„Bist du bereit?" Fragt Gio mich und lugt durch die offene Badezimmertür hinein, bevor er die Distanz zwischen uns überwindet und hinter mir im Spiegel auftaucht. Seine Hände legen sich auf meine Oberarme und er sieht mich neugierig durch den Spiegel an.
„Kann man für so einen Moment bereit sein?" Frage ich, die Stimme noch immer rau durch die vielen Tränen, die ich in den letzten Tagen immer mal wieder vergossen habe. Theos Verlust schmerzt noch immer tief in meiner Brust, allerdings darf ich heute auf seine Beerdigung gehen und kann so hoffentlich mit der Nachricht über seinen Tod besser umgehen.
„Vermutlich nicht." Murmelt Gio, die Stimme ein wenig belegt und so sehen wir uns für einen Moment nur durch den Spiegel an. Wir sind beide in schwarze Kleidung gehüllt, entsprechen so der Farbe der Trauer und sind mehr oder wenig bereit für die Abfahrt zum Friedhof.
„Denkt daran, drei Stunden und keine Minute länger." Erinnert uns Schwester Martha und hebt mahnend den Zeigefinger, während sie mich von meiner Infusion befreit und es so möglich macht das ich ohne Infusionsständer herumlaufen kann. Das ich zu Theos Beerdigung gehen darf ist eine absolute Ausnahme, allerdings ist es dem Personal lieber mich mit einem Zeitlimit aus dem Krankenhaus zu gehen, als das ich mich davonschleiche, weil ich mich von meinem besten Freund verabschieden möchte.
„Ich bringe sie pünktlich zurück." Verspricht Gio Schwester Martha und schenkt ihr ein kleines Lächeln, was die Schwester erwidert und anschließend aus dem Raum verschwindet. Gio geht in die Ecke, in welcher mein Rollstuhl steht, allerdings halte ich ihn direkt auf.
„Den kannst du hierlassen." Ich habe nicht vor dieses schwarze Gestell mit zur Beerdigung zu nehmen und mich von Gio durch die Gegend schieben zu lassen. In den letzten Tagen habe ich immer wieder Physiotherapie gehabt, bei der mir geholfen wurde neue Muskeln aufzubauen und alte zu reaktivieren und dadurch schaffe ich es immer länger mich auf den Beinen zu halten.
„Schaffst du es so lange zu stehen?" Gios Stirn liegt in nachdenklichen Falten, besorgt dass mir das ständige Stehen während der Beerdigung zu viel wird und das ich mich überanstrenge. Generell fast er mich noch immer mit Samthandschuhen an, lässt nicht zu das ich zu viel machen, in der Angst das die Anstrengung mich in meiner Heilung zurückwirft.
„Ja." Behaupte ich und möchte zu dem Haken an der Wand gehen, an welchem meine Jacke hängt. Allerdings knicken mir auf der Hälfte des Weges die Beine ein wenig weg und ich gerate ins Straucheln. Bevor ich Bekanntschaft mit dem Boden machen kann, greift Gio mich an den Oberarmen und hält mich so auf den Füßen.
„Sei nicht so verbissen, wenn es nicht geht, geht es nicht." Seine Stimme klingt streng und ich weiß auch das er recht hat. Ich wollte es zumindest probieren, die Starke spielen, aber es ist wohl doch vernünftiger mir meine Kräfte einzuteilen, wenn ich die gesamte Zeit außerhalb des Krankenhauses mit meiner Energie durchhalten möchte.
„Vielleicht sollten wir ihn doch mitnehmen." Gebe ich also kleinlaut zu und werde zur Belohnung in Gios Arme geschlossen. An seine Brust gedrückt stehe ich da, genieße seine Nähe und weiß ganz genau wie erleichtert Gio ist das mein Sturkopf nachgegeben hat.
„Danke." Flüstert er, haucht mir einen Kuss auf die Schläfe und hält mich noch für einige Herzschläge im Arm, bevor er mich loslässt. Gio hilft mir in meine Jacke, bevor ich mich in den Rollstuhl setze und dann geht unsere gemeinsame Reise los.
Aus dem Krankenhaus hinaus und in die frische Luft, an der ich in letzter Zeit viel zu selten war. Immer mal wieder ist Gio mit mir nach draußen gegangen, aber niemals zu lange, denn dafür ist uns allen die Lungenentzündung noch zu tief ins Gedächtnis gebrannt.
Auf dem Parkplatz empfängt uns Mats mit seinem Auto, denn Gio darf diese Fahrzeuge in Deutschland noch nicht allein befördern. Nach einer kurzen Begrüßung verstauen wir den Rollstuhl im Kofferraum und dann nehmen Gio und ich auf der Rückbank platz, damit Mats losfahren kann. Die Musik hat Mats nur leise an, damit keine lauten Songs durch sein Auto klingen und so hängen wir alle ein wenig unseren Gedanken nach.
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Sunflower [Gio Reyna]
FanfictionBessere Noten und neue Freunde, das sind die Vorsätze von Lu für ihre neue Schule. Allerdings hat sie da ihre Rechnungen ohne eine Zusammenbruch mit darauffolgender Krebsdiagnose gerechnet. Ihre Welt zerbricht in tausende Scherben, sie hatte doch so...