20 Josie

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Es war bereits spät, als Lukas und ich den Club betraten.
Innen war es dunkel und es roch nach abgestandenem Alkohol und Schweiß.
„Da sind sie!", rief Lukas und führte mich auf einen Stehtisch direkt vor der Bühne zu, an dem Jan und Ellie standen.
Vor Ihnen stand ein Kranz Kölsch.
Ellie umarmte mich freudig. „Wow, du siehst hübsch aus!", sagte sie.
„Ach Quatsch." Ich winkte ab.
Die enge Jeans und das weite Oberteil standen mir nicht so gut, wie ich es mir gewünscht hätte. Ich sah mich im Club um und bemerkte, dass viele Leute hier waren, die ich aus der Uni kannte. Einige nickten oder lächelten mir zu. Lukas hatte mir auf dem Weg hierher versichert, dass ich Alkohol trinken konnte, und ich nahm mir ein Kölsch und prostete den anderen zu. „Lukas! Du bist zurück! Wie war es in Amerika?", hörte ich plötzlich eine samtweiche Stimme neben mir und fuhr herum.
Michelle, die ich noch aus der Schule kannte, gesellte sich an unseren Tisch und begrüßte Jan und Lukas, während sie uns Mädchen keines Blickes würdigte.
Ellie warf mir einen irritierten Blick zu, den ich mit einem Schulterzucken erwiderte.
Michelle trug ihre langen, blonden Haare zu einem Zopf zusammengebunden und eine Hot Pants, die nicht einmal das nötigste bedeckte.
Ihr bauchfreies Top hatte den tiefsten Ausschnitt, den ich je gesehen hatte. Ich war mir sicher, dass sie sich in der Uni normal kleidete, und kniff verwirrt die Augen zusammen.
„Darf ich?", fragte sie und ehe sie eine Antwort bekam, nahm sie sich ein Kölsch aus dem Kranz. Ich beobachtete von meiner Seite des runden Stehtisches aus, wie sie eine Hand auf Lukas Arm legte, sich vorbeugte und ihm irgendetwas zuflüsterte. Ich wand den Blick ab und konzentrierte mich auf die Bühne, die Martin in diesem Moment mit seiner Band betrat.
„Seid ihr gut drauf?", rief Martin ins Mikrofon und schüttelte dabei seine langen, blonden Haare hin und her, während die Menge die Band jubelnd begrüßte. Er schlug den ersten Akkord an und ich konnte beobachten, wie Michelle sich von Lukas abwandte. Zufrieden trank ich mein Kölsch aus und nahm mir ein neues. Ich betrachtete ihn dabei und stellte vermutlich nicht das erste Mal fest, wie attraktiv er war. Seine braunen Haare waren relativ kurz geschnitten und sein Bart frisch rasiert, sodass nur ein Bartschatten zu sehen war.
Seine Oberarme waren kräftig und allein die Vorstellung, was er mit diesen Muskeln alles anstellen könnte, jagte einen wohligen Schauer durch meinen Körper. Ich musste zugeben, dass Martins Band erstaunlich gut klang.Sie spielten ein paar bekannte Songs und die Menge schien die Band wirklich zu lieben. Ich bewegte mich ein wenig im Takt zur Musik und blendete Michelle und Lukas aus meinen Gedanken und meinem Sichtfeld aus, bis ich plötzlich spürte, wie sich jemand hinter mich drängte. Ich brauchte mich nicht einmal umzudrehen, um zu wissen, dass es Lukas war. Ich erkannte seinen Geruch und seine Berührung, als er seine Hand langsam meinen Rücken hinunterstreichen ließ.Ich atmete tief durch, als er seine Arme langsam um meine Hüften schlang, und sah mich vorsichtig um. Jeder könnte uns sehen und ich fragte mich, ob er jetzt völlig verrückt geworden war. Doch niemand achtete auf uns, weil alle so in Martins Auftritt vertieft waren. Ich drehte meinen Hals, um zu Lukas hochzusehen und seine blauen Augen, die ihre erstaunliche Farbe sogar in der Dunkelheit des Clubs behielten, fingen meinen Blick auf. Ich spürte, wie er begann, seine Finger sanft zu bewegen, und mich streichelte und widerstand dem Bedürfnis, mich gegen ihn zu lehnen. Selbst in der Dunkelheit des Clubs würde das von irgendjemandem bemerkt werden. Langsam schob ich meine Hände auf seine und hielt sie fest. Ich blendete alles um mich herum aus und konzentrierte mich nur auf seine Berührung und vertiefte mich völlig in die Musik. Lukas passte seine Bewegungen meinen an und eine Weile wippten wir zusammen mit. Während ich zur Bühne sah und Martin beobachtete, der bei diesem Auftritt wirklich alles zu geben schien, wurde mir die Intimität dieses Augenblicks bewusst. Wenn andere uns so sehen würden, würden sie vermutlich denken, wir wären ein Paar. Martin beendete das aktuelle Lied und schlug eines an, das wesentlich schneller war und die Leute um uns herum begannen sich mehr zu bewegen und tanzten. Lukas zog seine Hände langsam von meinen Hüften weg. Ich drehte mich zu ihm um und fing seinen vielsagenden Blick auf, ehe er sich umdrehte und wieder zurück an seinen Platz ging. Ich atmete tief durch und trank aus meinem Bierglas, während ich verstohlen zu Lukas hinübersah, der bereits wieder von Michelle in Beschlag genommen worden war. Michelle schien glücklich darüber, dass Lukas zurückgekommen war, denn nun griff sie nach seinen Händen und zog ihn ein Stück vom Tisch weg, um mit ihm zu tanzen.
„Gehen wir eine rauchen?", fragte Ellie mich eine gute halbe Stunde später, als Martin und die Band ihren Auftritt beendet hatten.
„Klar", antwortete ich und folgte ihr durch die Menge nach draußen. Der Club hatte einen eingezäunten Hinterhof, in dem es ebenfalls eine Bar gab. Oft war es so, dass sich die Menge nach den Auftritten nach draußen verteilte. Kaum waren wir vor dem Club angekommen, hörte ich plötzlich einen lauten Schrei und ehe ich mich versah, stürzte Lia in meine Arme.
„Josie!", rief sie freudestrahlend und ließ mich los. „Hi Ellie. Ich habe euch drinnen gesucht, aber nicht gefunden! Zum Glück habe ich Kira gefunden! Sagt mal, der eine von der Band gerade ist doch ein Freund von Jan, oder?"
Ich nickte Kira zu, die neben Lia stand.
„Ich gehe dann rein", sagte diese an Lia gewandt und sie nickte zustimmend. „Mensch, Josie – Du hast dich gar nicht mehr gemeldet."
Vorwurfsvoll sah Lia mich an.
„Tut mir leid." Ich zündete die Zigarette an. „Schon gut." Lia lachte. „Ich bin neugierig, wie läuft die Sache mit dem Sex-Experiment?"
„Spinnst du?", fragte ich entsetzt. „Du kannst das doch nicht hier in der Öffentlichkeit ansprechen!?"
„Nicht?", fragte sie und lachte. „Doch klar kann ich das. Du hast nur noch nicht genug getrunken, um darüber zu sprechen."
„Ich möchte auch nicht darüber sprechen", erwiderte ich. „Niemand macht solche Experimente."
Außer mir.
Und Lukas.
Aber das musste Lia nicht wissen.
„Ich hole uns was zu trinken, dann reden wir darüber."
Begeistert drehte Lia sich um. Ich verdrehte die Augen, während ich ihr nachsah und sah Ellie hilflos an.
„Rette mich", sagte ich flehend.
„Lia nimmt die Sache wirklich ernst, oder?", fragte Ellie lachend.
„Ernster, als sie sollte", seufzte ich. „Keine Ahnung wieso, aber scheinbar hat sie beschlossen, dass ich unbedingt einen Mann finden muss."
„Sie möchte einfach nicht, dass du unglücklich bist", antwortete Ellie und lächelte mild.
„Ich schätze, sie hat ein schlechtes Gewissen, dass sie ausgezogen ist. Auch wenn sie das nicht haben sollte. Nichts von allem ist ihre Schuld."
„Zurück zu diesem Sex-Experiment", sagte Ellie. „Also, dass du keinen Aushang in der Uni gemacht hast, ist mir klar, aber ich habe dich eben während des Auftritts mit Lukas gesehen..."
Überrascht sah ich sie an.
„Also ich denke mal, entweder ist es ein großer Zufall, oder du hast ihn doch gefragt?"
„Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst", antwortete ich und bedeutete ihr, dass Lia gerade zurückkam, in den Händen zwei Gläser Hugo, ein Wasser und zwei Kurze.
„Erst die Kurzen runter", befahl sie und reichte jedem von uns eine von den kleinen grünen Flaschen, die wir dann in einem Schluck leerten.
Sie selbst entschuldigte sich damit, dass sie noch fahren musste und nippte an ihrem Wasser.
„Was habe ich verpasst?", fragte Lia neugierig und sah uns beide an.
„Nichts", antwortete Ellie eilig.
„Okay, Josie. Wirst du mit Lukas schlafen?"
Ich verschluckte mich so heftig, dass ich keine Luft mehr bekam.
Lia schlug mir hilfsbereit auf den Rücken, während sie mich fragend ansah.
„Ich... ähm... Was?!"
„Du weißt schon!", sagte sie lachend. „Das Experiment? Dein Mitbewohner?"
„Auf keinen Fall", protestierte ich, während ich mir eine neue Zigarette anzündete, und es vermied, Lia anzusehen.
Sie würde wissen, dass ich lüge.
„Schade", sagte sie und sah mich prüfend an. „Er ist schon verdammt heiß. Eure Wohnsituation ist doch sehr einladend für ..."
„Nächtliche Aktivitäten", beendete Ellie den Satz und grinste mich an.
„Ja", stimmte ich zu. „Einmal hat er mir nachts oder eher gesagt morgens eine heiße Schokolade gemacht. Aber das ist vermutlich nicht die nächtliche Aktivität, die ihr beide euch vorstellt."
„Nicht wirklich", erwiderte Ellie. „War es denn lecker?"
„Oh ja...", antwortete ich. „Er war mit kleinen Marshmallows und ..."
„Hello Ladies."
Erschrocken fuhr ich herum.
Da war er, Lukas, mein Retter in der Not. Er stellte sich neben mich und berührte wie beiläufig meinen Oberarm, während er sich eine Zigarette anzündete.
„Ich wollte euch nicht unterbrechen."
„Hast du nicht", sagte ich schnell. „Ich habe nur von deiner leckeren heißen Schokolade erzählt."
„Oh yes, it's very delicious!"
„Ich melde mich auch für eine an."
Lia grinste. „Wenn Josie so begeistert ist, muss sie einfach lecker und verdammt heiß sein."
Ich hustete und räusperte mich.
„Ich werde rein gehen."
Ich drehte mich um und lief auf den Eingang zu.
„Josie, warte!" Lia griff nach meinem Arm. „Tut mir leid, wenn ich dich in Verlegenheit gebracht habe! Das wollte ich nicht!"
„Schon gut." Ich lächelte.
„Aber komm schon, er ist verdammt heiß und du kannst mir nicht erzählen, ihr wärt euch nicht näher gekommen! Ihr wohnt zusammen. Wie kannst du so kalt bleiben und kein Interesse an ihm haben?"
„Lia, echt", murmelte ich. „Ich habe absolut kein Interesse an ihm. Und auch nicht, daran ein Sex-Experiment durchzuführen, okay?"
Lia seufzte. „Okay, schon gut. Tut mir leid."
Ich unterdrückte das schlechte Gewissen, das in mir aufkam, weil ich meine beste Freundin belog, und eilig wechselte ich das Thema: „Wollen wir noch etwas trinken?"
„Oh ja, gerne."
Lia lief auf die Bar zu.
„Noah!", rief sie über den Lärm der Musik und die Stimmen der Clubbesucher hinweg. Noah, den ich das letzte Mal in Max Wohnung gesehen hatte, kam hinter der Bar auf uns zu.
Er arbeitete hier als Barkeeper.
„Lia, hi", begrüßte er sie. „Und Josie, hallo! Wie geht es dir? Alles in Ordnung? Ich muss mich bei dir entschuldigen."
Er seufzte. „Das ist alles super blöd gelaufen!"
Ich schüttelte den Kopf. „Ist schon in Ordnung, Noah. Du kannst nichts für das, was Max getan hat. Ich nehme einen Mai Tai, bitte."
„Oh, ich nehme einen Sex on the Beach!" Lia zwinkerte Noah zu und beugte sich über die Theke.
„Sehr gerne." Noah wandte sich von uns ab und begann die Cocktails zuzubereiten.
„Er ist heiß, oder?", raunte Lia mir zu. „Noah?"
Ich zuckte mit den Schultern. „Lass das nicht Mark hören."
„Mark ist nicht hier, oder?"
Sie grinste. „Gucken darf ich, nur nicht anfassen."
„Hier sind eure Cocktails."
Noah stellte sie vor uns auf der Theke ab. „Viel Spaß."

Verlieb dich nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt