42 Lukas

620 27 0
                                    

Fuck. Fuck. Fuck.
Ich war ein unglaublicher Idiot.
Eine Weile lang irrte ich durch die Straßen der Innenstadt.
Viele Leute waren unterwegs, lachten und grölten mit ihren Freunden.
Es war Samstagabend und alle genossen die Zeit und feierten.
Meine Hände zitterten und ich mehr als einmal fragte ich mich, ob ich zurückgehen sollte.
Ich konnte ihren Geschmack noch auf meinen Lippen schmecken und roch ihren Duft in meiner Nase. Ihre Frage hallte in meinen Ohren nach.
War es wirklich nur das zwischen uns? War es wirklich nur das Experiment?
Verdammt. Nein. Ich wollte schreien. Die letzte Woche war der absolute Horror für mich.
Ich hatte Mist gebaut, alles zwischen uns zerstört.
Sie ging mir aus dem Weg und das zurecht. Ich konnte nicht einmal wütend auf sie sein.
Umso wütender war ich auf mich. Wie hatte ich nur zulassen können, dass es zwischen uns so zu Ende ging?
Das Experiment war idiotisch gewesen. Eine Gelegenheit.
Ein wahnwitziger Plan.
Schon als sie mich fragte, hätte ich wissen müssen, dass es so enden würde.
Wir hatten drüber gelacht, als wir die Regeln für das Experiment festgelegt haben.
Niemand verliebt sich.
Eine einfache und klare Regel.
Ich werde mich niemals in dich verlieben, hatte sie gesagt.
Ich blieb stehen und musterte den Eingang der Bar, vor der ich stand.
Ich war noch nie hier gewesen.
Sie sah nicht aus, wie eine Studentenkneipe, was die Gefahr minimierte, dass ich jemanden treffen würde, den ich kannte.
Ich trat herein und setzte mich an die Bar. „Was darfs sein?", fragte der Barkeeper. Ich bestellte einen Whisky und trank ihn leer. Und noch einen. Hätte ich wissen müssen, dass ich nicht stark genug war, ihr zu widerstehen?
Hätte ich ahnen müssen, dass wir hier enden würden?
Ich widerstand dem Drang, sie anzurufen oder ihr zu schreiben.
Egal, was ich sagen würde, es würde nichts besser machen, ganz im Gegenteil.
Noch ein Whisky.
Danach stieg ich auf Wodka um.
Der Barkeeper sah mich mitleidig an, als er den zweiten zu mir rüber schob.
„Harter Tag?", fragte der Mann, der neben mir an der Bar saß.
Bei genauem Hinsehen erkannte ich, dass er nicht viel älter war als ich. Ich nickte stumm und stürzte die klare Flüssigkeit herunter.
Sie brannte in meiner Kehle. „Noch einen", sagte ich zum Barkeeper. Ich starrte das Display meines Handys an. Der Screensaver war ein Foto von Josie, Jan und mir.
Das Foto war bestimmt schon sieben Jahre alt. Josie sah anders aus als heute. Damals war sie noch Jans kleine Schwester mit den Zöpfen gewesen. Ich hatte das Bild im Flugzeug nach Connecticut als Screensaver eingestellt und bereut, dass es kein aktuelleres Bild mit ihr gab.
Und das gab es immer noch nicht.
Wir waren kein Paar, also gab es auch keine Pärchen-Bilder.
Ich bereute es, nie mein Handy gezückt zu haben, wenn wir zusammen waren.
Dann hätte ich wenigstens ein Foto, dass mir beweisen würde, dass ich mir das zwischen uns nicht eingebildet hatte.
Ich bestellte noch einen Wodka.
Der Barkeeper beäugte mich kritisch, so als wollte er abschätzen, ob er mir gefahrlos noch einen geben könnte.
Ich hatte nicht vor, Ärger zu machen. „Trennung?", fragte der Mann neben mir. Ich zuckte mit den Schultern.
„Irgendwie schon", antwortete ich. „Aber so einfach ist das nicht."
„Ist es irgendwann mal einfach mit den Frauen?" Ich schüttelte den Kopf. „Ich denke nicht."
„Hast du es vergeigt oder sie?", fragte er. Ich seufzte resigniert. „Ich."
„Scheiße."
„Hm." Ich stürzte den Wodka herunter. „Ich bin ein Idiot."
„Vielleicht ist es noch nicht zu spät."
Er sah mich aufmunternd an. „Zeig ihr, dass du sie magst. Frauen stehen auf so romantisches Zeug. Kauf ihr Blumen und entschuldige dich. Irgendeine große Geste." Ich schüttelte stumm den Kopf.
„Wir haben keine Chance."
„Wieso nicht?"
Ich starrte ihn an.
Ja, wieso eigentlich nicht? Ich könnte mich bei ihr entschuldigen. Ich könnte ihr erklären, was mit mir los war. Ihr sagen, dass ich sie mehr mochte, als ich mir eingestehen wollte.
Und sie könnte mir eventuell verzeihen. Wenn ich es richtig anstellte, würde sie mir vielleicht verzeihen.
„Du hast Recht", sagte ich. „Wieso nicht?" Der Barkeeper schob mir eine Cola rüber. „Die hab ich nicht bestellt."
„Geht aufs Haus", sagte er. „Wenn du deine Frau zurück willst, kannst du nicht betrunken da auftauchen."
Meine Frau. Das klang schön. In meinen Gedanken verfestigte sich die Idee. Ich würde nach Hause gehen und mit Josie reden. Und alles zwischen uns wieder geradebiegen.
Doch gerade, als ich bezahlen wollte, wurde mir klar, dass es so einfach nicht werden würde.
Vorher würde ich mit Jan sprechen müssen.
Wenn ich seinen Segen hätte, würde Josie mir vielleicht glauben und verzeihen.
Ich sah den Mann neben mir an.
„Wie erkläre ich meinem besten Freund, dass ich mit seiner Schwester schlafe?", fragte ich gerade heraus.
Er weitete die Augen.
„Oh fuck, alter", stieß er aus.
„Da hast du dich aber echt in eine beschissene Situation gebracht."
„Ja, tatsächlich", brummte ich.
Ich holte mein Handy erneut hervor, tippte die Anrufliste an und klickte auf Jans Namen.
Es dauerte nur zwanzig Minuten, bis Jan die Bar betrat.
Ich winkte ihm zu und bestellte noch einmal zwei Wodka vom Barkeeper.
Der Mann, der neben mir gesessen hatte, war seit zehn Minuten weg.
Jan setzte sich neben mich und musterte mich.
„Du siehst scheiße aus", stellte er fest. Ich nickte.
„So fühle ich mich auch", gab ich zu.
Ich schob ihm einen Wodka rüber.
„Trink den."
„Ich bin mit dem Auto hier", sagte er. „Damit ich dich nach Hause bringen kann. Was ist passiert? Du klangst gar nicht gut am Telefon."
Ich seufzte und deutete auf das Glas. „Bitte trink den. Wir müssen über etwas sprechen."
„Was Schlimmes?", fragte er und nahm das Glas in die Hand.
Ich zuckte mit den Schultern. „Wie man es nimmt."
Jan atmete tief aus. „Komm schon. Als du das das letzte Mal zu mir gesagt hast, hast du mir mitgeteilt, dass du nach Connecticut ziehst."
„Trink ihn einfach, okay?"
Gemeinsam kippten wir die Gläser herunter.
Ich schob dem Barkeeper meine EC-Karte rüber und bezahlte.
Ich würde es Jan lieber draußen sagen, weil ich nicht wusste, wie er reagieren würde. „Lass uns ein Stück gehen", sagte ich und er folgte mir aus der Bar hinaus.
„Jetzt rück schon raus mit der Sprache", sagte er.
„Ist was passiert? Warst du wieder bei deiner Mom?"
Ich schüttelte den Kopf. „Hör zu. Du bist mein bester Freund." Ich schluckte. „Und ich würde niemals etwas tun, um dir weh zu tun."
„Du klingst wie Ellie manchmal." Er lachte. Ich zündete mir nervös eine Zigarette an. Was ich gleich sagen würde, könnte unsere Freundschaft für immer zerstören.
Aber es war Zeit. Jan musste die Wahrheit erfahren. Und ich konnte es ihm nicht länger verschweigen.
Wir bogen in eine ruhige Seitenstraße ab. „Als ich nach Connecticut gegangen bin", sagte ich. „war das Schlimmste zu wissen, dass es sein könnte, dass wir beide uns nie wieder sehen."
Jan blieb stehen und sah mich fragend an. Ich wusste, dass er sich fragte, wieso ich das jetzt sagte. „Du warst immer für mich da, vom ersten Moment an. Wenn mein Dad ... na ja. Wenn ich nicht wusste wohin, konnte ich zu dir kommen. Du hast mir zugehört und mein Geheimnis bewahrt. Und das tust du immer noch. Und ich kann nicht weiterhin damit leben Geheimnisse vor dir zu haben."
Ich zog an meiner Zigarette und atmete tief durch. „Also. Als ich nach Connecticut gegangen bin, war das Schlimmste zu wissen, dass es sein könnte, dass wir beide uns nie wieder sehen."
„Das hast du schon gesagt."
Jan musterte mich aufmerksam. „Wie viel hast du getrunken?"
„Hör mir zu." Ich seufzte. „Aber gleichzeitig habe ich gedacht, vielleicht wäre es auch besser, wenn wir uns nicht wieder sehen, weil ..."
„Wird das ein Liebesgeständnis?"
Jan lachte leise.
„Sowas in der Art", gab ich zu.
Jan wurde blass. „Oh je, Lukas, du weißt du ... Äh ... Ich ... Ellie ..."
Ich lachte laut auf, als ich verstand, was Jan dachte.
„Oh Gott, nein!"
Jan atmete erleichtert aus. „Puh, ich dachte schon. Also nicht, dass ich was dagegen hätte, wenn du ... äh ... auf Männer stehst, aber ich ..."
„Jetzt halt doch bitte einmal die Klappe und hör mir zu."
Ich atmete erneut tief durch. „Ich dachte, es wäre besser, wenn wir uns nicht wiedersehen, weil auf meiner Abschiedsfeier damals etwas passiert ist." Jan sah mich aufmerksam an und ich nahm all meinen Mut zusammen: „Ich habe Josie geküsst. Oder na ja, sie hat mich geküsst." Jan presste die Lippen aufeinander.
„Ich weiß", sagte er dann zu meiner Überraschung.
„Was?!"
„Ich habe euch gesehen damals. Im Garten."
„Und du hast nie was gesagt?"
Jan zuckte mit den Schultern. „Wieso denn? Du bist weggegangen."
„Aber ..."
„Du hast ihr das Herz gebrochen. Aber du warst weg."
„Also fandest du es nicht so schlimm?", fragte ich hoffnungsvoll.
„Ich dachte nicht, dass es je wieder eine Rolle spielt", antwortete er. „Und ich verstehe auch nicht so richtig, wieso du mir das jetzt erzählst."
„Ich sage dir das jetzt, weil das noch nicht alles war."
Jan atmete frustriert aus. „Das habe ich mir gedacht. Überleg dir gut, was du jetzt sagst, Lukas."
Ich wusste genau, was er mir damit sagen wollte.
Er wusste bereits, was ich sagen wollte.
Er wusste Bescheid.
„Hab ich ... deinen Segen?", fragte ich leise. Ich sah den Schlag nicht kommen und taumelte zurück, als Jans Faust meine Lippe traf.
Ich schmeckte das Blut und keuchte schockiert auf.
„Das musste sein", sagte er. „Also, meinen Segen hast du nicht. Aber den brauchst du auch nicht, oder? Du brauchst ihren."
„Ich krieg sie einfach nicht aus meinem Kopf", gab ich zu. „Ich habe keine Ahnung, was ich ohne sie tun soll."
Jan verzog den Mund. „Wie lange schlaft ihr schon miteinander?"
„Ein paar Wochen", antwortete ich ausweichend. „Aber ich habs verkackt. So richtig."
„Dafür sollte ich dich nochmal schlagen." Jan schüttelte den Kopf. „Aber ich habe mir schon gedacht, dass du es verkackt hast. Sonst hättest du es mir nicht gesagt, oder? Komm, ich bring dich nach Hause. Wenn du ihr weh tust, breche ich dir die Nase." Dankbar lächelte ich ihn an und umarmte ihn.
„Danke."
„Dank mir nicht zu früh."

Verlieb dich nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt