Teil 10

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POV Toni

Ich sitze auf dem Boden des Abstellraumes und halte mir den Kopf, während ich meine Arme auf meinen Knien abstütze. Ich kann es gar nicht so richtig glauben. Ich dachte die Menschheit ist schon weiter als ein Mädchen in den Selbstmord zu treiben, nur weil es vielleicht ein anderes Mädchen geküsst hat. Mir gehen tausend Gedanken durch den Kopf. Wie kann man sich so schrecklich verhalten. Wie kann man keinerlei Mitgefühl haben. Wieso muss man noch so hart dafür kämpfen, seine Liebe ausleben zu können.

Mir tut dieses Mädchen so leid. Aber auch Shelby muss es schrecklich ergangen sein. Nicht nur dass sie jemanden den sie liebte, verloren hat, aber auch dass sie mitbekommen hat, wie schlecht ihr Umfeld mit Homosexualität umgeht. Mir kommt es so vor, als würde ich in eine Parallelwelt schauen. So unwirklich ist das Ganze. Aber ich weiß, dass die Welt nicht so ist. Die meisten Leute akzeptieren es zumindest.

Ich stehe auf und öffne die Tür. Im Gang gehen nur noch wenige Schüler, die mich nicht aus der Abstellkammer gehen sehen, weil sie schnell in die Richtung der Sporthalle laufen. Ich muss in die andere Richtung. Eigentlich habe ich jetzt Matheunterricht und muss mich beeilen, da ich sonst zu spät komme. Auf meinem Handy steht 13:44 Uhr. Nur noch eine Minute und trotzdem stehe ich und überlege, ob ich nicht doch lieber zur Schulkrankenschwester gehe und mich abholen lasse. Nicht dass ich Mathe nicht ausstehen könnte, aber das mit Shelby bereitet mir ganz schön viel Stress. Niemand hat es verdient so behandelt zu werden, nur weil man jemanden liebt.

Ich starre in die Richtung des Matheraums, als mir jemand von hinten an die Schulter tippt. „Toni, wieso bist du nicht im Unterricht?", Ich drehe mich um und Martha steht vor mir. Ganz entgeistert schau ich ihr ins Gesicht. „Ist irgendwas?", Martha macht ein leicht besorgtes Gesicht, also antworte ich ihr: „Ist schon okay. Shelby hat mir bloß gerade etwas erzählt, das ich einfach nur grausam finde." Martha hält kurz inne und dann antwortet sie: „Das kannst du mir später erzählen. Du musst jetzt in den Unterricht. Ich übrigens auch." Martha deutet in die Richtung des Matheraums und geht dann aber die Treppe hoch in ihren Kurs. Es hat schon geklingelt, es ist 13:46 Uhr und ich stehe immer noch etwas wie angewurzelt da. Dann aber entscheide ich mich doch dazu in den Unterrichtsraum zu gehen.

„Sorry, ich bin zu spät. Ich war noch auf der Toilette", sage ich als ich durch die Tür in den Raum gehe. Wenn Sie mir jetzt blöd kommt, dann geh ich einfach wieder raus und sag, dass es mir nicht gut geht. Aber meine Lehrerin, frau Johnson sagt nichts, also setze ich mich einfach auf meinen Platz und folge dem Unterricht.

Mathe geht relativ schnell vorbei, auch wenn ich nicht allzu viel verstanden habe. Ich musste einfach an Shelby denken. Und an diese Becca, von der Shelby erzählt hat. Ich frage mich, wie ihre Seite der Geschichte wohl ausgesehen haben muss. Wie sie sich gefühlt haben muss. Wieso hat sie Shelby nicht verraten, wo sie selbst doch nur fälschlicher Weise wegen Shelby zum Opfer geworden ist? Diese Fragen werden wohl unbeantwortet bleiben.

Auf meinem Weg nach draußen zu meinem Fahrrad sehe ich Shelby, die vor meinem Fahrrad mit Olivia redet. Ob sie weiß, dass das mein Fahrrad ist? Hat sie darauf geachtet, als ich bei ihr war? Bevor ich bei meinem Fahrrad ankomme, geht Olivia los und Shelby sieht mich: „Hey Toni, kann ich bei dir mitkommen?" Warum. Ich dachte sie will nicht, dass auch nur irgendwer etwas von uns ahnt. „Ich bin nur mit dem Fahrrad hier... Wir müssten gehen oder du setzt dich auf den Gepäckträger.", sage ich. „Gehen wäre besser", sagt sie. Aber warum fährt sie nicht einfach zu sich nach Hause? Also frage ich: „Ist irgendetwas? Warum willst du nicht zu dir nach Hause?" „Ich will nicht. Ich muss einfach zu stark an das denken, was passiert ist und das ist nicht schön. Außerdem warst du ja schon bei mir, aber ich nicht bei dir...", ihr leicht trauriger Ausdruck in den Augen wird etwas glücklicher. „Na gut, dann folge mir unauffällig", sage ich und zwinkre ihr zu.

Also schiebe ich mein Fahrrad und ohne wirklich viel zu sagen, folgt Shelby mir die ganzen 20 Minuten Fußmarsch. Dann kommen wir an. „Hier wohnen wir", sage ich ihr. „Wir? Wer?", sagt Shelby und schaut etwas stutzig. „Ich wohne bei Marthas Familie. Hier wohnen wir". Shelby schaut erst mich an und dann das Haus; „Hast du Martha von dem was zwischen uns ist erzählt?", fragt sie mich. Ich glaube sie würde gerne ein Nein hören, aber so ist es nicht „Ja, ich habe es ihr erzählt". „Na gut", sagt sie und schluckt. Martha ist nicht zu Hause. Sie hat länger Unterricht, wegen eines freiwilligen Projekts.

Shelby folgt mir ins Haus. Hier riecht es nach zu Hause... und mit Shelby riecht es hier nach Heimat. Nachdem ich die Tür hinter uns beiden wieder schließe, schaue ich in ihre grünen Augen. Sie ist auch jetzt einfach wunderschön und ich möchte sie einfach nur küssen, aber stattdessen nehme ich sie an die Hand und führe sie in mein Zimmer. „Das ist dein Zimmer? ... ganz schön klein.", sagt sie als sie es sieht. „Es war halt als Abstellraum gedacht. Was kann ich denn bitte dafür?", ich finde ihren Kommentar etwas unnötig. Es ist halt nicht so riesig wir ihr Zimmer. „Toni, schon okay. Ich meine es nicht persönlich, es ist nur ungewohnt für mich.", Shelby beruhigt mich allein mit ihrer Stimme und ihrem sanften Lächeln. Dann schließt sie ihre Arme von hinten um meine Taille und zieht mich aufs Bett. Kurz erschrecke ich mich ein wenig. Ich hätte nicht gedacht, dass sie mich gleich so überfällt. „Shelby, Martha ist zwar nicht da, aber ihre Eltern sind gleich zu Hause.", sage ich ihr immer noch unter Schock stehend. „Schon gut", sagt sie und lächelt mich an. Ich habe mich zu ihr umgedreht und wir liegen eng aneinander, so dass wir nur einen kleinen Abstand zwischen unseren Gesichtern haben. Shelby schaut wieder auf meine Lippen, wie sie es immer bis jetzt getan hat, bevor sie mich küssen wollte. Ich tu nichts und warte, aber Shelby küsst mich nicht.

Understood - The Wilds FanfiktionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt