02 Prolog Josie

979 35 1
                                    

Vier Jahre zuvor

 Mein Herz raste und schlug mir bis zum Hals, als ich auf ihn zutrat.
Jetzt oder nie.
Ich war betrunken. Das erste Mal in meinem Leben. Ich hatte an einem Joint gezogen. Etwas, dass ich mir geschworen hatte, niemals zu tun.
Doch ich redete mir ein, dass das alles heute keine Rolle spielte. Es kaschierte den Schmerz, der sich in meiner Brust breitgemacht hatte, seit ich wusste, dass Lukas nach Amerika gehen würde.
Er bewegte sich keinen Millimeter, während ich mich vor ihm auf Zehenspitzen stellte. Der Rauch brannte in meiner Lunge. Ich presste die Lippen auf seine.
Er keuchte überrascht auf und ich stieß den Rauch aus, sodass er sich in unser beider Münder ausbreitete. Lukas schmeckte nach Rauch und Alkohol. Er erwiderte den Kuss so heftig, dass ich nach Luft schnappen musste. Einen Moment lang ignorierten wir beide, wie falsch das hier war, doch dann kam Lukas zur Vernunft und löste sich von mir.
„Josie", flüsterte er kopfschüttelnd und trat einen Schritt zurück. „Das geht nicht..."
Resigniert sah ich zu Boden.
„Ich weiß", flüsterte ich. „Aber ich musste es tun. Bevor ... Du weg bist." Tränen bildeten sich in meinen Augen und ich schluckte. Ganz toll, Josefine, dachte ich wütend. Jetzt weinte ich noch. So würde er mich in Erinnerung behalten. Die weinende kleine Schwester von Jan, die ihn erst küsste und dann heulte.
„Und, fühlst du dich jetzt besser?", fragte er. Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. Ich hatte keine Ahnung, was er dachte oder fühlte, und das machte mich wahnsinnig.
„Im Gegenteil", stieß ich hervor und drehte mich von ihm weg.
„Fuck, warte!" Er fluchte, während ich zurück in den Garten lief. „Josie!"
Er packte mich grob am Arm und zog mich wieder hinter das Haus. Ehe ich mich versah, presste er mich unsanft gegen das Holz der Verkleidung und die Lippen auf meine.

Meine Lippen fühlten sich geschwollen ein und mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich Emilia in der Küche fand. Sie war betrunken und unterhielt sich gerade mit Mark, den ich durch meinen Bruder kannte.
Noah – ein Freund meines Bruders, hatte mich gebeten, mich um Emilia zu kümmern. Soweit ich wusste, wohnte sie bei ihm. Ich hatte nur keine Ahnung wieso. Sie hatte mir versichert, dass sie nicht mit Noah schlief und er nur ihr bester Freund war. „Da bist du ja!", rief sie lallend. Ja, sie war wirklich betrunken. Ich musste Noah finden, damit er sie nach Hause bringen würde und hoffen, dass er nicht fragen würde, wieso ich nicht auf sie aufgepasst hatte, wie er mich gebeten hatte.

Die nächsten zwei Tage waren die Hölle. Mit jeder Sekunde, die verstrich, rückte Lukas Abflug näher und mein Herz schien zu zerspringen. Ich war unruhig und konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Er würde tatsächlich nicht mehr hier sein. Er würde aus meinem Leben verschwinden, wie ein Traum, an den man sich nach dem Aufstehen nicht mehr erinnern konnte. Doch ich würde mich erinnern können. An ihn und an den Kuss, der mir so viel mehr bedeutet hatte wie ihm.
Jan und ich fuhren ihn zum Flughafen, da sein Vater keine Zeit hatte. Mühsam unterdrückte ich die Tränen, als Jan die beiden Koffer aus dem Kofferraum auslud und Lukas seinen Rucksack schulterte. Wir warteten, bis er eingecheckt hatte und gingen zu dritt noch einmal nach draußen, wo Lukas eine rauchte und er und Jan sich ohne Worte still voneinander verabschiedeten. Ich konnte die beiden Jungs nicht verstehen. Sie waren aufgewachsen wie Brüder und nun würden sie sich auf unbestimmte Zeit nicht wiedersehen. Dennoch wirkten beide gefasst.
„Kleine", sagte Lukas und riss mich aus meinen Gedanken. Ich sah ihn an und hätte nichts lieber getan, als ihm einen Kuss auf den Mund zu drücken und ihn zu bitten zu bleiben. Doch weder zu dem einen, noch zu dem anderen hatte ich das Recht. Ich war nicht seine Freundin. Ich war auch nicht seine Schwester. Ich war niemand von Bedeutung für ihn und ich wusste, dass er mich genauso schnell vergessen würde wie den Kuss.
„Es wird Zeit", sagte er.
„Ich kann nicht", flüsterte ich so leise, dass nur er mich hören konnte.
Er drehte sich zu meinem Bruder um. „Jan, holst du mir eventuell noch schnell eine Cola?" Jan nickte. Er wusste, dass es mir schwerfiel, auch wenn er keinen blassen Schimmer hatte, wieso.
Kaum war Jan durch die Glastüren des Gebäudes verschwunden, zog Lukas mich in seine Arme.
„Ich weiß, Kleine", murmelte er an meiner Schläfe. „Es tut mir leid."
Ich schluckte und versuchte, nicht zu weinen. Ich wollte keine Szene machen.
„Das hätte nicht passieren dürfen", sagte er dann und ich wusste genau, dass er den Kuss meinte. „Es tut mir leid, dass ich das hier für dich noch schwerer gemacht habe."
Ich schluchzte leise an seiner Brust auf. Das war es mit meiner Selbstbeherrschung. Er bereute den Kuss.
Langsam löste er sich von mir und strich mir die Tränen mit dem Daumen aus dem Gesicht. „Pass auf dich auf. Und auf deinen Bruder. Mach keinen Unsinn. Wir sehen uns wieder." Er lächelte, drückte mir einen Kuss auf die Stirn und drehte sich um. Mit beiden Händen griff er nach den Koffern und zog sie hinter sich ins Gebäude, ohne sich noch einmal zu mir umzudrehen.

Verlieb dich nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt