05 Josie

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Lia tanzte ausgelassen mit ein paar anderen auf der Terrasse, als ich sie fand. Jemand, der sicherlich nicht ihr Freund Mark war, hielt sie an den Hüften und bewegte sich hinter ihr im Takt der Musik. Ich drängte mich an ein paar Leuten vorbei und lief auf sie zu.
„Josie!", rief sie begeistert, als sie mich sah. „Komm her und tanz mit uns!"
Unweigerlich fragte ich mich, wie viel sie bereits getrunken hatte, doch da wir erst vor ungefähr zwanzig Minuten hier angekommen waren, verwarf ich den Gedanken wieder. Sie war einfach Lia. Ich erkannte, dass es sich bei dem Jungen hinter ihr um Noah handelte. Ihren besten Freund und Mitbewohner von Max.
„Noah ist auch hier!", rief sie überschwänglich. „Ich wusste nicht mal, dass Jan und er sich so gut kennen."
„Basketball, oder?", fragte ich ihn und umarmte ihn kurz. Noah war Max Mitbewohner und Lias bester Freund.
„Genau. Lia hört mir sowieso nie zu." Noah seufzte. „Ich habe ihr an die hundert Mal gesagt, dass ich mit deinem Bruder zusammen spiele."
„Ach – unwichtige Details!" Lia lachte. „Bei den wichtigen Dingen höre ich dir doch zu!"
Sie griff nach meinen Händen und begann sich erneut im Takt der Musik zu bewegen. Ich versuchte, es ihr gleich zu tun, doch mein Körper bewegte sich einfach nicht so grazil wie ihrer. Ich sah lächerlich aus, wenn ich tanzte und das wusste ich. Ich wünschte wirklich, Max wäre hier. Dann könnte ich mich mit ihm irgendwo unter die Leute mischen. Max hatte ein Talent dafür, sich problemlos mit Fremden zu unterhalten. Wenn er dabei war, fühlte ich mich zugehörig und konnte einfach zuhören, ohne groß selbst reden zu müssen.
„Ich denke, wir müssen noch was trinken", sagte Lia an Noah gewandt und zwinkerte mir zu. Nach den drei Jahren, die wir uns kannten und zusammen gelebt hatten, konnte ich jedes einzelne Gefühl anhand ihrer Stimme, Mimik oder Gestik bestimmen. Manchmal fand ich es unheimlich, wie gut wir uns ohne Worte verstanden und wünschte mir, wir hätten uns schon früher gefunden.
„Ich hol schon was." Noah drehte sich von uns weg und Lia beugte sich verschwörerisch zu mir vor.
„Jetzt sag schon", raunte sie. „Was lief zwischen dir und Mr. Hot-America?"
„Was?" Verwirrt lachte ich auf. Mein Herz zog sich zusammen. Sie konnte nichts von Lukas wissen. Nie, nicht einmal, hatte ich ihn ihr gegenüber erwähnt!
„Mr. Hot-America und du?" Sie kniff die Augen zusammen.
„Komm schon, da lief doch mal was!"
„Hör auf ihn so zu nennen", sagte ich eindringlich. „Das bekommt jemand mit und versteht dich falsch und auf einmal sind hier wieder Gerüchte im Umlauf, die du nicht mehr aufhalten kannst. Weißt du noch, dass dir und Jan eine Affäre angehängt wurde, weil du ihn immer Schatz nennst?"
Lia räusperte sich. „Oh sicher, daran erinnere ich mich. Also ... Was war nun mit Mr. Not-Hot-America?"
„Lia!"
Sie seufzte. „Mr. America ist aber okay, oder?"
„Wenns sein muss. Kannst du nicht einfach seinen Namen benutzen?"
„Nein." Sie grinste. „Also...?"
Ich verdrehte die Augen. „Ja ok, nenn ihn Mr. America."
„Und was lief da nun?" Sie kicherte. „Ich weiß eh schon Bescheid, du kannst es nicht abstreiten! Du und Mr. America hatten was am Laufen."
„Nein, hatten wir nicht. Du weißt alles über mein Liebesleben, Lia!"
„Och komm schon, Josie. Er ist verdammt heiß. Und irgendwas war da, als er dich angesehen hat."
„Das ist Schwachsinn! Und ich will jetzt auch nicht über mein Liebesleben reden."
„Ich will darüber aber alles wissen!" Lia lachte.
„Ich aber nicht und das sollte auch so bleiben", ertönte Noahs Stimme hinter uns. „Zweimal Wodka-O für euch."
Er drückte mir einen Becher in die Hand und gab den anderen Lia.
„Prost!" Noah hatte eindeutig zu wenig Orangensaft und viel zu viel Wodka in den Becher getan. Erneut spürte ich mein Handy in meiner Hosentasche vibrieren, doch ignorierte es.
Von Max wollte ich gerade nichts hören. Wenn ich ihm nicht antwortete, würde er schon wissen, dass ich sauer auf ihn war. Er wusste sehr genau, dass mir Jans Geburtstag wichtig war und ich ihn gerne dabei gehabt hätte.
„Wo bleibt eigentlich Max?", fragte Lia, als ob sie meine Gedanken lesen könnte.
„Er kommt gar nicht", seufzte ich. „Muss länger arbeiten."
Sie schnaubte. „Wie immer also."
„Er ...", begann ich ihn zu verteidigen, doch Lias Blick brachte mich zum Schweigen. Sie hatte Recht. Es gab keine Entschuldigung. Nicht heute.

Ellie hatte es mit Jan wirklich zu gut gemeint. Als sie sich sicher war, dass zumindest fast alle seine Freunde, Teamkameraden und Kommilitonen auf der Party waren, hielt sie eine kurze Rede auf ihn. Als sie begann zu reden, wettete ich mit Lia, wie kitschig es werden würde und wie sehr sie Jan blamieren würde, doch am Ende mussten wir beide zugeben, dass Ellie eine wunderschöne Rede vorbereitet hatte. Sie zeigte Jan so unglaublich viel Wertschätzung und Liebe, dass ich mir einen Augenblick wünschte, auch so jemanden zu finden. Dabei hatte ich doch Max, schalt ich mich, der mich selbstverständlich genauso liebte! Max und ich waren uns vor fast drei Jahren in der Cafeteria der Universität zufällig begegnet, als ich über seinen Rucksack stolperte und prompt meinen Kaffeebecher auf seinen Unterlagen ausleerte. Statt mich vor allen Kommilitonen anzubrüllen, nahm der junge Mann, mit den zerzausten blonden Haaren, den Collegeblock, stand auf und warf ihn in den Mülleimer. Danach sah er mich ernst an und erklärte mir, dass es meine Schuld sei, wenn er in Rechnungswesen durchfallen würde. Er hatte Glück, denn schnell stellte sich heraus, dass ich denselben Kurs belegt hatte und ich ihm meine Unterlagen geben konnte. Zwei Monate gemeinsames Lernen führten dann zu einem Kuss vor meiner Wohnungstür, als er mich nach Hause brachte und dieser Kuss, sorgte dafür, dass wir ein Paar wurden. Doch das war bereits mehr als drei Jahre her und Max hatte sich verändert. Du dich doch auch!, ermahnte ich mich selbst, doch dann schob ich die Gedanken an Max und unsere Beziehung eilig beiseite. Das war heute Abend nicht wichtig.
Ellie überreichte Jan ihr Geschenk und genau wie alle anderen beobachtete ich ihn neugierig, während er den unscheinbaren Briefumschlag öffnete. Er umarmte seine Freundin überschwänglich und verkündete, dass sie ihm einen Trip nach New York geschenkt hatte. „Bestimmt hat ihr Vater das finanziert", murmelte Lia neben mir. Sie hatte vermutlich Recht, denn Ellies Eltern finanzierten ihr beinahe alles. Wohnung, Auto, Studium ... Ellie war einer dieser Menschen, die all dies ohne eigene Anstrengungen bezahlt bekamen. Doch wer dieses Geschenk bezahlt hatte, war im Grunde vollkommen egal, denn Jan strahlte über beide Ohren und schien nicht glauben zu können, dass Ellie ihm einen Kindheitstraum erfüllte.
„Und wenn", erwiderte ich, „Ist doch egal. Die Hauptsache ist Jan freut sich."
Jan eröffnete das Buffet und der Großteil seiner Gäste lief sofort in die Wohnung, um sich zu bedienen.
„Ich hab einen Bärenhunger!", rief Lia und lief zusammen mit Noah rein, als ich ablehnte. Ich hatte absolut keinen Appetit.
„Josie, hast du kurz eine Sekunde?", fragte Jan und erschrocken drehte ich mich zu ihm um. Ich hatte ihn gar nicht bemerkt.
„Lukas und ich wollen kurz mit dir reden."
Jan und Lukas sahen mich beide ernst an, während ich mir eine Zigarette anzündete. Wir waren ein bisschen weiter in den Garten hinein gegangen, um ungestört zu sein. Meine Hände zitterten leicht und immer wieder hob ich den Blick, um Lukas unauffällig anzusehen. Ich konnte immer noch nicht so ganz glauben, dass er hier war.
„Ihr macht mir Angst", sagte ich schließlich, weil keiner von den beiden einen Ton sagte. „Ist etwas passiert?"
„Also", begann Jan, doch Lukas unterbrach ihn: „Passiert ist nichts, keine Sorge. Ich bin wieder da. Also, ich meine, nicht zu Besuch, sondern richtig zurück. Ich hätte das eben sofort sagen sollen, aber ..."
Ich sah ihn verwundert an, während ich versuchte, zu verstehen, was das bedeutete.
„Aber ... dein Studium ist doch noch gar nicht beendet?"
Lukas seufzte. „Na ja, in Amerika ist das alles nicht ganz so easy. Man braucht Geld, für die Tuition Fees."
„Das ist mir schon klar", erwiderte ich. „Aber, deine Eltern ..."
„... haben sich getrennt, nachdem sein Vater wegen Steuerhinterziehung verklagt wurde und wollen nicht mehr bezahlen. Deshalb konnte er nicht länger in Connecticut bleiben", erklärte Jan. Überrascht sah ich Lukas an. Niemals hätte ich damit gerechnet, dass seine Eltern sich trennen würden oder das sein Vater eine Straftat begehen würde. Die Claßens waren für mich wie meine eigene Familie gewesen, bis Jan und ich mit unseren Eltern weggezogen waren. Janet hatte mich und Jan von der Schule abgeholt, wenn meine Mutter arbeiten musste, und John hatte mit uns die Hausaufgaben erledigt. Als mein Vater an einen anderen Firmenstandort versetzt wurde, hatte es mir sehr zu schaffen gemacht, dass ich Janet und John nicht mehr jeden Tag sehen würde, und ich hatte sie gerade in der Anfangszeit stark vermisst.
„Das tut mir wirklich leid", sagte ich.
„Schon gut." Lukas lächelte. „So schlimm ist es auch nicht. Ich kann den Master einfach hier an der Uni beenden." Auch wenn er etwas anderes sagte, konnte ich sehen, dass es ihm wehtat, darüber zu sprechen. Ich wollte ihn fragen, was passiert war und wie es seinem kleinen Bruder Robin damit ging, doch ich wusste, es war nicht der richtige Ort und Zeitpunkt dafür.
„Also ... Wo wohnst du jetzt?", fragte ich statt den Fragen, die mir auf den Lippen lagen.
„Im Moment bei mir", antwortete Jan. „Aber-"
„Das ist doch viel zu klein!", rief ich aus und stellte mir entsetzt vor, wie die beiden sich Jans Einzimmerwohnung teilten. Auch wenn die Vorstellung mich amüsierte, war sie wahrhaft keine dauerhafte Lösung. Lukas seufzte.
„Besser, als ein Studentenwohnheim. Wobei, selbst da hatten sie keine Plätze mehr frei."
Jan sah mich auffordernd an. Ich erwiderte den Blick irritiert.

Verlieb dich nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt