08 Lukas

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Der schrille Ton der Klingel riss mich aus dem Schlaf und stöhnend richtete ich mich auf. Mein Gott, Jan bestellte wirklich wahnsinnig viel Zeug im Internet. Wenn das schon wieder derselbe Paketbote wie gestern Morgen war, würde ich Jan umbringen.
Ich schleppte mich zur Tür und öffnete sie.„Was machst du denn hier?", fragte ich sie verschlafen.
„Ich ... äh." Ich bemerkte, wie sie meinen nackten Oberkörper anstarrte, ehe sie verlegen den Blick abwandte, und konnte nicht anders, als zu grinsen.
„Hast du schon Sehnsucht nach mir?", fragte ich anzüglich. „Hab ich dich geweckt?", erwiderte sie eilig und sah an mir vorbei in die Wohnung. „Ist Jan da?"
Ich lachte. „Ich könnte den ganzen Tag schlafen", gab ich zu. „Also ja, du hast mich geweckt, aber das macht nichts. Jan ist nicht da, glaube ich. Ich glaube, er hat bei Ellie geschlafen. Hab mir ein Taxi genommen."
„Oh, äh ...", stammelte sie. „Dann ... es tut mir leid, dass ich dich geweckt habe. Ich werde einfach wieder ..."
„Willst du reinkommen?", fragte ich schnell. Sie konnte jetzt nicht einfach wieder gehen. Ich wollte, dass sie blieb. „Ich ... äh ... rufe Jan an. Und ... Coffee?" Verdammt, ich war wirklich müde. Mein Blick fiel auf den Becher in ihrer Hand.
„Great idea", sagte ich schnell.
„Ich hätte wohl was mitbringen sollen."
Ich gähnte. „Komm rein."
Sie folgte mir, als ich die Tür weiter aufstieß. Ich griff nach einem T-Shirt, das auf dem Boden neben der Matratze auf der ich schlief lag und zog es sich an, dann drehte ich mich zu ihr um. Mein Blick blieb an meinen Augen hängen und ich kniff die Augenbrauen zusammen.
Im Licht der Wohnung konnte ich sehen, dass ihre Wangen und Augen gerötet waren. „Alles in Ordnung?", fragte ich. „Hast du geweint?"
Sie wandte den Blick von mir ab. „Nein", antwortete sie. „Alles in Ordnung."
„Wenn du das sagst." Wissend, dass sie mich anlog, zuckte ich mit den Schultern und lief in die kleine Küche. Ich betätigte die Kaffeemaschine und stellte eine Tasse darunter. „Der Kaffee hier schmeckt viel besser", sagte ich, hauptsächlich, um überhaupt etwas zu sagen. „I wonder why I've been drinking that disgusting brew they call coffee in the US! Wobei, auf dem Campus war ein Starbucks."
Sie lächelte sanft.
„Lachst du über mich?", fragte ich sie grinsend und trat einen Schritt auf sie zu.
„Nein", sagte sie schnell und biss sich verlegen auf die Unterlippe. „Es ... ist ... faszinierend."
„Was?"„Du. Du hast dich verändert."
Ich zuckte mit den Schultern. „Du dich auch. Wo ist das kleine Mädchen mit den Zöpfen hin?"
„Idiot!" Sie lachte. Ich hatte es geschafft. Ich hatte sie zum Lachen gebracht.
„Das ist definitiv länger als vier Jahre her!"
„I know." Ich lachte leise. „Vor vier Jahren ... warst du nicht mehr das kleine Mädchen mit den Zöpfen." Ich drehte mich von ihr weg, während ich an den Kuss auf meiner Abschiedsparty dachte. Fuck, nein. Sie war damals kein Kind mehr und jetzt erst Recht nicht mehr.
„I will ... Ich rufe Jan an", sagte ich. „Du willst bestimmt nicht unnötig lang hier bleiben..." Ich räusperte mich und sah mich suchend um. „Wo hab ich nur wieder das verdammte Ding hingetan ...?"
Ich fand mein Smartphone auf dem Küchentisch. Während ich telefonierte, setzte sie sich auf das Schlafsofa und trank den vermutlich inzwischen kalten Kaffee aus dem Becher.
„Jan ist in fünfzehn Minuten hier", erklärte ich ihr, nachdem ich aufgelegt hatte. „Ellie und er kommen erst hier hin und später fahren wir rüber und räumen den Rest auf."
Sie nickte stumm. „Wie ist Ellie so?", fragte ich sie dann unvermittelt.
„Wie meinst du das?"
„Na ja, ist sie ..." Ich suchte nach dem richtigen Wort. „Lovely?"
Es war frustrierend. Mein Gehirn schien sich so an das Englisch gewöhnt zu haben, dass mir die Worte in meiner zweiten Muttersprache einfach nicht mehr einfielen.
„Nein. Ich meine, ist sie ... the right one?"
„Ich ... äh. Also, Ellie ist sehr nett. Sehr ... keine Ahnung, wie ich sie beschreiben soll." Josie holte tief Luft. „Ich dachte erst, sie wäre so eine kleine verwöhnte Schnepfe. Privatschulen ... Privatuni, selbstverständlich. Ihr Vater hat Geld ohne Ende und finanziert ihr einfach alles. Sie musste noch nie arbeiten. Sie kann manchmal ein wenig eingebildet sein, aber-"
„Sie ist also so eine." Ich lachte leise. Ich kannte genug Mädchen, die so aufgewachsen wie Ellie scheinbar. Das blieb nicht aus, wenn man selbst in höheren Kreisen aufwuchs. Doch im Gegensatz zu den meisten anderen, wollte ich schon immer unabhängig vom Geld meiner Eltern sein. Während des Studiums hatten sie mich großzügig unterstützt, bis alles eingekracht war wie ein Kartenhaus, weil mein Vater uns alle belogen und betrogen hatte. Ich wünschte mir nichts mehr, als das er sich für seine Taten verantworten müssen würde und ich nie wieder etwas von ihm hören würde. Das Geld, dass er mir zusätzlich zu den Gebühren für die Universität geschickt hatte, hatte ich auf einem Sparkonto angelegt. Es würde mir nun helfen, den Neuanfang in Köln zu wagen und mir den Sprung in die Selbstständigkeit ermöglichen. Und dann würde ich hoffentlich auch nie wieder etwas mit den verwöhnten Schnepfen der High Society zu tun haben.
„Nein", wehrte Josie eilig ab. „Ellie ist eben nicht so eine. Sie ist total nett, interessiert sich für andere. Sie ... macht viel neben der Uni und engagiert sich für soziale Projekte, hauptsächlich Kinder aus Kinderheimen. Sie ist ein Engel. Sie liebt Jan. Und sie tut ihm gut."
„Er erzählt nicht viel", gab ich zu. „Also, wenn wir geschrieben haben, hat er zwar erzählt, dass er eine Freundin hat, aber nie wirklich mehr."
Josie zuckte mit den Schultern. „Jetzt bist du ja hier und glaub mir, du wirst Ellie lieben!"
Ich lachte leise. „Besser nicht, dann bringt Jan mich noch um. Und wo soll ich dann wohnen?" Ich stand auf. Ihr Blick verfolgte mich, während ich mit dem Kaffee in der Hand die Balkontür öffnete und hinaustrat. Kurz schien sie zu zögern, dann folgte sie mir. Ich hielt ihr meine Zigarettenpackung hin. Ich zündete mir eine Zigarette an und legte den Kopf schief, während ich sie nachdenklich ansah. Sie wirkte so traurig.
„Willst du mir jetzt verraten, was los ist? Warum du geweint hast?"
„Nein." Sie seufzte. „Warum nicht?"
„Wieso sollte ich? Ich ... Du ... Wir sind doch keine Freunde."
Ich schnaubte leise. „Nein sind wir nicht mehr", stimmte ich ihr schließlich zu. „Aber mit wem willst du sonst reden? Gerade bin doch nur ich hier."
„Deshalb muss ich trotzdem nicht gleich meine gesamte Gefühlswelt vor dir ausbreiten!"
„Sollst du ja auch gar nicht! Du sollst mir nur erzählen, warum du geweint hast."
Sie biss sich nachdenklich auf die Lippe. Gott verdammt, sah das sexy aus. Ich drehte den Blick von ihr ab und sah unten auf der Straße Ellies Auto parken.
„Oh, lucky you", sagte ich. „Da kommen Jan und Ellie."
Ich drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. „But you can tell me later."
Ich trat durch die halbgeöffnete Balkontür ins Innere und sah, wie Josie sich über die Balkonbrüstung beugte.Die Leggins, die sie trug betonte ihren Hintern. Ich stieß ein leises Stöhnen aus und drehte mich schnell von ihr weg. Fuck.
„Was machst du hier?", fragte Jan Josie, als er mit Ellie die Wohnung betrat.
Josie seufzte leise und sah ihn resigniert an. „Okay, sag schon." Er sah sie enttäuscht an. Irgendwas ging zwischen den Geschwistern vor, was ich nicht verstand.
„Es tut mir leid, Jan!", stieß Josie hervor. „Es geht einfach nicht. Ich habe es versucht, aber ... Tut mir leid." Sie seufzte und trat unbehaglich einen Schritt zurück.
„Was hat er gesagt?" Jan schnaubte. „Und erzähl mir nicht, Maximilian hätte damit nichts zu tun!"
Maximilian. Ihr Freund. Deshalb hatte sie geweint. Wegen ihm. Wut gegen den mir unbekannten Mann wallte in mir auf. Was hatte er ihr getan?
„Ich ... Er ... Es geht einfach nicht ... Das müsst ihr verstehen." Sie ballte die Hand zur Faust.
„Du findest bestimmt etwas anderes."
Ich brauchte einen Augenblick, bis ich verstand, dass sie mit mir sprach.
„Es tut mir wirklich leid."
„What? Was ist los?" Irritiert sah ich erst sie, dann Jan an.
„Du kannst nicht bei ihr einziehen." Jan wandte frustriert den Blick von seiner Schwester ab. Fuck. Das war nicht gut. Ich unterdrückte meinen eigenen Frust. Dann würde ich eben noch ein paar Wochen auf Jans Matratze schlafen.
„Es tut mir wirklich leid", murmelte sie kaum vernehmbar.
„Gott, ich dachte wir hätten das gestern geklärt." Jan ging mit langsamen Schritten zum Fenster. „Für mich machte es gestern Abend den Eindruck, dass es für dich in Ordnung wäre."
Jan war wütend auf sie. Auf der einen Seite konnte ich verstehen, dass es ihn frustrierte, aber es war mein Problem, nicht seins.
Es gab keinen Grund, Josie so anzublaffen.
„Ist schon gut", sagte ich und lächelte Josie aufmunternd an. Es war nicht ihre Schuld. „Es war bloß eine Idee. Wenn sie nicht möchte, finde ich bestimmt was anderes, Jan."
„Maximilian hat das entschieden, nicht sie." Jan drehte sich zu mir um. „Daran kannst du dich gewöhnen, jetzt wo du zurück bist. Sie macht immer das, was ihr ach so toller Freund von ihr verlangt!"
Josie biss sich auf die Unterlippe, stieß einen wimmernden Laut aus, und drehte das Gesicht von Jan weg. Schnell wischte sie sich mit dem Handrücken über die Augen. Super, jetzt weinte sie. Ich fühlte mich schuldig. Mein plötzliches Auftauchen hatte sie in diese Lage gebracht.
„Es ist doch völlig legitim, wenn sie es nicht möchte.", sagte ich sanft. „Das muss ich akzeptieren. Und du auch."
„Gib wenigstens zu, dass es an Maximilian liegt, Josie." Jan sah sie wütend an. „Einmal. Sag es."
„Besser, ich gehe jetzt", murmelte sie und vermied es dabei einen von uns anzusehen. Ellie saß auf dem Sofa und warf ihr einen mitfühlenden Blick zu.
„Oh ja." Jan schüttelte den Kopf. „Hau wieder ab, das kannst du ja am besten. Wenn du dich so entschieden hast, kannst du wenigstens dazu stehen und uns ganz kurz erklären wieso."
„Jan." Ellies Stimme hatte einen warnenden Klang angenommen. „Mach es nicht noch schlimmer."
Josies Unterlippe zitterte und eine Träne rann über ihre Wange herunter. Eilig durchquerte sie das Wohnzimmer, nahm ihre Handtasche und lief zur Tür. Ich lief ihr nach. Ihre Hand lag auf der Klinke, als ich meine über sie legte. Erschrocken sah sie mich an.
„It's okay, really", sagte ich sanft. „Es ist alles in Ordnung. Ich finde schon was anderes. Und Jan wird sich beruhigen, glaub mir. Er nimmt das viel zu persönlich. Never mind."
„Ich ... Danke." Ich drückte ihre Hand ganz leicht, dann öffnete ich ihr die Tür. Als sie die Treppen herunterlief, hörte ich sie schluchzen und mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Gerne wäre ich ihr nachgelaufen und hätte sie getröstet, aber ich wusste, dass mir das nicht zustand. Ich drehte mich wieder zu Jan um und sah ihn verärgert an.
„What was that about?"
„Was denn?", fragte er, die Hände zu Fäusten geballt.
„Well, that with Josie! Your behavior! Wir haben Josie um etwas gebeten, sie hat entschieden. Ende. Du kannst sie doch nicht so anfahren!"
Ellie nickte mir zustimmend.
„Es nervt mich!", rief Jan. „Immer und immer wieder macht sie das, was Maximilian von ihr verlangt! Mein Gott, sie kann die Miete echt gut gebrauchen! Du kennst sie nicht, Lukas, auch wenn du etwas anderes denkst. Sie ist so dermaßen von diesem Kerl eingenommen, dass sie gar nichts anderes mehr interessiert! Glaubst du, sie hat auch nur ein einziges Mal an dich gedacht? Nein! Ihr ist es vollkommen egal, wo du wohnst oder was du machst!"
Ich schnaubte leise. Jan hatte Recht. Ich kannte Josie nicht. Aber dennoch konnte er nicht so mit ihr umgehen und sie so anmachen. Die Entscheidung war ihr nicht leichtgefallen, so wie er behauptete, dass hatte ich in ihren Augen sehen können.

Verlieb dich nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt