überhaupt?", fragte er und verzog das Gesicht. „Vermutlich sollte ich froh sein, dass sie sich in dich verliebt hat und nicht wieder in irgendein Arschloch, so wie Max."
„Im Moment bin ich wohl das Arschloch." Ich schloss die Augen und atmete tief durch. „Ich weiß nicht, wer der Kerl sit. Nicht mal Lia weiß, wer das ist oder wo sie ist. Verdammt, Jan, ich pack das nicht. Ich brauche sie. Glaub mir, nichts von alldem hier war geplant. Absolut gar nichts. Ich ... Ich hab mich einfach in sie verliebt."
Ich schluckte und raufte mir mit den Händen durch die Haare. „Und ja, ich war ein Idiot und habe sie glauben lassen, dass sie mir nichts bedeutet. Ich bin selbst schuld daran, dass sie weg ist."
„Wir kriegen das hin", sagte Jan zuversichtlich. „Ich glaube, Lia hat schon einen Plan."

Verlieb dich nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt