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Am Nachmittag werde ich von einem leisen Klopfen aus meinem Dämmerschlaf gerissen und murmele ein leises „Herein." Was die Person vor der Tür niemals gehört haben kann, allerdings öffnet sich diese trotzdem.

Meine Augen öffnen sich und das erste was ich erblicke ist der Haarschopf meines kleinen Bruders, welcher mit tapsigen Schritten auf mein Bett zu kommt.

„Carli!" rufe ich erfreut, schwinge die Beine über die Bettkante und knie mich anschließend zu ihm runter, um ihn in den Arm zu nehmen.

Carlos brabbelt nur etwas Unverständliches vor sich hin, dennoch freue ich mich gerade unglaublich ihn in meinen Armen halten zu können. Die zweite Person, die den Raum betreten hat, ist meine Mutter, welche sich mit einem dünnen „Hallo." Bemerkbar macht.

Unter ihren Augen sind tiefe Ringe zu sehen und generell wirkt es auf mich, als ob sie in der letzten Nacht nicht viel Schlaf bekommen hätte. Ihr Anblick wirkt keineswegs erschreckend oder überraschend auf mich, schließlich hat sie, genau so wie ich auch, diese schrecklichen Nachrichten verdauen müssen.

Mittlerweile hat Carlos sich schon wieder von mir gelöst und spielt mit einem kleinen Holz Auto, welches er brummend über den Zimmerboden schiebt. Ich selbst setze mich wieder aufs Bett und wende mich meiner Mutter zu, die auf einem der Stühle Platz genommen hat.

„Was hat der Arzt gesagt?" fragt meine Mutter und knetet unruhig ihre Hände, eine Angewohnheit von ihr, wenn sie nervös ist und nicht weiß, wie sie sich verhalten soll.

„Ich bekomme morgen einen Port eingesetzt, das ist so ein Schlauch, über welchen meine Chemo und sonstige Medikamente in meinen Körper geleitet werden können. Ohne dass sie mich dafür jedes Mal auf neue stechen müssen. Die Chemo an sich besprechen sie in den nächsten Tagen mit mir, wenn sie eine passende geplant haben." Ich versuche meine Mutter über die letzten Informationen des Arztes in Kenntnis zu setzen, allerdings sieht sie ziemlich abwesend aus und nickt mein gesagtes einfach nur ab.

Eine Weile ist es still zwischen uns und nur die spielerischen Geräusche von Carlos sind zu hören, dann erhebt meine Mutter wieder ihre Stimme.

„Ich rufe am Montag in der Schule an und kümmere mich darum, dass deine Lehrer bescheid wissen. Du wirst sicherlich eine Weile nicht in die Schule gehen, vielleicht wäre es besser, wenn du dieses Schuljahr erstmal auf Eis legst."

Ihre Worte überraschen mich, in diesem Moment habe ich gar nicht damit gerechnet das wir über die Schule reden könnten. Aber noch mehr verwundert mich, dass sie möchte das ich dieses Schuljahr unterbreche, denn sie ist eigentlich konsequent dagegen, wenn jemand krank ist und deswegen nicht zum Unterricht kommt. Ich möchte auch nicht einfach aufgeben, sondern es zumindest mal mit dem Weiterführen meiner Bildung versuchen.

„Ich möchte das Schuljahr weiter machen. Theo kann mir die Sachen vorbeibringen und ich bin mir sicher, dass ich den meisten Lehrern meine bearbeiteten Sachen auch zuschicken kann." Protestiere ich also, denn ich möchte wirklich nicht nur dasitzen und nichts zu tun haben.

„Bist du dir sicher? Du sollst dich doch ganz auf deine Genesung konzentrieren können." Fragt sie noch mal nach und wirft mir einen besorgten Blick zu.

„Ganz sicher. Ich brauche die Ablenkung und wenn ich merke das es mir zu viel wird, kann ich es immer noch beenden." Meine ich bestimmt und jetzt nickt meine Mutter, anstatt weiter mit mir zu diskutieren.

„Dann leite ich das in die Wege." Sagt sie und damit ist das Thema auch abgeschlossen. Wirklich lange sind die beiden dann nicht mehr geblieben, denn Carlos wurde langsam quengelig und so haben sie sich wieder auf den Weg nach Hause gemacht.

Sunflower [Gio Reyna]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt