18 Josie

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„Um Himmels willen! Nein!", rief ich. Lukas starrte eine Stelle auf dem Boden an und atmete tief aus.
Ich konnte den Kampf, den er in seinem Inneren ausfocht, beinahe spüren. Ich überlegte, was ich in seiner Situation tun würde, und fühlte mich auf einmal schlecht. Egal, wie er sich entschied, unser Verhältnis würde nie wieder so sein, wie bis gestern Abend. Er schloss einen Augenblick die Augen und atmete tief aus.
„Das ist völlig verrückt, ist dir das klar?" Triumphierend lächelte ich.
Ich hatte ihn.
Näher als das würde ich einem Ja niemals kommen.
„Es ist völlig verrückt", stimmte ich zu. „Danke! Du bist großartig, Lukas!"
„Ich bin ein Arschloch, das bin ich!" Er seufzte. „Wenn Jan davon erfährt, mache ich dich ganz allein für alles verantwortlich! Deal?"
„Deal!"
Ich streckte ihm meine Hand entgegen und er ergriff sie.
Ich wollte sie sofort wieder loslassen, doch er griff fester zu, so als ob er mich wissen lassen wollte, dass er die Kontrolle hatte. Er hielt sie fest, nicht so, dass es weh tat, aber auch so, dass ich meine Hand nicht zurückziehen konnte. Ich schaute ihn überrascht an und war erstaunt von der Kraft seines Blickes. Seine blauen Augen, hielten meinen Blick fest.Seine Hand war warm und fest und wirklich groß, seine Finger waren rau, der Druck fest. Mein Bauch kribbelte, doch vermutlich war es nur Einbildung. Niemandem kribbelte der Bauch von einem Handschlag! Meine Atmung wurde seltsam schneller und mein Herz begann zu klopfen.Lukas, der weder dumm noch blind war, bemerkte es natürlich und lächelte selbstzufrieden. Lachte er mich etwa aus?
Er beugte sich vor und strich mir mit der anderen Hand eine Haarsträhne aus dem Gesicht hinter mein Ohr, dann fühlte ich seine Lippen an meinem Ohr.
„Lektion Nummer Eins", sagte er leise und seine Stimme ließ das Kribbeln in meinem Bauch explosionsartig anschwellen. Der schrille Klang der Klingel ließ uns beide zusammenzucken.
Lukas stand auf. „Die Pizza ist da."

„Wir sollten Regeln festlegen", sagte er nach dem Essen, bei dem er äußerst schweigsam gewesen war.
„Regeln?" Ich klappte den Deckel des Pizzakartons zu.
„Nun ja, Regeln, an denen wir uns orientieren können."
„Und an was denkst du da?"
Ich stützte eine Hand auf der Tischplatte auf und sah ihn nachdenklich an.
„Also ... Zum Beispiel, dass wir keinen Alkohol trinken, bevor wir ... eine Lektion machen."
„Warum nicht?", fragte ich.
„Na ja, es gibt genug Mädchen da draußen, die sich Mut antrinken, bevor sie Sex haben. Ich möchte nicht, dass du trinkst, wenn wir zusammen sind."
Ich legte den Kopf schief. „Nicht mal ein Glas Wein?"
„Nicht mal ein Glas Wein", bestätigte er. „Aber, ein Glas Wein zählt doch nicht zu Mut antrinken!", protestierte ich entsetzt. „Dann bleibt es nicht bei einem, dann trinkst du zwei, und so weiter. Und plötzlich bist zu betrunken."„
Ich bin doch nicht von zwei Gläsern Wein betrunken!"
„Gut, dann entscheiden wir das situationsabhängig, okay?", willigte er ein.„Gut."
Er lächelte. „Dann wäre das ja geklärt. Kommen wir zum zweiten Punkt, den ich mir überlegt habe: Wir müssen sichergehen, dass niemand davon erfährt." Sein Blick war ernst. „Wirklich niemand. Und auf gar keinen Fall Jan! Das heißt, du erzählst nicht mal Lia davon!"
Ich zuckte mit den Schultern. „Okay. Würde eh niemand glauben."
„Lass uns diese Theorie nicht testen."
„Noch was?"
„Ja. Wenn sich irgendetwas, dass wir machen, komisch anfühlt, oder sich einer von uns unwohl fühlt, brechen wir die Übung sofort ab! Das bedeutet auch, dass wir absolut ehrlich zueinander sein müssen."
„Okay. Dann ... wars das?"
„Ich denke, das wars. Gut, dann wäre das geklärt."
Er stand auf. „Achso, es sollte noch eine Sache absolut klar sein."
„Und die wäre?" Ich sah nach oben, um ihm in die Augen zu sehen. Wieder fiel mir auf, was für eine faszinierende Farbe sie hatten. Dunkelblau. Meeresblau. Eisblau. „Niemand verliebt sich."
Ich lachte auf.
„Das wird nicht passieren. Das ist vollkommen idiotisch!"
„Ja, das wäre wirklich lächerlich!"
„Absolut hirnrissig. Kannst du dir vorstellen, was Jan mit uns machen würde?"
Die Vorstellung, wie Jan fuchsteufelswild vor und stehen und uns anschreien würde, brachte mich zum Lachen.
„Keine Sorge, Lukas. Ich werde mich niemals in dich verlieben."

Als ich am nächsten Morgen aufstand, entdeckte ich Lukas auf dem Balkon.
Er saß an dem kleinen Tisch, den Lia und ich vor zwei Jahren auf dem Flohmarkt gekauft hatten, und trank Kaffee. Ich machte mir ebenfalls einen Kaffee, schob die Balkontür auf und begrüßte ihn.
„Hey cutie pie!"
Er trank einen Schluck und erkundigte sich, ob ich gut geschlafen hätte. Ich nickte, auch wenn es nicht ganz der Wahrheit entsprach. „Gut, dass du schon wach bist", sagte er. „Ich habe mir etwas überlegt." Ich gähnte hinter vorgehaltener Hand.
„Was denn?"
„Was hältst du davon, wenn wir ein bisschen Zeit miteinander verbringen, bevor wir ... das Experiment starten? Also, ich meine, ich war vier Jahre weg, wir haben uns ewig nicht mehr gesehen ... Ich habe keine Ahnung, wie du tickst."
Ich nickte zustimmend. Mir wäre auch wohler bei dem Gedanken, ihn noch näher kennen zu lernen, ehe wir möglicherweise Sex haben würden.
„Hast du heute schon was vor?"
Ich schüttelte den Kopf. Ich musste heute nicht ins Café und auch sonst hatte ich noch keine Pläne.
„Gut, dann ... Trink deinen Kaffee aus, zieh dir was an und dann fahren wir."
„Wohin?"
„Überraschung."

Ich hasste Überraschungen, weshalb es mich selbst wunderte, dass ich eine gute Stunde später in Lukas neuem Auto saß und entspannt den Kopf gegen das Fenster lehnte.
Lukas saß neben mir auf dem Fahrersitz und auch nach beinahe fünfundvierzig Minuten Fahrt wollte er mir immer noch nicht verraten, wo wir hinfuhren.
„Wann sind wir da?", fragte ich mit geschlossen Augen.
„Gleich", antwortete er und legte seine Hand auf meinen Oberschenkel.
Überrascht öffnete ich die Augen und betrachtete sie. Er hielt sie ganz ruhig, während er sich auf die Straße konzentrierte, die uns in steilen Kurven um die bergige Landschaft führte. Sein Unterarm war von blauen Adern überzogen, wie ich fasziniert feststellte. Ich biss mir auf die Unterlippe. Sein Unterarm sah irgendwie heiß aus. Vielleicht war das Ganze doch keine gute Idee gewesen, dachte ich plötzlich. Ich hatte keine Ahnung, wie sein Plan für heute aussah. Lukas begann mit seinen Fingern sanft mein Bein entlang zu streifen. Das Kribbeln, dass seine Berührung in mir auslöste, faszinierte mich. Max hatte so etwas nie getan, also hatte ich keinen Vergleichswert. Ich sog die Luft langsam durch meine halb geöffneten Lippen ein und atmete tief wieder aus. Meine Lippen verzogen sich beinahe automatisch zu einem Lächeln und ich konnte gerade so dem Bedürfnis widerstehen, seine Finger zu berühren.
Als ich den Blick zu ihm umwand, sah ich, dass er meine Reaktion beobachtet hatte. Doch dann zog seine Hand weg, um sie wieder ans Lenkrad zu legen, und ich lehnte den Kopf an die Nackenstütze an und versuchte, das seltsame Gefühl in meinem Magen loszuwerden. Lukas lenkte den Wagen von der Landstraße und bog in einen Waldweg ein.
Ein paar hundert Meter weiter stoppte er ihn und parkte.
„Wir sind da", teilte er mir das Offensichtliche mit.

Verlieb dich nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt