Kleine Taschentuch/Trigger Warnung vor diesem Kapitel, denn Gio erzählt seine (reale) Geschichte.
Dr. Reed verschwindet, kurz nachdem er mir die Tür geöffnet hat, und so bin ich mit Gio allein. Dieser hebt direkt den Kopf, als er mich bemerkt und scheint in meinem Gesicht nach einem Zeichen zu suchen, wie mein Scan ausgefallen ist. Allerdings weiß ich es ja selbst noch nicht und so ist meine Miene zunächst recht neutral.
Ein bisschen unsicher erhebt er sich und scheint nicht ganz zu wissen, ob ich seine Hilfe möchte oder lieber allein zurück ins Bett klettere. Um ein bisschen versöhnlicher auf ihn zu wirken, hebe ich den Kopf und schenke ihm ein kleines Lächeln. „Hilfst du mir hoch?" frage ich ihn und fast sofort ist er an meiner Seite, streckt seine Hände aus und hilft mir auf die Beine. Kurz halte ich inne, dann drehe ich mich und lasse mich auf die Bettkante sinken.
Gios Hände lösen sich von meinen und er zieht sich einen Stuhl heran, damit er sich neben mein Bett setzen kann. Langsam ziehe ich die Beine an meinen Körper und sitze so im Schneidersitz da. Wir sehen uns beide nicht and und schauen eher im Raum umher, suchen einen Punkt, den wir fixieren können.
Unsicher wie wir dieses Gespräch beginnen sollen, greife an meine Kette und spiele ein wenig mit dem kleinen Anhänger. Gio bemerkt das sofort und beginnt breit zu grinsen, als er sein Geschenk erkennt. „Du trägst sie?" fragt er, wie als ob er immer noch daran zweifeln würde, ob mir dieses Geschenk wirklich gefallen hat.
„Immer." Antworte ich ihm ehrlich und versuche mit ganz genau einzuprägen, wie sich seine Lippen zu einem glücklichen Lächeln verziehen. Lange bleibt diese Stimmung jedoch nicht, denn Gio räuspert sich leise und lehnt sich ein wenig im Stuhl zurück.
„Ich schulde dir noch eine Erklärung, warum ich das letzte Mal so empfindlich auf deine Frage reagiert habe, woher ich wüsste wie es einer Familie in deiner Situation geht." Schon jetzt scheint Gio ein bisschen mit sich ringen zu müssen und so beginne ich wirklich zu zweifeln, ob ich ihn wirklich dazu bringen möchte, mir diese Geschichte zu erzählen.
„Du musst es mir nicht erklären." Sage ich also so sanft wie möglich und versuche seinen Blick einzufangen, den er starr zu Boden gerichtet hat. „Ich möchte es aber." Murmelt er, atmet noch einmal tief durch und beginnt dann zu erzählen.
„Meine Familie besteht aus meinen Eltern, meinem älteren Bruder Jack, mir und meinen jüngeren Geschwistern Joah und Carolina. Wir waren eigentlich eine ganz normale Familie, also wenn wir jetzt mal von den Fußballkarierren meiner Eltern absehen." Kurz grinst Gio, dann senken sich seine Mundwinkel wieder ein wenig herab.
„Irgendwann 2010 hat Jack immer wieder über Kopfschmerzen geklagt. Erst dachte jeder er hätte Migräne oder irgendeinen Infekt, allerdings fehlten dafür andere Symptome. Ein Neurologe hat dann ein Problem mit seiner Sicht festgestellt und dann wurde ein CT gemacht." Wieder hält Gio einen Moment inne, wie als ob er seine nächsten Worte ordnen und wählen muss.
„Sie haben einen Tumor, so groß wie einen Golfball in seinem Kopf gefunden. Dieser wurde entfernt und dann hieß es warten. Ein paar Wochen später, kam dann das Ergebnis, ein Stadium IV Tumor einer extrem seltenen und aggressiven Art."
Der Beginn der Geschichte gefällt mir keineswegs und meine Kehle führt sich an wie zugeschnürt. Ich würde gerne ein wenig näher zu Gio rücken, aber ich kann mich nicht rühren, sondern nur seiner rauer werdenden Stimme lauschen.
„Er hat neun Monate lang Chemo bekommen und an seinem 12. Geburtstag im April 2011 hieß es er sein frei von Krebs. Alle waren so erleichtert und die Ärzte einfach nur erstaunt, wie stark er war."
Auf Gios Gesicht breitet sich ein Lächeln aus, als er vermutlich an den Tag zurückdenkt. Dennoch schimmern in seinen Augen Tränen und ich bin mir sicher das auch ich kurz davor bin Tränen zu vergießen.
„Im Dezember hat er dann begonnen seltsam zu spreche. Ein erneuter Scan und dann wurde uns klar, der Krebs ist zurück. Dieses Mal konnte man jedoch nicht wirklich etwas dagegen machen. Er wurde behandelt, aber er könnte niemals geheilt werden."
In einer schnellen Bewegung wischt Gio sich über die Augen und versucht so die Tränen zu verstecken, aber es laufen immer wieder neue nach. Vorsichtig strecke ich meine Hand nach ihm aus, um ihm eine Hand auf die Schulter zu legen, ihm zu zeigen das ich da bin, aber er fängt sie ab.
Verschränkt stattdessen unsere Finger miteinander, übt sanften Druck auf meine Hand aus und senkt seinen Blick auf unsere ineinander verwobenen Hände. Es ist wie, als ob er sich an etwas festhalten muss, damit er nicht abrutscht und ich versuche ihm diesen Halt zu geben.
„In den nächsten Monaten haben wir so viel wie möglich mit ihm unternommen, aber ihm ging es von Monat zu Monat schlechter. Irgendwann brauchte er einen Rollstuhl, dann konnte er nicht mehr sprechen. Im Juli 2012 haben mich meine Eltern dann an einem Tag zu Freunden geschickt und da wusste ich das es an diesem Tag passieren würde. Jack ist eingeschlafen und nie wieder aufgewacht."
Das Ende seiner Geschichte lässt die Tränen langsam meine Wangen hinunterlaufen. Ich würde gerne etwas sagen, Gio Beistand leisten, aber was sagt man jemanden der in so jungen Jahren seinen Bruder verloren hat?
Aber Gio scheint keinesfalls zu erwarten, dass ich etwas sage, stattdessen redet er nach einer kurzen Pause weiter. „Ich habe nach seinem Tod einmal zu meiner Mutter gesagt das ich jetzt kein guter Fußballer werden könnte, schließlich hat Jack mir alles beigebracht und der ist ja nicht mehr da. Allerdings habe ich irgendwann beschlossen das ich es jetzt erst recht versuchen muss, damit er stolz auf mich ist."
Zum ersten Mal hebt Gio seinen Kopf und sieht mich mit einem schiefen Lächeln an. „Ich denke ich bin auf einem ziemlich guten Weg." Murmelt er dann noch und nun heben sich auch meine Mundwinkel.
Gio hat in seinen jungen Jahren schon so viel erlebt und nach seiner Geschichte bin ich noch mehr erstaunt das er so viel Zeit bei mir im Krankenhaus verbringt. Wäre es nicht viel logischer, wenn er sich so weit wie möglich von diesem Gebäude fernhalten würde?
Mit meiner freien Hand wische ich die wenigen Tränen aus meinem Gesicht und auch Gio befreit seine Wangen von den salzigen Spuren. Mit einem leisen Seufzen lehnt Gio sich nach vorne und stütze sich mit seinem Ellenbogen auf der Bettkante ab.
„Ich wollte dich nicht zwei Wochen allein lassen, aber irgendwie ist die Sache ein bisschen anders gelaufen als geplant. Eigentlich wollte ich wieder zu dir kommen und mich entschuldigen, aber dann kam die Nachricht das ich mit den Profis ins Trainingslager fahre und da waren dann so viele andere Dinge in meinem Kopf."
Gios Stimme überschlägt sich ein wenig, als er versucht sich zu erklären. Beruhigend über ich ein wenig Druck auf seine Hand aus.
„Du musst dich dafür nicht entschuldigen, es war vollkommen in Ordnung wie du reagiert hast." Murmele ich und möchte schon selbst zu einer Entschuldigung ansetzen, da unterbricht mich Gio.
„Können wir bitte trotzdem ganz normal miteinander umgehen? Du weißt jetzt zwar, warum ich in manchen Situationen seltsam reagiere, aber ich bin für die lieber einfach nur Gio. Der, der dir Frühstück bringt und mit seiner Anwesenheit auf den Geist geht."
Den letzten Teil sagt er mit einem frechen Grinsen und bringt so auch mich zum Lachen. Ich verstehe durchaus das er von mir nicht anders behandelt werden möchte und so stimme ich seiner Bitte zu.
„Du gehst mir übrigens nicht auf den Geist." Murmele ich dann noch, was er nur mit einem sanften Grinsen annimmt.
Die nächsten Minuten sitzen wir einfach nur still nebeneinander, während Gios Daumen kleine Kreise über meinen Handrücken zieht. Unsere Stille hält jedoch nicht ewig an, denn irgendwann klopft es an der Tür und ein paar Ärzte betreten den Raum.
Vorsichtig drückt Gio meine Hand und sieht mich aufmunternd an, dann sehen wir beide zu meinen Ärzten, gespannt was sie zu meinem Tumor und den folgenden Wochen sagen werden.
Die Infos in diesem Kapitel habe ich aus diesem Artikel:
https://www.si.com/soccer/2018/12/12/claudio-reyna-family-jack-death-giovanni-dortmund#gid=ci0254f6d010002580&pid=reyna-family-tripjpgSchöne Woche euch (:
WOLKE 🌻
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Sunflower [Gio Reyna]
FanfictionBessere Noten und neue Freunde, das sind die Vorsätze von Lu für ihre neue Schule. Allerdings hat sie da ihre Rechnungen ohne eine Zusammenbruch mit darauffolgender Krebsdiagnose gerechnet. Ihre Welt zerbricht in tausende Scherben, sie hatte doch so...