Teil 8 - Akzeptieren

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POV Toni

Nach langem strampeln auf meinem Fahrrad und nachdem die Häuser mehr und mehr ihren Glanz verloren haben, komme ich zu Hause an. Ich stelle mein Fahrrad zurück in den Schuppen und gehe in mein Zimmer. Es ist klein, es war ja auch nur als Abstellkammer oder Kleiderraum gedacht. Trotzdem ist es schön eines zu haben. Gegenüber dem von Shelby ist es nicht annähernd so pink. Eher blau, schwarz und hellgraue Wände. Hier passt nicht mehr als ein Bett und ein kleiner provisorischer Schreibtisch rein. Mehr brauche ich auch nicht wirklich, trotzdem ist es ein starker Kontrast zu dem Zimmer von Shelby.

Ich lasse mich auf mein Bett fallen, um erstmal auf die Situation klarzukommen. Shelby ist wunderbar und ich bin gerne bei ihr, aber dass sie nicht offen damit umgehen kann macht mich fertig. Wie kann es sein, dass sie in der heutigen Zeit noch Angst haben muss, nicht akzeptiert zu werden? Wieso kann sie sich nicht mal selbst akzeptieren? Für mich war es am Anfang auch nicht super einfach es vor anderen zuzugeben, aber Shelby weiß das ganze doch wohl länger als erst seit der Insel. Irgendwie deprimiert mich das.

„Hey Toni, bei wem warst du denn jetzt?", plötzlich kommt Martha in mein Zimmer. Ich setze mich schnell auf und schaue ihr etwas abweisend ins Gesicht. Dann erzähle ich es ihr aber doch: „Ich war bei Shelby, weil wir zusammen eine Partnerarbeit fertig machen mussten". Martha setzt sich auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch und schaut mich lächelnd an. „Was habt ihr denn so gemacht?", Martha trifft mit dieser Frage einen Nerv ohne, dass sie es wissen kann. „Wir haben einen Vortrag vorbereitet und dazu ein Plakat gemacht." Kurz herrscht Stille und ich nutze den Moment um klaren Tisch zu machen: „und wir haben uns geküsst". Martha zieht erstaunt ihre Augenbrauen nach oben. Sie zögert, schaut etwas ungläubig und fragt: „Shelby? Die religiöse Shelby?" „Ja, und ich muss dir noch mehr erzählen...", fange ich an und dann erzähle ich ihr, wie Shelby mich schon auf der Insel geküsst hatte und dass da auch mehr zwischen uns war. Auch dass sie auf üble Art das Ganze nach der Insel fallengelassen hat. „Und Shelby kann sich auch niemandem anvertrauen, wegen ihrer Religion.", sage ich zu Martha mit hochgezogenen Augenbrauen. „Niemandem?", fragt Martha nochmal nach. „Ja, sie meint sie kann es nicht, weil sie selbst nicht wirklich so sein will". „Das ist traurig", sagt Martha und schüttelt ein wenig ihren Kopf. „Mich freut aber, dass du ihr Lichtblick sein kannst", fügt Martha noch hinzu.

„Warum hast du mir aber nicht schon auf der Insel davon erzählt?" „Ich hatte Shelby versprochen, es niemandem zu erzählen. Ich glaube aber, dass Fatin was gemerkt hat, aber wir haben nie darüber gesprochen. Zumindest nicht richtig.", antworte ich etwas zögernd. Martha schaut mich etwas enttäuscht, aber immer noch nett an. „Na gut, wenn du es versprochen hast...". Wir erzählen noch einiges, bis Martha beschließt ins Bett zu gehen, da es langsam spät wurde.

Am nächsten Morgen bin ich etwas nervös als ich in die Schule gehe. Ich weiß nicht, wie sich Shelby mir gegenüber verhalten wird. Was wenn sie versucht den gestrigen Nachmittag ungeschehen zu machen? Mir geht der Gedanke immer noch nicht aus dem Kopf, dass sie meinte nicht so sein zu wollen. Irgendwie kann ich das nicht ganz nachvollziehen.

„Guten Morgen Toni", Shelby steht mir plötzlich gegenüber. „Guten Morgen", antworte ich, während ich auf klare Zeichen warte. „Ich habe das Plakat gestern noch ein wenig verziert", sagt sie als sie mir ein Bild auf ihrem Handy zeigt. Ich sehe das Plakat, das immer noch zu ihren Augen passt, nur dass sie etwas Glitzer an die Kanten geklebt hat. Sie sieht mich leicht fragend. „Sieht gut aus", sage ich schnell.

Sie sieht auch mit ihren kürzeren Haaren wunderschön aus. Meiner Meinung nach müsste sie sich gar nicht so viel Mühe mit ihrem Aussehen machen. Sie sah auch auf der Insel ohne das Make-up schön aus. „Ok, ich geh dann zu meinem Kurs", sagt Shelby plötzlich und verschwindet schneller als ich reagieren kann. Sie belegt einen Religionskurs. Typisch für Shelby. Ich habe stattdessen den Ethikkurs gewählt. Ohne Religion lebt es sich einfach freier. Ethik ist dafür sehr langweilig und wir müssen ständig Texte lesen, die sich anfühlen wie eine andere Sprache und ausschließlich von weißen mächtigen Männern geschrieben sind. Noch langweiliger ist nur noch der verpflichtende Englischunterricht.

Nach einer Stunde quälender Texte und Diskussionen gehe ich geschafft aus dem Ethikraum und verschwinde in die Toilette. Ich gehe in die hinterste Toilette und schließe die Tür hinter mir. Als ich mich hinsetze, lese ich in fetter Schrift #NOHOMO an der Tür. Genau so etwas ist der Grund für Leute wie Shelby, dass sie sich selbst nicht akzeptieren wollen. Es sind die ganzen kleinen Dinge, die etwas Normales unnormal werden lassen. Kurze Sprüche, die nur als Scherz gemeint sind. Ich denke solche Leute wissen, was sie tun. Schnell nehme ich einen Marker aus meiner Tasche, streiche das geschriebene durch und schreibe nur ein #PROHOMO darunter.

Dann wasche ich mir die Hände und gehe wieder in den Gang. Mal wieder ist er total überfüllt, da sich zu Mittagszeit alle in die Cafeteria bewegen. Auch ich möchte jetzt dahin und begebe mich deswegen in den Strom der anderen. Ich stehe schon an der Essensausgabe lange an, bis ich mein Essen bekomme. Ich drehe mich in Richtung der Tische und bemerke, dass beinahe alles besetzt ist. Martha kann ich nicht entdecken, sonst hätte ich mich zu ihr hingesetzt. Man sieht auch einige andere, denen es geht wie mir und zwischen den Tischen stehen und warten bis etwas frei wird oder bis sie sich entscheiden sich einfach irgendwo hinzusetzen.

Mit einmal sehe ich Shelby mit ein paar anderen aus dem Religionskurs. Da ich sonst nicht weiß, wo ich mich setzen sollte gehe ich in ihre Richtung. Sie scheint mich nicht zu sehen, bis ich mich zu ihnen an den Tisch setze.

Understood - The Wilds FanfiktionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt